In memoriam Sir Neville Mariner – am Ende fehlt ein Dirigent

Academy of St Martin in the Fields, Kit Armstrong, Tomo Keller, Benjamin Britten, Wolfgang Amadeus Mozart,  Elbphilharmonie

Foto: Höhne (c)
Academy of St Martin in the Fields
Kit Armstrong Klavier
Tomo Keller Violine und Leitung
Benjamin Britten Variations on a theme by Frank Bridge op. 10
Wolfgang Amadeus Mozart Konzert für Klavier und Orchester Nr. 22 Es-Dur KV 482
Wolfgang Amadeus Mozart Sinfonie Nr. 39 Es-Dur KV 543
Elbphilharmonie, 17. Mai 2017

Von Sebastian Koik

Der Konzertabend beginnt mit Variations on a theme by Frank Bridge op. 10 von Benjamin Britten. Die reine Streicherbesetzung braucht etwa fünf Minuten, um sich warm zu spielen, doch dann brilliert die Academy of St Martin in the Fields in der abwechslungsreichen Komposition, die dem jungen Britten einen frühen und durchschlagenden Erfolg bescherte. Jede der Variationen soll eine andere Facette von Brittens Lehrer, Mentor und Freund Frank Bridge zeigen und zitiert dabei unterschiedliche musikalische Stile und Stimmungen. Die Streicher spielen großartig: Mit extrem viel Biss, mit Tiefe, mit Kraft, mit Dramatik, mit gefühlvollem Schmelz, mit Intensität, mit großer musikalischer Spannung. Besser geht es nicht!

Das zweite Stück des Abends ist Wolfgang Amadeus Mozarts Konzert für Klavier und Orchester Nr. 22 Es-Dur. Das nun vollständige Orchester beginnt beherzt und der junge Pianist Kit Armstrong steigt mit viel Spritzigkeit, Gefühl und Tiefe ein. Nach einer Weile wünscht man sich von ihm manchmal allerdings einen Tick mehr Biss, Attacke, Aggressivität. Er schlägt manchmal ein klein wenig zu zaghaft, zu halbherzig, mit zu wenig Überzeugung an.

Den zweiten Satz beginnt Kit Armstrong sehr gefühlvoll und musikalisch. Im Detail wünschte man sich neben mehr Kraft und einer zupackenderen Haltung manchmal auch ein wenig mehr emotionale Tiefe – das Orchester der Academy of St Martin in the Fields liefert sie und spielt hier, wie in den kompletten ersten beiden Stücken, makellos auf sehr, sehr hohem Niveau.

Den dritten und letzten Satz interpretiert das Orchester voller Spielfreude, Spritzigkeit und Schönheit. Der Pianist setzt die virtuosen Passagen technisch gut um, doch in seinem schnellen Spiel fehlt es an Esprit und er gibt den Mozart am heutigen Abend nicht verspielt und nicht frech genug um höchsten Ansprüchen zu genügen. Dass er mit mehr Musikalität, Sensibilität und Tiefe musizieren kann, hat der erst 25-Jährige bereits bewiesen.

Der Applaus ist sehr lang, allerdings nicht sehr intensiv. Als Zugabe gibt das ehemalige Wunderkind ein kurzes Stück von Carl Philipp Emanuel Bach und überzeugt auch hiermit nicht gänzlich.

Zum Abschluss spielt die Academy of St Martin in the Fields Wolfgang Amadeus Mozarts Sinfonie Nr. 39 Es-Dur. In den ersten beiden Stücken hat sich das Orchester hervorragend in Eigenregie geschlagen, mit fast unmerklicher Führung des mitspielenden Orchesterleiters und Konzertmeisters Tomo Keller. Doch bei dieser Mozart-Sinfonie wird ein echter Dirigent dringend vermisst, einer der vom Pult aus das entscheidende Fünkchen beitragen kann, jemand der koordiniert, anleitet, anstachelt, mitreißt. Das Orchester macht es ohne echte Führung nicht schlecht, doch leider eben nicht gut genug. Es agiert nicht spielerisch genug, nicht frech genug. Es fehlt an Tiefe, Intensität, Esprit. Man wünscht den hervorragenden Musikern an dieser Stelle so sehr einen Dirigenten. Die Musik wirkt ein wenig verloren im selbstorganisierten und demokratischen Ensemble. Der dritte Satz gelingt noch am besten, doch auch der ist ein wenig zu blutleer und unlebendig, um wirklich zu überzeugen. Nach einem vierten Satz mit fehlender Spritzigkeit fällt der Applaus in der Elbphilharmonie nicht sehr groß aus.

Die Academy of St Martin in the Fields ist mit über 500 Aufnahmen das am meisten aufgenommene Kammerorchester überhaupt. Die meisten der Aufnahmen wurden von Sir Neville Marriner dirigiert, der das Ensemble 1958 gründete und im Oktober 2016 verstarb.

Sebastian Koik, 21. Mai 2017
für klassik-begeistert.de

 

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