Celibidaches Ruhm und Persönlichkeit wirken nach

Buch-Rezension: Kirsten Liese, CELIBIDACHE  klassik-begeistert.de, 3. Dezember 2022

Kirsten Liese zeichnet anhand der bewegten wechselnden Tätigkeiten des Dirigenten seine Stationen in Form von Interviews mit damaligen Weggefährten nach. Man kann diesen Versuch, Celibidache auch heutigen Musikliebhabern nahe zu bringen, nur begrüßen. Auch die Gegenwart ist schließlich ein Produkt der Vergangenheit.

Kirsten Liese

CELIBIDACHE
Der Maestro im Spiegel von Zeitzeugen
Biografisches, Interviews.
Edition Karo, Berlin 2022, 136 Seiten, 20 Euro

von Peter Sommeregger

Der Tod des gefeierten rumänischen Dirigenten Sergiu Celibidache liegt nun bereits 26 Jahre zurück. Seine Persönlichkeit und sein Ruhm wirken bei allen, die ihn noch live erlebt haben, bis heute nach. Jener Generation von Musikliebhabern, die keine persönliche Erinnerung an ihn hat, ist er ein berühmter Name, eine Legende, mehr nicht.

Die Journalistin Kirsten Liese, die selbst bedauert, sich zu seinen Lebzeiten zu wenig mit ihm auseinandergesetzt zu haben, unternimmt in dieser Publikation den Versuch, die noch lebenden Weggefährten und Zeitzeugen Celibidaches zu befragen, und so retrospektiv und posthum ein durchaus lebendiges Porträt dieses Ausnahmekünstlers zu zeichnen.

Sergiu Celibidache, Jahrgang 1912, gehörte der Generation Karajan und Furtwängler an, also einer Spezies, die am Dirigentenpult noch eher autoritär verfuhr. Seine Kompromisslosigkeit in künstlerischen Belangen war berüchtigt, und mag mit der Grund für sein häufiges frühes Ausscheiden aus wichtigen Positionen gewesen sein. Seine künstlerische späte Erfüllung scheint der Dirigent in seiner Tätigkeit bei den Münchner Philharmonikern gefunden zu haben, die von 1979 bis zu seinem Tod 1996 währte.

Lebenslanges Trauma war die Tatsache, dass die Berliner Philharmoniker, die er von 1945 bis 1954 leitete, Wilhelm Furtwängler nach dessen Entnazifizierung zu ihrem regulären Chefdirigenten wählten. Erst 1992 trat er noch einmal an der Spitze dieses Orchesters auf.

Kirsten Liese zeichnet anhand der bewegten wechselnden Tätigkeiten des Dirigenten seine Stationen in Form von Interviews mit damaligen Weggefährten nach.

Seine Tätigkeit bei den Berliner Philharmonikern war der Tatsache geschuldet, dass mit dem plötzlichen und tragischen Tod Leo Borchards auch der interimistische Chefdirigent dem Orchester abhanden gekommen war. Celibidache, der gerade erst sein Studium abgeschlossen hatte, führte das Orchester aus der Depression der Kriegsjahre heraus zu neuen, aufbauenden Erfolgen. Aus dieser Zeit standen noch zwei Musiker des Orchesters für Interviews zur Verfügung, der Solocellist Eberhard Finke und der Kontrabassist Erich Hartmann.

Celibidaches Jahre beim Stockholmer Radio Sinfonierorchester von 1962 bis 1971 werden in Interviews mit dem Hornisten Sven-Åke Landström und dem Geiger Arve Tellefsen sehr anschaulich geschildert, wobei darin schon Muster von problematischem Verhalten gegenüber dem Orchester sichtbar werden.

Celibidaches nächste Station als Orchesterleiter war das Radio Sinfonieorchester Stuttgart, dem der Dirigent von 1972 bis 1977 vorstand. Für diese Zeit kommen die Geiger Ahmet Baydur und Patrick Strub, sowie der Cellist Wolfgang Boettcher zu Wort. Während seiner Stuttgarter Tätigkeit führte er den Klangkörper erstmalig zu überregionaler Bedeutung, die bis heute nachwirkt. Die Stuttgarter Position verließ Celebidache nicht im Unfrieden, kehrte auch später als Gastdirigent öfter zurück.

Ihre Erfüllung fand die Karriere des Dirigenten wohl erst in der siebzehnjährigen fruchtbaren Zusammenarbeit mit den Münchner Philharmonikern. Hier legte er seinen musikalischen Fokus immer stärker auf das symphonische Werk Anton Bruckners. Seine Interpretationen von dessen Symphonien genießen bis heute Kultstatus. Naturgemäß gibt es für diese Ära noch vergleichsweise viele Zeugen. Hier kommen die Geiger Ingolf Turban und Ilona Cudek, der Flötist Martin Michael Kofler und die Harfenistin Han-An Liu zu Wort und lassen den Leser an ihren noch frischen Erinnerungen an den spröden Maestro teilhaben. Erst im Alter hatte Sergiu Celibidache zu einer gewissen Gelassenheit gefunden. Seine Bruckner-Konzerte sind zum guten Teil sogar auf Tonträgern erschienen, ein Kompromiss, den der Dirigent nur ungern einging, die der Nachwelt aber doch viel von der Faszination seiner Persönlichkeit erhalten haben.

Man kann diesen Versuch, Celibidache auch heutigen Musikliebhabern nahe zu bringen, nur begrüßen. Auch die Gegenwart ist schließlich ein Produkt der Vergangenheit.

Kirsten Liese: Celibidache. Der Maestro im Spiegel von Zeitzeugen. Biografisches, Interviews. Edition Karo, Berlin 2022, 136 Seiten, 20 Euro

Peter Sommeregger, 3. Dezember 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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