„Der Freischütz“ zwischen Folklore und High Tech

Carl Maria von Weber, Der Freischütz,  Bühne Baden

Foto © Lukas Beck
Neuinszenierung auf der Bühne Baden – Stadttheater Baden bei Wien

Franz Josef Breznik, Musikalische Leitung
Michael Lakner, Inszenierung
Manfred Waba, Bühnenbild und Kostüme
Michael Kropf, Choreographie
Regina Riel, Agathe
Reinhard Alessandri, Max, zweiter Jägerbursche
Sébastien Soulès, Kaspar, erster Jägerbursche
Thomas Zisterer, Ottokar/Kilian ein reicher Bauer
Theresa Grabner, Ännchen

von Charles E. Ritterband

Das Problem ist offensichtlich: In Carl Maria von Webers „romantischer Oper“ „Der Freischütz“ wird eine Welt gezeigt und eine Geschichte erzählt, die heute nicht mehr eins zu eins auf die Bühne gebracht werden kann. Vielleicht noch als Liebhaberobjekt, so wie man Antiquitäten sammelt oder alte Kinderbücher durchblättert.

Das mehr als 100 Jahre alte Stadttheater Baden bei Wien, ein prachtvoller Jugendstilbau, ein kleines Juwel mit nur 816 Plätzen, erbaut wie fast alle Theater der Monarchie von Fellner & Helmer und 1909 eröffnet, hatte den „Freischütz“ das letzte Mal noch im alten, kurz danach abgerissenen Haus gezeigt – vor 120 Jahren. Die Neuinszenierung, die am 21. Oktober auf der nunmehr so genannten „Bühne Baden“ unter der Regie von Michael Lakner Premiere hatte, bemühte sich um den Anschluss der gruseligen Handlung an die Gegenwart mit einem Einfall: Aus dem Teufel Samiel ist ein Drogendealer geworden, von dem der charakterlose Jägerbursche Kaspar (der den braven Protagisten Max ins Unglück stürzen will) „schon längere Zeit abhängig ist“, wie uns das Programmheft erläutert.

Das ist auch die einzige Konzession an die Aktualität und die einzige Distanzierung vom historischen Kontext dieses Werkes, das 1821 (also vor fast zwei Jahrhunderten!) in Berlin uraufgeführt wurde und als die deutsche romantische Oper schlechthin gilt. In der Badener Inszenierung findet zwar nicht die deutsche Romantik, sondern die folkloristische Idylle des österreichischen Salzkammerguts statt – und zwar unverfälscht, authentisch und distanzlos.

Da wird der Schuhplattler in „Krachledernen“ zelebriert mit den traditionellen Ohrfeigen und dem Hinternklopfen, da tanzen die hübschen Trachtenmädchen ihren Reigen (Ballett der Bühne Baden, Choreografie und Leitung Michael Kropf) und die Jäger treten auf in Lodenjacken und mit buschigen Gamsbärten am Hut – mich, und das hat seine Gründe, erfasst bei solchem Anblick nicht das Entzücken sondern das nackte Grausen. Gezielte Abstrahierung vielleicht hätte dem Stoff gut getan – heutzutage. Ich habe vor einiger Zeit an der Wiener Volksoper eine derartige Inszenierung gesehen – spannend, kritisch und durchdacht. Angesichts der nicht gerade ruhmreichen österreichischen Geschichte hätte man sich intelligente Distanzierung mehr gewünscht als farbige Folklore.

Was aber diese Inszenierung dennoch rettete und das Publikum begeistert in seinen Bann schlug, war die perfekte Videotechnik (Andreas Ivancics), die das Bühnenbild nicht nur ergänzte, sondern ausmachte. Die Waldschenke im ersten Akt schien zum Greifen nahe und die Wolken, die gemächlich über den Wald zogen, ließen den Zuschauer die Augen reiben: War das Bühne oder Wirklichkeit?

Es folgte die Kammer der Agathe, die vor zweihundert Jahren auf der Bühne wohl ganz genauso ausgesehen hat (da war wohl schlicht nichts zu machen). Und dann die Wolfsschlucht – ein gruseliger, unheimlicher Ort, ein Wasserfall im Hintergrund, über dem dann der arme Max (als überzeugender Schauspieler und hervorragender Tenor mit schöner, nie forciert wirkender Stimme Reinhard Alessandri) als winzige Figur auftaucht, dann, schon näher, in einer Höhle, bis er schließlich leibhaftig auf der Bühne steht. Das war szenisch ein Schlüsselmoment, großartig gemacht.

Stimmlich sehr schön die Agathe von Regina Riel – vielleicht etwas gar altmodisch-pathetisch in der Darstellung – und ihre „naive“ Cousine Ännchen (Theresa Grabner, ein brillanter, kristallklarer Sopran). Das Orchester der Bühne Baden intonierte unter der souveränen Stabführung von Franz Josef Breznik hervorragend voluminös die großartige Musik Webers in ihren romantischen Höhepunkten, der Chor der Bühne Baden brillierte unter der Leitung von Michael Zehetner.

Der Journalist Dr. Charles E. Ritterband schreibt exklusiv für klassik-begeistert.at. Er war für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) Korrespondent in Jerusalem, London, Washington D.C. und Buenos Aires. Der gebürtige Schweizer lebt seit 2001 in Wien und war dort 12 Jahre lang Korrespondent für Österreich und Ungarn. Ritterband geht mit seinem Pudel Nando für die TV-Sendung „Des Pudels Kern“ auf dem Kultursender ORF III den Wiener Eigenheiten auf den Grund.

Ein Gedanke zu „Carl Maria von Weber, Der Freischütz,
Bühne Baden“

  1. Mir hat gerade der Mut zur „Distanzlosigkeit“ imponiert – derartiges mit viel Distanz zu zeigen und damit zu implizieren, wir meinen es ja eigentlich nicht so, damit machte man es sich hier viel zu leicht.
    Herbert Haubold

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