Frühlingsgefühle in der Winterzeit: Die Carmina Burana in Köln  

Carl Orff, Carmina Burana,  Staatenhaus Köln

Foto © Marco Borggreve
Staatenhaus Köln
, 23. Dezember 2017
Carl Orff, Carmina Burana. Weltliche Gesänge für Soli und Chor
Chor der Oper Köln
Mädchen und Knaben des Kölner Domchores
Gürzenich-Orchester Köln
Leo Hussain, 
Musikalische Leitung         
Andrew Ollivant, 
Chor                                        
Andreas Grüter, 
Lichtregie                         
Emily Hindrichs, 
Sopran                                   
John Heuzenroeder, 
Tenor                             
Stephan Genz, 
Bariton                                         

von Leah Biebert

Ob Schokoladenwerbung oder Ritterfilm: Die energiegeladene Sinnlichkeit der Carmina Burana ist dauerpräsent. Von antiker Mythologie, wilden Zechern und freudigen Mädchen erzählt die szenische Kantate Carl Orffs. Als konzertante Aufführung feierte sie an der Oper Köln am Tag vor Heiligabend Premiere.

Griechische Säulen ragen an den Seiten der Sängerinnen und Sänger der Oper Köln empor, dazwischen ein hell erleuchteter Mond auf der Leinwand. „O Fortuna, velut luna, statu variabilis!“ Die kraftvollen Eingangsakkorde bieten einen puren Gänsehauteffekt; der Mond dehnt sich hinter dem Chor aus und scheint den Bühnenraum ganz für sich einzunehmen. Geheimnisvoll wispern die Sänger vom unentrinnbaren Rad der Schicksalsgöttin Fortuna. Dann: Wuchtig donnern die Paukenschläge, ein roter Blutmond auf der Leinwand.

Die Akustik in dem eher provisorisch eingerichteten Saal des Staatenhauses duldet keine Fehler: Die präzise Absprache des Chores und die saubere Artikulation am Klavier fallen genauso auf wie die zunächst noch schludrig geratenen Übergänge zwischen den einzelnen Liedteilen und das verhaltene Husten eines Mädchens in der ersten Reihe.

Perkussion und Bläser machen sich dies zu Nutzen. Unter bezauberndem Klang der Flöten, gepaart mit hell klingender Triangel, vertreibt der Frühling den strengen Winter. „Omnia sol temperat“ – „Alles macht die Sonne mild“.

Der Bariton Stephan Genz, in Vertretung für den erkrankten Milijenko Turk, soll sich eigentlich der Liebe erfreuen und die Traurigkeit vergessen. In seiner Interpretation des Frühlingsliedes nimmt er allerdings das Tempo raus, sodass die Freuden des Frühlings sich eher schleppend einstellen.

Ganz im Gegensatz dazu bei Sängern und Orchester: Die Blechbläser scheinen im Tanz das Publikum förmlich mitreißen zu wollen, dann strahlen sie wieder mit der auf die Leinwand projizierten Sonne um die Wette und gebühren der besungenen Königin von England alle Ehre.

Besonders besticht der Chor im darauffolgenden Floret silva nobilis: Die Männer ahmen das verklingende Echo des fortreitenden Gesellen ganz vorzüglich erst auf lateinischer, dann auf mittelhochdeutscher Sprache nach; die Frauen seufzen in Wehmut: „Nach meinem Partner ist mir weh, hinweg ist er geritten! Oh weh, wer wird mich freien?“

Im zweiten Teil des Werks schlägt die Stimmung der bisher bezaubernden Aufführung um. Genz, der die Sinnenlust besingt und das Laster dem Seelenheil vorzieht, kann in den tiefen Lagen nicht überzeugen, was er offensichtlich durch einen bemerkenswert intensiven Blick ins Publikum wettzumachen versucht. In den Höhen fühlt er sich deutlich wohler, dennoch trifft er den obersten, finalen Ton des Stücks nicht gänzlich.

Auch Tenor John Heuzenroeder, er vertritt Martin Koch, macht keine bessere Figur. Sicher, das Stück Olim lacus colueram ist keineswegs ein ernsthaftes, singt doch ein Schwan als lyrisches Ich von seinem Schicksal, flugunfähig und knusprig gebraten bei einem Bankett serviert und verspeist zu werden. Dennoch, der australische Tenor leiert durch die Koloraturen, und wenn er damit den Schwanengesang zu imitieren versucht, so schlägt dieses Unterfangen fehl.

Der Kinderchor hat im dritten Teil des Werks, dem Cours d’Amour, seinen großen Auftritt. Ebenso Sopranistin Emily Hinrichs, die schmalzig ihre Linie dahinschmiert. Die ganze Aufführung hindurch neben Stephan Genz sitzend, verschwindet sie nach ihrem vorletzten Einsatz von der Bühne. Bei ihrem Dulcissime ist sie nicht mehr zu sehen, ihre Stimme erklingt aus dem Nichts. Im Publikum drehen sich die Köpfe nach links und rechts auf der Suche nach der Sopranistin; sie kommt aber erst zum Applaus wieder auf die Bühne, ihr Verschwinden bleibt rätselhaft.

Doch vorher absolviert auch Genz noch seine letzten Solonummern, begleitet vom Opernchor, der dem Stück Circa mea pectora Beständigkeit verleiht und dem zappeligen Solisten mit ernster Feierlichkeit entgegensteht. Denn weit entfernt ist hier das parodistische Element des vorherigen Teils: Bei Herzschmerz und dem Lösen jungfräulicher Fesseln ist weniger eindeutig mehr.

Die beiden Chöre und das Gürzenich-Orchester bringen die Aufführung dann auch souverän zu Ende. Der Kölner Domchor gewinnt das Publikum nicht nur dadurch für sich, dass es Kinder sind, sie sind der Sache wirklich gewachsen und stimmen beflissen in den Gesang der Erwachsenen ein.

Carl Orffs Carmina Burana endet wunderbar: Inbrünstig besingt der Chor erneut die Schicksalsgöttin Fortuna vor vollorchestriertem Orchester, fast noch besser als am Anfang. Beinahe vergessen sind die skurrilen Auftritte der Solisten. Eine glanzvolle Kraft breitet sich aus, während der Mond hinter den Sängern verschwindet und der Saal schließlich in Dunkelheit getaucht wird.

Leah Biebert, 24. Dezember 2017, für
klassik-begeistert.de

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