Daniels vergessene Klassiker Nr. 9: Ottorino Respighi – „Die Pinien von Rom“

Daniels vergessene Klassiker Nr. 9: Ottorino Respighi – „Die Pinien von Rom“ klassik-begeistert.de, 21. November 2022

Quelle: Wikipedia; https://de.wikipedia.org/wiki/Ottorino_Respighi

Kritisieren kann jeder! Aber die Gretchenfrage ist immer die nach Verbesserung. In seiner Anti-Klassiker-Serie hat Daniel Janz bereits 50 Negativ-Beispiele genannt und Klassiker auseinandergenommen, die in aller Munde sind. Doch außer diesen Werken gibt es auch jene, die kaum gespielt werden. Werke, die einst für Aufsehen sorgten und heute unterrepräsentiert oder sogar vergessen sind. Meistens von Komponisten, die Zeit ihres Lebens im Schatten anderer standen. Freuen Sie sich auf Orchesterstücke, die trotz herausragender Eigenschaften zu wenig Beachtung finden.

von Daniel Janz

Die Pinie – auch „Italienische Steinkiefer, Mittelmeer-Kiefer oder Schirm-Kiefer, früher auch Pinienfichte, genannt“ (Zitat Wikipedia) – erscheint auf den ersten Blick wie ein ganz normaler Baum. Oft anzutreffen, dem mediterranen Klima angepasst, recht knorrig und nicht unbedingt besonders. Über diesen Baum eine Musik zu komponieren, erscheint eigentlich kontraintuitiv. Und doch kann selbst so ein auf den ersten Blick alltäglich anmutendes Gewächs die Kreativität eines frischen Geistes anregen. So geschehen im Jahr 1924, als ein italienischer Komponist ausgerechnet diesen Baum zum Anlass nahm, um eine etwa 20 Minuten lange Sinfonische Dichtung zu schreiben.

Dabei denkt man im Bezug auf das Jahr 1924 eigentlich an die Anfänge der Neuen Musik und nicht (mehr) an Programmmusik. Von Richard Strauss haben schon Jahre zuvor die Opern Salome und Elektra das harmonische Spektrum gesprengt, musikalischer Impressionismus und Atonalität feiern ihre Einzüge in die Europäische Musikkultur und nur 4 Jahre später wird Schönberg mit seiner Orchestervariation die Dodekaphonie einem breiten Publikum vorstellen. Und dennoch ist das heute betrachtete Werk alles andere, als Avantgardistische Gedankenturnerei. Ob es vielleicht auch deshalb so selten gespielt wird?

Der 1879 in Bologna geborene Ottorino Respighi gilt als führender Vertreter der neueren italienischen Instrumentalmusik. Obwohl er Zeit seines Lebens musikalisch tätig war und sich bereits um die 1900er-Jahre als Bratschist einen Namen erarbeitete, erfuhr er seinen Durchbruch vor allem durch die Sinfonische Dichtung „Fontane di Roma“ – zu Deutsch: Die Brunnen von Rom. Mit dieser begann er einen Zyklus Sinfonischer Dichtungen (allgemein als „Römische Trilogie“ bekannt) über die geschichtsträchtige italienische Metropole.

Innerhalb dieser Trilogie aus „Brunnen von Rom“, „Pinien von Rom“ und „Festen von Rom“ (über die sicher auch noch zu schreiben sein wird) nehmen die „Pinien von Rom“ als mittlere Komposition eine Sonderstellung ein. Dieses stimmungsvolle und abwechslungsreiche Werk in 4 Sätzen kann dabei nicht nur durch Klangpracht und Kreativität bezaubern. Es ist durch die 6 verlangten Buccinen (historische Fanfaren aus dem Römischen Reich) auch mit am größten besetzt.

Der Einstieg kann bereits durch schillernde Klangfarben ergreifen. Bei der Vorstellung der Motive flirrt und strahlt es durch alle Orchestergruppen. Unvermittelt aber nicht minder schön wandert der Fokus der Musik von einem Instrument zum Anderen – ständige Abwechslung ist die Folge. Was musikalisch ab und an etwas verwirrend anmutet, macht aber spätestens dann Sinn, wenn man das Programm zuzieht, das Respighi zugrunde gelegt hat: Kinder, die in der Villa Borghese zwischen den Pinien im Garten spielen, durcheinander schreien und schließlich abrupt davonlaufen. So, wie auch die Musik, die ganz unerwartet nach gut zweieinhalb Minuten einfach abbricht.

Quelle: https://www.tickets-rome.com/de/borghese-gallery/location-directions-getting-there/)

Mit dem zweiten Satz schafft Respighi einen spannenden Kontrast zum vorangegangenen Farbenspiel. Die Pinien bei einer Katakombe erstrahlen in einer musikalischen Tristesse, wie man sie von Totenfeiern her kennt. Das absolute Gegenteil zur Heiterkeit und Impulsivität des ersten Satzes. Und doch kann man diesem Satz seine Feierlichkeit nicht absprechen. Alleine der Wechsel der durch tiefes Grollen begleiteten Hornmotive hin zu einer sehnsüchtig schmachtenden Flötenmotivmelodie verzaubert. Die Trompete aus der Ferne, die dann übernimmt, macht den Klangeindruck von Sehnsucht und Fernweh perfekt. Ein ganz und gar ergreifendes Stimmungsbild, das sogar bis hin zu einem hymnischen Ausbruch führt.

Im dritten Satz wendet Respighi die Szene hin zum Janiculum – dem heutzutage touristisch wohl bekanntesten Hügel in Rom, der sich entlang des rechten Tiberufers bis zur Vatikanstadt erstreckt. Geradezu verspielt perlen die ersten Klänge übers Klavier, bevor die Klarinette in einem traumhaft schönen Solo zu zarten Streicherklängen übernimmt. Diese sehr atmosphärische Szene läd in der Tat zum Schwelgen ein – spätestens als die Streicher zu wiegenden Klavierlauten, vollen Klangspielen von Harfe und Celesta oder zu zarten Einwürfen der Bläser die Melodie vollends bestimmen. Das ist Musik zum Wohlfühlen. Interessant auch: Respighi sieht in seiner Partitur den Gesang einer Nachtigall vor, der von einer Live-Aufnahme dieses Vogels abzuspielen ist.

Quelle: https://rome.us/hills/janiculum.html

Auch beim Übergang vom dritten in den vierten Satz ist das Klavier wieder hauptsächlich beteiligt. Diesmal jedoch steigt es über rhythmisch stark konnotierte Figuren begleitet von einer Bassklarinette ein und stellt die Pinien der Via Appia vor. Diese bereits 312 v. Chr. gebaute Straße ist selbst bis heute noch eine der vielgenutzten Verbindungen zwischen Rom und zunächst Capua, später dann Brindisi. Dementsprechend lassen sich diese rhythmischen Figuren im Klavier als Wanderschritte über die Straße deuten.

Unterlegt wird dieses stete Schreiten auch durch erneut grummelnde Laute des Schlagzeugs, bevor zunächst Soli im Englischhorn und Fagott die Szene beschreiben. Mit dem Einsatz der Buccinen-Fanfaren aus der Ferne nimmt das Geschehen dann Fahrt auf und mündet in den triumphalen Höhepunkt mit Orgel und vollem Orchester, der den feierlichen Heereszug eines Konsuls und seiner Truppen in Richtung Kapitol darstellen soll. Ein furioses Schauspiel, das auch zu Recht das Finale einer ganz und gar faszinierenden Komposition markiert.

Man merkt also – obwohl Respighi seine Musik in den Namen einer unscheinbaren Baumart gestellt hat, ist das Spannende vor allem, was im Umfeld dieser Gewächse passiert. Die schillernden Szenen, die er in Musik gegossen hat, vermitteln eindrucksvoll eine Lebenswelt, die von tausende Jahre alter Kultur geprägt ist und zugleich selbst bis heute noch fasziniert.

Quelle: https://www.turismoroma.it/de/itineraries/la-appia-antica)

Eine Musik, die eigentlich viel häufiger in unsere Konzertsäle gehört. Es ist daher umso ärgerlicher, wenn sie endlich einmal auf dem Spielplan steht und dann doch ungehört bleibt, weil aus gesundheitlichen Gründen Programmänderungen erfolgen. So, wie dies in Köln in einer Woche der Fall ist. Es bleibt daher nur zu hoffen, dass zeitnah eine Wiedergutmachung erfolgt und Respighi doch noch zur Aufführung findet. Es ist die Sache wert!

Daniel Janz, 21. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

Daniel Janz, Jahrgang 1987, Autor, Musikkritiker und Komponist, studiert Musikwissenschaft im Master. Klassische Musik war schon früh wichtig für den Sohn eines Berliner Organisten und einer niederländischen Pianistin. Trotz Klavierunterricht inklusive Eigenkompositionen entschied er sich gegen eine Musikerkarriere und begann ein Studium der Nanotechnologie, später Chemie, bis es ihn schließlich zur Musikwissenschaft zog. Begleitet von privatem Kompositionsunterricht schrieb er 2020 seinen Bachelor über Heldenfiguren bei Richard Strauss. Seitdem forscht er zum Thema Musik und Emotionen und setzt sich als Studienganggutachter aktiv für Lehrangebot und -qualität ein. Seine erste Musikkritik verfasste er 2017 für Klassik-begeistert. Mit Fokus auf Köln kann er inzwischen auch auf musikjournalistische Arbeit in Österreich, Russland und den Niederlanden sowie Studienarbeiten und Orchesteraufenthalte in Belgien zurückblicken. Seinen Vorbildern Strauss und Mahler folgend fragt er am liebsten, wann Musik ihre angestrebte Wirkung und einen klaren Ausdruck erzielt.

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Ein Gedanke zu „Daniels vergessene Klassiker Nr. 9: Ottorino Respighi – „Die Pinien von Rom“
klassik-begeistert.de, 21. November 2022“

  1. Man kann gar nicht genug Aufmerksamkeit auf die Werke von Ottorino Respighi und seine unverwechselbare Tonsprache lenken! Er versteht es, seine Experimentierfreude mit Harmonik und Klangfarbe in einer so freundlichen Art ausleben, dass das Hinhören einfach nur noch beglückend ist.

    Dr. Lorenz Kerscher

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