Jonas Kaufmann ist kein Meistersinger

Die Meistersinger von Nürnberg,  R. Wagner, Bayerische Staatsoper

Foto: Hösl ©
Die Meistersinger von Nürnberg, Richard Wagner
Bayerische Staatsoper, München, 31. Juli 2016

Er ist ein Sänger, der bei Millionen Fans weltweit Gänsehautgefühl zu erzeugen vermag: Jonas Kaufmann, der Jahrhundert-Tenor aus München. Was er am letzten Abend der Münchner Opernfestspiele als Walther von Stolzing in Richard Wagners komischer Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ ablieferte, war indes Meilen entfernt von seinem erwärmenden, melodisch-ergreifenden Gesangsvermögen. Der Abend geriet für den Münchner stimmlich daneben – was sich in nur höflichem Beifall nach der viereinhalbstündigen Aufführung manifestierte.

Vom ersten bis zum dritten Aufzug vermochte sich Jonas Kaufmann kaum gegen das glänzend aufspielende Bayerische Staatsorchester unter dem sehr differenzierten Dirigat von Kirill Petrenko und seine Mitstreiter auf der Bühne durchzusetzen; im Vergleich mit den anderen Solisten wirkte er – an diesem Abend – überfordert. War er stimmlich indisponiert? Hat er zu viel gesungen? Viele Spitzentöne sang Kaufmann falsch und zögerlich an, es mangelte an Stimmschönheit und an seinem berühmten Schmelz.

Dieses Defizit hatte sich bereits während der Klassik-Gala im Festspielhaus Baden-Baden offenbart, die vom ZDF am 24.  Juli (3Sat: 13. August) einem Millionenpublikum dargeboten wurde. Auch hier haderte Kaufmann mit den Höhen und war im Quartett mit Anja Harteros, Ekaterina Gubanova und Bryn Terfel der schwächste Sänger.

Das Publikum in der Bayerischen Staatsoper war von der Leistung Kaufmanns denn auch durchweg enttäuscht: „Jonas Kaufmann übernimmt sich stimmlich und mutet sich zu viel zu“, sagte Angela Bauer, 66, aus Hohenthann bei München. „Schauspielerisch ist er sehr vielseitig, sein Gesang hingegen ist schwach und kaum differenziert.“ Thomas Schade, 54, aus Frankfurt/Main hat Jonas Kaufmann schon in London, New York, Wien, Zürich, Paris, Frankfurt, Baden-Baden, Berlin und München gehört. „An eine so schwache Darbietung kann ich mich nicht erinnern“, sagte der Frankfurter. „Kaufmann scheint sehr labil in der Stimmqualität. Als Andrea Chénier, Fidelio und Cavaradossi in ‚Tosca‘ singt er herausragend schön.“ Und Ute Multrus, 52, aus dem bayerischen Hiltenfingen sagte, „der Kaufmann geht ein bisserl unter in der Gesamtdarbietung. Ich denke, er ist für Wagner nicht so geeignet.“

Ein sehr sportliches Tempo schlägt Kirill Petrenko in der Meistersinger- Ouvertüre an. „Schlank, sehnig und dabei geschmeidig zeigt das Bayerische Staatsorchester seine Muskeln: die Streicher mal samtig, wie Bierschaum, mal messerscharf im unisono, die Holzbläser fein und akkurat, wie geschnitzt, das Blech, tief und dunkel wie der Bayerische Wald. Das Orchester ist gewappnet für den Wettkampf der Meistersinger“, schreibt BR Klassik zur Premiere.

Schon zu seinen Lebzeiten im 16. Jahrhundert war Hans Sachs eine Berühmtheit und als reformatorisch denkender Spruchdichter und Theaterautor hoch angesehen. Und spätestens mit Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ wurde er zum Inbegriff einer städtischen bürgerlichen Kultur: Der Schuster Sachs wird von Wagner als Vertreter einer positiv verstandenen, aber reformbedürftigen Traditionsinstitution gezeichnet. In seiner Begegnung mit dem Junker Walther von Stolzing gelingt ihm sein eigentliches Meisterstück, nämlich die vorwärtsdrängende subjektivistische Kunst von Walther, der sich nicht im geringsten für die Tradition der Meister interessiert und nur seinem eigenen Liebesglück verpflichtet handelt, in eine Form zu gießen, die von allen verstanden und akzeptiert wird.

Der Bariton Wolfgang Koch als Hans Sachs ist der vielumjubelte Star an diesem Abend, auch wenn ihm in den Höhen nicht alles einhundertprozentig gelingt. Sein Bariton hat Fülle und ist dynamisch. Die Rolle des Sachs ist dem Bayerischen Kammersänger auf den Leib geschnitten, er ist ein begnadete Wagner-Interpret. Ja, er ist die Idealbesetzung für den Hans Sachs, man kann sich keinen besseren Hans Sachs vorstellen. Mühelos singt er über das Orchester hinweg und das immer sehr textverständlich.

Auch Christoph Fischesser als Veit Pogner überzeugt mit einer sehr warmen und sonoren Stimme, die wunderbar durchdringt. Der Bariton Martin Gantner gibt einen tragikomischen Sixtus Beckmesser ab, der sich ganz zum Schluss auf der Bühne umbringt. Alle Meister, im Charakter gesetzte Handwerker, werden sehr differenziert dargestellt. Herausragend ist auch der Tenor Benjamin Bruns als Lehrbube Sachsens, von dessen Frische sich Jonas Kaufmann an diesem Abend eine kräftige Scheibe abschneiden kann. Die beiden Frauenpartien – die Sopranistin Sara Jakubiak als Eva und die Mezzosopranistin Okka von der Damerau (die am Abend zuvor schon als Ulrica in Verdis „Maskenball“ geglänzt hatte) als Magdalena – bestechen in allen drei Aufzügen mit kräftiger Klangschönheit.

Der Regisseur David Bösch versetzt die Zuschauer in einen nicht näher definierten Zeitraum nach dem 2. Weltkrieg. An die Wand projizierte Zeitungsausschnitte, Satellitenschüsseln und das Fahrzeug eines Sponsoren, Anfang des Jahrtausends gebaut, geben Anhaltspunkte. „Er erzählt einfach ‚nur‘ eine Geschichte, ohne dabei simpel zu sein“, schreibt BR Klassik zur Premiere. „Und er bleibt herrlich nah am Textbuch von Richard Wagner.“ Der Meister persönlich bekommt sogar einen Auftritt  als Büste. Hier zeigt sich Böschs feiner Sinn für Humor: Der Gehilfe von Hans Sachs poliert Wagners Schädel mit Glasreiniger und parliert dabei über die Regeln der Meistersinger. Diese Tabulatur  mutet mindestens so kompliziert an wie Einsteins Relativitätstheorie. Stolzing versteht kein Wort und zertrümmert grollend Wagners Konterfei. Dann dampft er ab in Nürnbergs Gassen.“

Besonders eindringlich inszeniert David Bösch die Massenszenen am Ende des zweiten und dritten Aufzuges – hier kommen der Chor und der Extrachor der Bayerischen Staatsoper mit ihrem satten Volumen voll zur Geltung. Schade, dass Jonas Kaufmann mit seiner gesanglich – nicht schauspielerisch – unterdurchschnittlichen Leistung einen kleinen Schatten auf den Abschluss von ganz herausragenden Münchner Opernfestspielen gelegt hat. Nur ganz zum Schluss, als der Tenor sein Meistersingerlied vorträgt, blitzt ein ganz klein wenig seiner außerordentlichen Klasse auf: „Morgenlich leuchtend“.

Andreas Schmidt
Klassik-begeistert.de

8 Gedanken zu „Die Meistersinger von Nürnberg,
R. Wagner, Bayerische Staatsoper“

  1. Der Jonas Kaufmann kommt völlig demontiert daher, als stimmlich indisponierter Auszubildender; das ist harter Tobak!
    Nun gut, die Wahrheit soll nicht verschwiegen werden; vielleicht ist es tatsächlich so, wir wissen, dass Sänger im Hamsterrad umjubelter Weltstars verheizt werden.
    Und der „Jonas“, nennen wir ihn mal beim Vornamen, ist eine arme Wurscht, der immer nur noch Höchstleistung bringen muss.
    Wehe, wenn das dann nicht wird – ja, dann kommen die Kritiker…
    Aber das Publikum, die Leserschaft will auch Unverblümtheit, dass Dinge beim Namen genannt werden, nicht brutal blöd wie Bild, doch „a weng Würze derfs scho sein“!
    Insofern lautet das Fazit: der Schweini ist ein guter Mann, doch alles hat ein Ende! Vielleicht singt der Jonas jetzt auch nicht mehr Wagner und wirft seine Büste vom Klavier.

  2. Der Lohengrin in Paris war grandios (selbst da gewesen!). Wenn mal an einem Abend nicht alles supersupersuper rüberkommt, geht die Welt nicht gleich unter!
    Ein bissel genauer hinhören, hinschauen und mitdenken!
    Waltraud Becker

  3. …Tatsächlich war ich vor 10 Jahren sehr neugierig und habe mich auf die Entwicklung von Herrn Kaufmann gefreut. Das ist vorbei. Alles hat mittlerweile mit der unzureichend ausgebildeten und nicht gut sitzenden Stimme zu tun. Die schlechte hohe Mittellage führt zu immer stärker werdenden und deshalb hörbaren Problemen. Die Stimmbanderkrankung war schlimm, jedoch Folge der nicht hinreichenden Stimme für viele Partien. Kaufmann ist weder Otello noch Tristan. Wie die SZ einmal sinngemäß über ihn geschrieben hat, „was andere einfach singen, muss Kaufmann darstellen“. Er wird es mit nun 50 Jahren auch nicht mehr. Anstatt – wie Vorgänger – sich auf geeignete Rollen zu konzentrieren, verfolgen Management und Sänger die einerseits wirtschaftliche, künstlerisch jedoch gefährliche Strategie des „mit dieser Stimme kann alles gesungen werden“. Das ist sowohl historisch als auch aktuell falsch. Die großen und Größten seiner Zunft hätten Herrn Kaufmann genug Orientierung geben können. Er hat sich für diese Strategie entschieden. Und ich mich dafür, mir diesen Sänger nicht weiter anzuhören. Es lohnt nicht.
    Andere mögen das anders sehen, und das ist ihr gutes Recht.

    Konrad Messerer

    1. Ohne mir selbst ein Urteil bilden zu wollen, schießen mir bei ihrem Kommentar Ioan Holenders Worte in den Kopf, die er erst kürzlich in einem Interview der österreichischen Tageszeitung Kurier von sich gegeben hat: „Niemand konnte und kann Schubert, Operette, Verdi, Massenet, Richard Strauss und Wagner gleichzeitig entsprechend singen, so wie niemand gleichzeitig Flieger, Rennfahrer und Bergsteiger sein kann.“
      Jürgen Pathy

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert