Der Freiburger Oratorienchor bewegt mit Klageliedern

Christuskirche Freiburg, 26. November 2017
Lamentationes in Vertonungen u.a. von Tallis, Byrd, Couperin, Poulenc, Purcell
Freiburger Oratorienchor
Bernhard Gärtner Leitung
Johanna Prielmann Sopran
Julia Werner Alt
Gesine Queyras Cello
Nils Pfeffer Theorbe
Kirsten Galm Orgel

von Leah Biebert        

Welche Art von Musik passt am Totensonntag besser als Klagegesänge? Vierzehn Lamentationen hatte der Freiburger Oratorienchor am Sonntag im Programm, darunter auch Solowerke für Orgel und Theorbe. Von den Lamentationes Jeremiae von Thomas Tallis über François Poulencs Motetten Timor et tremor und Tenebrae factae sunt bis hin zu zwei Psalmen aus Johann Herrmann Scheins Fontana d’Israel: Die Sängerinnen und Sänger sorgten an diesem düsteren Novemberabend für Besinnlichkeit und Zuversicht.

„Es beginnt das Klagelied des Propheten Jeremias.“ Sanft tragen die Frauen den lateinischen Anfangsvers von Tallis‘ Lamentationes Jeremiae vor und entführen das Publikum in die Welt der polyphonen Lamentation des 16. Jahrhunderts. Der Vortrag des Chors ist ergreifend; die Melodie zur Mahnung „Jerusalem, kehre zurück zum Herrn, Deinem Gott!“ schwebt durch den Kirchenraum.

Bei Rudolf Mauersbergers Wie liegt die Stadt so wüst löst die Entrüstung das Feingefühl der Tallis-Vertonung ab. Die Tenöre brüllen ihren Unmut geradezu heraus, erregt beklagen sie die Ungerechtigkeit. Mauersberger verfasste seine Motette anlässlich der Dresdner Bombennacht im Februar 1945; der Freiburger Oratorienchor spannt damit einen Bogen vom Spätmittelalter bis hin ins 20. Jahrhundert und versteht es, jedes Werk auf die ihm eigene angemessene Weise vorzutragen.

François Couperins Vertonung Manuam suam misit führt wieder zurück zu Hingabe und Zartgefühl. Die beiden Solistinnen Johanna Prielmann und Julia Werner öffnen und schließen die einzelnen Phrasen gefühlvoll, begleitet von Kirsten Galm am Continuo. Prielmann ist im Sopran etwas geschmeidiger als Werner im Alt, die weniger zu Verzierungen neigt. Dies tut dem Anmut des Gesangs aber keinen Abbruch, im Gegenteil: Die beiden Sängerinnen ergänzen sich wunderbar. Stabilität im Alt und im Sopran Beweglichkeit: Authentisch ahmen beide Frauen das Seufzen von Jerusalems Bewohnern angesichts ihres Schmerzes nach.

Die Festigkeit von Werners Stimme ist für die klare Textdeklamation in Henry Purcells Let mine eyes run down wiederum besser geeignet als Prielmanns schmiegsamer Sopran. Die Abschnitte des Stücks wechseln von Einstimmigkeit bis zur Fünfstimmigkeit. Hier zeigt der Chor, dass er auch zu beschwichtigenden Tönen fähig ist. Während die Kraft der Männerstimmen bei Francis Poulencs Timor und Tremor im wahrsten Sinne des Wortes noch „Furcht und Zittern“ im Publikum herzurufen vermochten, stellt die letzte Strophe von Purcells Komposition eine Art auflösendes Moment dar: Nach all dem Klagen und Zweifeln stimmen die Solisten in den freudvollen Chor ein. „Therefore we will wait upon thee.“ – „Daher wollen wir dir weiter dienen.“ Die zuversichtlichen Schlussverse und der beschwingte Vortrag des Chors hätten gut ans Ende des Konzertes gepasst.

Um das Publikum nicht mit der Wucht des Gesangs zu erschlagen, sind den Chornummern je zwei Solowerke für Continuo und Theorbe zwischengeschaltet. Auch diese stehen im Kontext der Klage. Kirsten Galms interpretiert die Pavana Lachrimae von Jan P. Sweelink sowie Liszts Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen sehr individuell, sein Spiel auf dem Continuo ist detailliert und verspielt. Die Stücke von Robert de Visée (Courante und Plainte ou Tombeau) für Theorbe bieten willkommene Atempausen von der Intensivität der übrigen Musik. Dass Nils Pfeffer in den Aufschlägen meist unsicher ist, fällt zwar auf, ist aber angesichts des ansonsten flüssigen Spiels nicht weiter schlimm.

Am Ende des Konzerts stehen zwei Chorstücke von Johann Hermann Schein, Ach Herr, ach meiner schone und Herr, lass meine Klage für dich kommen. Der Chor scheint des Lamentierens mittlerweile müde zu sein, doch für die Errettung durch Gott raffen sich die Sängerinnen und Sänger noch einmal auf und starten mit frischer Energie in die letzten Verse. Die schnellen Melodieläufe und der Wechselgesang zwischen den Stimmblöcken sind raffiniert umgesetzt, der Psalm wirkt aber als Schluss nicht gut. Nach dem Verklingen des Gesangs hat man das Gefühl, als stünde noch etwas im Raum, das der Auflösung bedürftig ist.

Draußen in der kalten Herbstluft bleibt der Eindruck, dass die Klagegesänge aus dem Ritus der römisch-katholischen Kirche auch heute von ihrer Aktualität und ihrer Brillanz nichts verloren haben. Das mag vor allem an dem ergreifenden Vortrag des Freiburger Oratorienchores unter der Leitung von Bernhard Gärtner gelegen haben, der sich über ein gelungenes Konzert freuen darf.

Leah Biebert, 27. November 2017, für
klassik-begeistert.de

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