Gürzenich-Orchester Köln: Jungstar Lahav Shani fehlte es ein wenig an Feingefühl

Gürzenich-Orchester Köln, Lahav Shani, Chen Reiss,  Kölner Philharmonie

Foto: Lahav Shani © Marco Borggreve
Gürzenich-Orchester Köln

Kölner Philharmonie, 14. November 2017
Lahav Shani Klavier und Leitung
Chen Reiss Sopran
Felix Mendelssohn Bartholdy – Ouvertüre „Meeresstille und glückliche Fahrt“
Wolfgang Amadeus Mozart – „Ch’io mi scordi di te?“ – „Non temer, amato bene“ KV 505
Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 4 G-Dur für Orchester mit Sopransolo (1899 – 1900; 1902 – 1910)

Von Daniel Janz

„Spitzenklasse“, „Weltstars“ und „ernsthaft“ – diese Worte fallen, wenn von den israelischen Künstlern Chen Reiss und Lahav Shani die Rede ist. Gemeinsam mit dem Gürzenich-Orchester Köln versprach es ein hochkarätiger Abend in der Kölner Philharmonie zu werden. Das Programm war mit Mendelssohn Bartholdy, Mozart und Mahler gut ausgewählt. Am Ende fehlten zu einer perfekten Aufführung die Konsequenz zur Schärfe im Detail und die Klarheit im Ausdruck.

Die Interpretation von Felix Mendelssohn Bartholdys Ouvertüre über zwei Gedichte Goethes zeigte, was fehlte. „Tiefe Stille herrscht im Wasser“ heißt es im ersten Gedicht, das Grundlage für dieses Werk des deutschen Komponisten jüdischer Abstammung ist. Der 28 Jahre alte Gastdirigent Lahav Shani, ab 2018 Chefdirigent des Rotterdam Philharmonic Orchestra, lässt die ersten Takte zu schnell aufspielen. Windstille entsteht hier nicht. Eher ein angespanntes Warten. Shanis Dirigat ist an diesem Abend sehr bewegt, teilweise sogar ein wenig hektisch.

Als das Orchester Fahrt aufnimmt, bekommen Goethes Worte Bedeutung: „Die Nebel zerreißen, der Himmel ist helle, und Äolus löset das ängstliche Band. Es säuseln die Winde, es rührt sich der Schiffer.“ Der literarischen Vorlage steht dieser Part in nichts nach.

Die Auswahl von Naturtrompeten überrascht, die Instrumente wegen unsauberer Intonation in der Schlussfanfare. Mit historischer Aufführungspraxis lässt sich das nicht erklären, denn anstelle eines Serpenten und einer Ophikleide lässt Shani mit einer zeitgemäßen Tenortuba und mit modernen Ventilhörnern spielen.

Hohe Erwartungen weckt Mozarts Kunstlied „Ch’io mi scordi di te?“. Mit seinen schnellen Wechseln und bewegten Partien gehört es im Bereich Gesang zur Königsklasse. Für diese Herausforderung hat Shani sich seine gute Freundin und Sängerin Chen Reiss, 38, kommen lassen. Den grazilen Klavierpart übernimmt er selbst, wie einst Wolfgang Amadeus Mozart. Technisch versetzen beide das Publikum durch Leichtigkeit und klare Tongebung ins Staunen. Besonders bei den hohen Tönen beweist die im irsaelischen Herzliya geborene Sopranistin eine starke Klangkraft ohne Schrille. Ihre Artikulation ist an diesem Abend nicht immer deutlich.

Der Auftritt von Chen Reiss hat etwas Opernhaftes, als sie Ende des dritten Satzes von Gustav Mahlers 4. Symphonie engelhaft in einem himmelblauen Kleid auf die Bühne zurückzuschweben scheint. Sie verleiht dem hoch ironischen Text über das „himmlische Leben“ nicht die notwendige Schärfe. Die Pointen über den Kinderschlächter Herodes, der zum himmlischen Fest das Jesuslamm schlachtet, und über Petrus, der seine Fische der Köchin Sankt Martha hinwirft, zünden nicht.

Die Aufführung von Mahlers 4. Symphonie zeigt den Unterschied zwischen einem guten Orchester und einem herausragenden Orchester. Im zweiten Satz spielt die Solo-Violine zu leise und wird von den anderen, tadellos spielenden Instrumenten überlagert. Den dritten Satz, das Herzstück dieser Symphonie, dirigiert Shani stellenweise zu schnell, wodurch er enorm an Dramatik einbüßt. Wie schon bei Mendelssohn Bartholdy fehlt es dem jungen Dirigenten auch hier noch ein wenig an Feingefühl.

Die bewegten, schnellen Stellen liegen Shani und dem Gürzenich-Orchester Köln. Der erste Satz mit dem Tanz eines Narren zur Melodie von „Es tanzt ein Bibabutzemann“ bewegt und reißt das Publikum bis zu einem kurzen Zwischenapplaus mit. Auch die verspielten Soli der Holzbläser und des ersten Horns sind großartig.

Es bleibt ein zufriedenes Publikum zurück. Wer ins Konzert gegangen ist, um ein gutes Orchester mit einer guten Sopranistin und einem guten Dirigenten zu genießen, ist vollkommen auf seine Kosten gekommen. Wer aber, wie vor Beginn der Vorführung versprochen, auf „Weltklasse“ gesetzt hatte, für den hielt diese Darbietung den ein oder anderen Wermutstropfen bereit.

Daniel Janz, 16. November 2017, für
klassik-begeistert.de

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