Dieses Orchester ist beim besten Willen kein klassisches Jugendorchester im eigentlichen Sinne!

Gustav Mahler Jugendorchester · Metzmacher, Felsenreitschule, 25. August 2017

Foto © Salzburger Festspiele / Marco Borrelli
Gustav Mahler Jugendorchester · Metzmacher, Salzburger Festspiele Felsenreitschule, 25. August 2017

Musikalische Leitung: Ingo Metzmacher
Klavier: Jean-Yves Thibaudet
Gustav Mahler Jugendorchester

Arnold Schönberg: Begleitungsmusik zu e. Lichtspielscene, op. 34 George Gershwin: Klavierkonzert F-Dur
Béla Bartók: Der wunderbare Mandarin, op. 19, Sz. 73
Maurice Ravel: Suite Nr. 2 aus Daphnis et Chloé

von Raphael Eckardt

Wenn das Gustav Mahler Jugendorchester in den großen Konzertsälen dieser Welt gastiert, wird bereits beim Zuhören schnell klar: Dieses Orchester ist beim besten Willen kein klassisches Jugendorchester im eigentlichen Sinne. Mit einer Altersobergrenze von 26 Jahren setzt es sich nicht nur aus den besten jugendlichen Nachwuchsmusikern Europas, sondern auch aus vielversprechenden Hochschulabsolventen zusammen, denen allesamt gute Chancen auf eine zukünftige Solistenkarriere eingeräumt werden. Die Crème de la Crème des musikalischen Nachwuchses eben – in einem Orchester vereint. Da verwundert es kaum, dass von diesem Ensemble in den letzten Jahren immer wieder hochkomplexe Werke großer Komponisten mit außergewöhnlichem musikalischem Facettenreichtum dargeboten worden sind. Das resultiert vermutlich genau daraus, dass sich viele stark solistisch geprägte Musiker plötzlich zum gemeinsamen Musizieren treffen: Da bringt jeder eine eigene Lebensgeschichte mit. Eigene Interpretationen, eigene Spieltechniken – all das trifft in seiner jugendlichen Reinform zusammen. Man lässt sich gegenseitig inspirieren, man wendet sich von dem oft vorherrschenden Konkurrenzdruck für einen Augenblick ab. Kurz: Man lässt der Musik gemeinsam ihren freien, jugendlichen Lauf.

Mit Ingo Metzmacher konnte für die aktuelle Projektphase ein Dirigent gewonnen werden, der beim Gustav Mahler Jugendorchester kein Unbekannter mehr ist. Nach 2003, 2005 und 2009 gastiert der gebürtige Hannoveraner aktuell zum vierten Mal beim GMJ. In jeder seiner Arbeitsphasen konnte Metzmacher für besondere musikalische Highlights sorgen. Und das sollte an diesem Abend bei den Salzburger Festspielen nicht anders sein.

Mit Arnold Schönbergs Begleitungsmusik zu einer Lichtspielscene op. 34 wird gleich zu Beginn des Konzerts klar, auf welch außergewöhnlich musikalische Klasse man sich an diesem Abend freuen darf. Denn viel besser als Metzmacher und das GMJ kann man Schönbergs Musik kaum interpretieren! Durch glasklare, elementare Formen errichtet Metzmacher ein eisblaues Klangschloss, dessen zahlreiche Detailarbeiten und Schnörkel erst bei genauem Hinsehen ins Auge fallen. Hier eine magische Silhouette, da ein mystisch anmutender Drache: Das Gustav Mahler Jugendorchester präsentiert Stilbrüche in ihrer Reinform, die zusammengesetzt ein Gebilde ergeben sollten, das etwas unwahrscheinlich Zauberhaftes in sich trug. Schönberg und Jugendstil: Das passt an diesem Abend gleich in doppeltem Sinne!

Metzmacher lässt sein Orchester in einem undefinierbaren Klangraum schweben und findet so einen goldenen Weg, sich dem Erfinder der Dodekaphonie auf bezaubernde musikalische Weise anzunähern. Bravo!

Bei George Gershwins Klavierkonzert in F-Dur überzeugt vor allem Metzmachers unglaubliche Vielseitigkeit und Dynamik. Durch nuancenreiche Agogik und rhythmische Präzision gelingt dem Gustav Mahler Jugendorchester ein musikalischer Schatz, der vor allem dem Starpianisten des Abends zugute kam. Jean-Yves Thibaudet, der auf den großen Bühnen dieser Welt in erstaunlicher Regelmäßigkeit für außerordentlich feinsinnige Momente sorgt, liefert auch an diesem Abend eine musikalische Weltklasseleistung ab.

Jean-Yves Thibaudet, Klavier Gustav Mahler Jugendorchester Ingo Metzmacher, DirigentBunte Farbtupfer sprühen in explosiven Funkenschwärmen durch den Konzertsaal: Hier ein blauvioletter Feuerregen, da ein sich rot dahinwindender Lichterschweif. Thibaudet fungiert als Architekt eines gewaltigen Feuerwerks: Perfekt in Szene gesetzt, perfekt geplant. Ja, da scheint er wahrlich mit dem Feuer zu spielen! Hier ein markanter Akzent, da eine leicht emporfliegende Tonkette. Nichts wird dem Zufall überlassen: Mit Bedacht, stets um Ordnung bemüht. Das ist kein undefinierbares Chaos, das die Musiker an diesem Abend produzieren. Das ist systematisches Chaos! Und genau das ist der entscheidende Punkt, der Metzmachers Interpretation dieses musikalisch hochkomplexen Werkes vergolden sollte. Fabelhaft!

Bela Bartóks wunderbarer Mandarin besticht vor allem durch erstaunlich präzise Intonation. Das Gustav Mahler Jugendorchester spielt am Rande der technischen Perfektion – und manchmal fast ein wenig darüber hinaus. Alles gelingt grundsolide, besondere musikalische Akzente lassen aber bis zum Ende auf sich warten. Hier und da keimen verschiedene musikalische Fragmente auf, die sich am Ende wie zwei Puzzlestücke verhalten, die nicht recht zusammenpassen wollen. Doch da wird an diesem Abend keiner böse sein: An Bartók-Interpretationen beißen sich in gewisser Regelmäßigkeit auch die absoluten Spitzenorchester dieser Welt ihre Zähne aus. Dass Musiker, denen noch jahrelange Bühnenerfahrung fehlt, hier an ihre Grenzen stoßen, ist menschlich und nachvollziehbar.

Ravels Suite No. 2 (aus Daphnis et Chloé) begeistert zum Abschluss nicht nur mit erstaunlichem Facettenreichtum, sondern auch durch eine unglaubliche, musikalische Reifeleistung. Vor allem die Streicher schaffen hier ein impressionistisches Gemälde, das man nicht besser malen kann. Hier und da werden schroffe Konturen durch zarte Glissandi weichgezeichnet. Verwaschene Lagenwechsel verleihen Ravels Musik einen mystischen Glanz. Die Holzbläsergruppe gibt sich als kecker Insektenhaufen, der wild auf einer bunten Gebirgswiese umherspringt. Mit welchem Farbenreichtum Ravels Musik an diesem Abend erfüllt wird, ist fabelhaft.

Schlussendlich geht in Salzburg ein – gerade für die Festspiele – einzigartiger Konzertabend vorüber, der wohl bei allen Besuchern nachhaltigen Eindruck hinterlassen wird: Durchwoben von jugendlichem Esprit und gleichzeitig von unwahrscheinlicher musikalischer Reife geprägt. Fern von jeglicher Anstrengung, fern vom bei der Jugend oft hochgehandelten Konkurrenzdenken. Ein erfrischender Genuss für das von der musikalischen Weltklasse der Festspiele ohnehin schon verwöhnte Publikum.

Raphael Eckardt, 26. August 2017, für
klassik-begeistert.de

 

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