„Wer selbst gelitten hat, kann niemanden leiden sehen“

Hector Berlioz: Les Troyens
Hamburgische Staatsoper, 2. Februar 2017

von Bianca Heitzer

„Alles ist Ausdruck“: Unter diesem Leitspruch des Komponisten lief am Donnerstagabend die Wiederaufnahme der Oper Les Troyens von Hector Berlioz an der Hamburgischen Staatsoper.

Michael Thalheimers Inszenierung von Berlioz‘ epischem Werk, das lange Zeit unter dem Deckmantel der „Unspielbarkeit“ eine Randerscheinung auf den deutschen Opernspielplänen war, hatte im September 2015 Premiere gefeiert. Doch wie präsentiert man den Zuschauern eine Oper, die eigentlich aus zwei Opern besteht und zu Lebzeiten des Komponisten nie komplett aufgeführt wurde? Michael Thalheimer, der leitende Dramaturg Johannes Blum und Kent Nagano, Generalmusikdirektor und Chefdirigent der Hamburgischen Staatsoper, scheinen die Lösung hierfür im Motto weniger ist mehr gefunden zu haben. Dank der gekürzten Fassung, einer überzeugenden visuellen Schlichtheit sowie einem hohen Maß an musikalischer Konzentration gelingt es, Les Troyens auf das Wesentliche zu reduzieren und die Zuschauer mit Spannung durch den Abend zu führen.

Und was für ein blutiger Abend das doch ist! Das Blut scheint sich, im wahrsten Sinne des Wortes, wie ein roter Faden durch das komplette Stück zu ziehen. Bereits zu Beginn des ersten Akts kann die Seherin Cassandre die Freude der Trojaner über den Abzug der Griechen und das hölzerne Geschenk nicht teilen und sieht stattdessen vor ihrem inneren Auge bereits das Blut durch die Straßen der Stadt fließen. Sie versucht ihre Mitbürger und ihren Verlobten Chorèbe zu warnen – vergeblich.

Das Blut tritt aus den, von Olaf Altmann eindrucksvoll entworfenen Stadtmauern heraus und ergießt sich regenartig über die Bewohner Trojas. Die russische Sopranistin Anna Markarova singt dabei die Rolle der warnenden Cassandre mit Kraft, Wärme und Intensität und unterstreicht zusammen mit Chorèbe, gesungen vom türkischen Bariton Kartal Karagedik, die Zerrissenheit der Figuren zwischen Liebe und politischem Geschehen.

Dass man sich an diesem Abend als Zuschauer nicht entspannt zurücklehnen möchte, wird einem gleich zu Beginn von Les Troyens bewusst. Kent Nagano dirigiert mit ungewohnt großen Gesten und schafft es, das großbesetzte Orchester, den zweigeteilten Chor, sowie die zahlreichen Solisten souverän durch Berlioz‘ berauschende Musik zu führen. Dass dabei die schauspielerische Leistung der Solisten zu Beginn ein bisschen untergeht, ist zwar schade, allerdings entwickelt sich diese spätestens ab dem Auftritt von Andromaque, gespielt von Catrin Striebeck, Ensemblemitglied am Burgtheater Wien, in eine authentische Richtung.

Ein großes Kompliment verdient an diesem Abend der Chor der Hamburger Staatsoper, der sich vom ersten Moment an mit äußerster Klarheit, Präzision und Kraft präsentiert und zu einer mächtigen Einheit formiert.

Am Ende des ersten Teil steht die Stadt Troja dann in Flammen, der Schatten des blutüberströmten Hectors rät Enée nach Italien zu gehen, um ein neues Troja zu gründen und Enée erkennt, dass „die Rettung der Besiegten nicht mehr zu erwarten“ sei.

Nach Applaus für Chor, Orchester und Solisten beginnt nach der Pause schließlich die „zweite Oper“ – der Ort der Handlung ist nun nicht länger Troja, sondern Karthago, das Reich der Königin Didon.

Der russischen Sopranistin Elena Zhidkova – sie singt in Hamburg im März und April die Carmen in Georges Bizets gleichnamiger Oper und im Juni die Eboli in Giuseppe Verdis Oper „Don Carlos“ an der Wiener Staatsoper – gelingt es, in der Rolle der Didon das Publikum nicht nur mit ihrer ausdrucksstarken Mimik und Gestik, sondern auch und vor allem mit ihrer klaren und facettenreichen Stimme in den Bann zu ziehen. Sie singt und agiert mit einer Tiefe und Flexibilität, die man an diesem Abend beim Essener Tenor Torsten Kerl in der Rolle des Enée leider vermisst. Beide überzeugen aber als Paar, das für einen kurzen Moment zueinander findet – besonders in der vielzitierten “chasse royale et orage“-Szene. Dennoch steht dieser Opernabend ganz im Zeichen starker, tragischer Frauenfiguren.

Torsten Kerl war seiner Gesangspartnerin Elena Zhidkova stimmlich eindeutig unterlegen. Zwar sang er die Spitzentöne richtig an, sein Timbre war aber nicht angenehm zu hören; Torsten Kerl sang nasal und gepresst­ – wieder keine gute Aufführung des Tenors an der Hamburgischen Staatsoper nach einer durchwachsenen Aufführung als Herman in „Pique Dame“ von Piotr Tschaikowsky: https://klassik-begeistert.de/pique-dame-p-i-tschaikowsky-hamburgische-staatsoper/

Damals schrieb klassik-begeistert.de: „Seine Darbietung an diesem Abend war nur als mitteldurchwachsen zu bezeichnen – und schloss sich damit nahtlos an die mitteldurchwachsenen Darbietungen an der Hamburgischen Staatsoper als Enée in der Hector-Berlioz-Oper „Les Troyens“ im September 2015, an seine Paraderolle Paul in „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold im November und Dezember 2015 am selben Ort und den Rienzi in Richard Wagners gleichnamiger Oper im Februar 2016 an der Deutschen Oper Berlin an.“

Nachdem Enée dem Ruf nach Italien folgt und Didon verlässt, diese ihren Tod vorbereitet und die Karthager dem zukünftigen Rom Hass und Vergeltung schwören, endet dieser blutig-intensive Abend an der Staatsoper.

Die Zuschauer verlassen das Opernhaus an der Dammtorstraße an diesem Abend vielleicht weniger beschwingt als sonst, nichtsdestotrotz ist Hector Berlioz‘ selten aufgeführte Oper äußerst sehens- und hörenswert. Zumal Didons Ausspruch „Wer selbst gelitten hat, kann niemanden leiden sehen“ und ihr Verständnis für Enées Situation des Vertriebenseins ein wichtiger Impuls für das frisch angebrochene Jahr 2017 sein könnte und Les Troyens, trotz des mythologischen Stoffes, hochaktuell erscheinen lässt.

Bianca Heitzer, 3. Februar 2017, für
klassik-begeistert.de

Ein Gedanke zu „Hector Berlioz, Les Troyens,
Hamburgische Staatsoper“

  1. Frau Garanca hat eine überirdische schöne Stimme. Um so singen zu können, muss man auch über ein schönes Innenleben verfügen. Frau Garanca singt einem direkt ins Herz. Ich wünsche ihr und ihrer Familie alles nur erdenklich Gute und Schöne. Auch das von ihr geschriebene Buch ist grossartig !
    Herzlichste und liebe Grüsse
    Hans Lustenberger

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert