Die Spielzeit an der Staatsoper Hamburg beginnt fantastisch

Jacques Offenbach, „Les Contes d’Hoffmann“ (Premiere),  Staatsoper Hamburg, 4. September 2021

Olga Peretyatko, Chor der Staatsoper Hamburg. Foto: Monika Rittershaus

„Wenn Daniele Finzi Pascas märchenhafte Bilder mit einem fantastischen Solistenensemble zusammentreffen und Offenbachs regenbogenfarbige Partitur in sattem Ton flammt, dann werden Hoffmanns Erzählungen lebendig, dann berühren und begeistern sie.“

Staatsoper Hamburg, 4. September 2021
Jacques Offenbach, „Les Contes d’Hoffmann“ (Premiere)

von Leon Battran

Es war mehr als ein Lebenszeichen, als am Samstag Jacques Offenbachs im besten Wortsinn fantastische Oper „Les Contes d’Hoffmann“ die Spielzeit an der Staatsoper Hamburg eröffnete. Diese zaubrige Musik, die einen nicht loslässt, die bildprächtige Inszenierung, das blendend aufgelegte Gesangsensemble – ein Volltreffer. Genau das brauchte es nach viel zu langer coronabedingter Opern-Abstinenz. Kurzum: Mit „Les Contes d’Hoffmann“ ist der Staatsoper Hamburg ein großer Wurf gelungen. Diese Inszenierung sollte man unbedingt gesehen haben.

Gideon Poppe, Luca Pisaroni, Chor und Komparserie. Foto: Monika Rittershaus

Violinen flirren. Ein Lichtstreif, der in den Flöten aufblitzt. Die Bratschen nehmen Anlauf, dann die Celli. Schunkelnde Flöten. Die beliebte Barcarolle ist nur eines der zahlreichen so bildhaft-eindrücklichen musikalischen Tableaus, die Jacques Offenbach in seinen „Contes d’Hoffmann“ zeichnet. Sanftes Gondolierengeschaukel, das uns wissen lässt, wir sind in Venedig.

Olga Peretyatko, Chor und Komparserie. Foto: Monika Rittershaus

Es ist ein Moment von Nostalgie, wie aus der Vorzeit des Regietheaters, wenn der Vorhang sich öffnet und es im Publikum „Oooh“ und „Aaah“ macht, wenn das Staunen und die Bewunderung so groß sind, dass es in der Staatsoper Hamburg spontanen Szenenapplaus für das Bühnenbild regnet. Die werktreue Inszenierung findet großen Anklang.

Da wird die astronomische Uhr des Torre dell’Orologio zum sich kirmeskarusselartig drehenden Bühnenuntergrund, auf dem sich die Kurtisane Giulietta mit ihrer Entourage, der diabolische Dapertutto, sowie Hoffmann und die als Tauben kostümierten Sbirren zwischen Reiterstatuen, Bronzeglocke und geflügeltem Markuslöwen tummeln. Gleichzeitig wird die gesamte Szenerie durch Spiegelung noch einmal aus der Vogelperspektive sichtbar.

Das Team um den Schweizer Regisseur, Zirkus- und Theaterpraktiker Daniele Finzi Pasca hat hier eine eindrucksvolle und trickreiche, dabei niemals statische Bildsprache voller liebevoller Details geschaffen. Die turmhohen Bühneninstallationen streben zum Himmel empor und eröffnen einen Spielraum nach oben hin, der immer wieder mit artistischer Schwebekunst aufgefüllt werden will, sei es die Figur Klein-Zack, die aus der Höhe herabgelassen wird, um auf der Bartheke ein Tänzchen aufzuführen; eine Doppelgängermuse, die Antonias Schmetterlingskammer wie eine Alpinistin erklimmt, oder die Mutter von Antonia, die als ruheloser Flattergeist von links nach rechts schwebt.

Akrobatin: May-Britt Dettbarn, Luca Pisaroni, Olga Peretyatko, Kristina Stanek, Angela Brower, Benjamin Bernheim. Foto: Monika Rittershaus

In „Les Contes d’Hoffmann“ wird der Dichter selbst zur Hauptfigur dreier am Ende glückloser Liebesgeschichten. Sie erzählen von Hoffmanns Begegnungen mit drei Frauenfiguren: Olympia, Antonia und Giulietta. Wenn dann Finzi Pascas märchenhafte Bilder mit einem fantastischen Solistenensemble zusammentreffen und Offenbachs regenbogenfarbige Partitur in sattem Ton flammt, dann werden Hoffmanns Erzählungen lebendig, dann berühren und begeistern sie.

Dass es angesichts der schwierigen Partitur Offenbachs (vor allem zu Beginn) im Zusammenspiel auch mal holperte und stolperte, soll nicht verschwiegen werden. Mit Beginn des Olympia-Aktes und dem Einsatz der prunkenden Ballmusik aber hatte Generalmusikdirektor Kent Nagano den Feinschliff eingelegt, da glänzte das Philharmonische Staatsorchester Hamburg in neuen Farbtönen und auch der Chor, der teils auf der Bühne, teils in den Logen postiert war, füllte die Staatsoper von allen Seiten mit geballter Klangpower.

Angela Brower, Benjamin Bernheim. Foto: Monika Rittershaus

Power hatte auch der Hoffmann des Benjamin Bernheim. Die zahlreichen heldentenoralen Höhen dieser Partie meisterte der 36-jährige Franzose mit großer Sicherheit. Zuweilen nahm er auch den Druck raus und wechselte in eine bequemere Kopfstimme. Es war sein Debüt als Hoffmann und Bernheim zeigte, dass ihm diese Rolle großartig zu Gesicht steht. Großartig zur Seite stand ihm dabei Angela Brower als Muse. Die US-Amerikanerin sang zum ersten Mal am Haus und gewann mit ihrem beweglichen und beredsamen Mezzo auf Anhieb die Sympathie des Hamburger Publikums.

Olga Peretyatko, ehemaliges Mitglied des Opernstudios der Staatsoper Hamburg, kehrte zurück an die Dammtorstraße und stattete Hoffmanns Liebschaften allesamt mit ihrem gut fokussierten, koloraturfreudigen Sopran aus. Die Chanson der Olympia – schwindelerregende Stimmakrobatik inklusive – beherrscht sie perfekt. Auch die sanften Lyrismen der todkranken Sängerin Antonia liegen ihr, mehr noch als die sinnlich glühende Dramatik der venezianischen Kurtisane Giulietta.

Gideon Poppe, Olga Peretyatko, Jürgen Sacher. Foto: Monika Rittershaus

Auch die Nebenrollen sind stark besetzt: Gideon Poppe sorgt als spielfreudiger Tenorbuffo in einer Mehrfachrolle vor allem als schwerhöriger Hausdiener Frantz für so manches Schmunzeln. Kristina Stanek singt die Mutter mit volltönigem Mezzo. Hervorragend ist Martin Summer in der Doppelrolle Maître Luther/Crespel. Als letzterer tritt er in der schaurig-schönen Ensembleszene im Antonia-Akt mit klarer, sonorer Basslinie hervor.

Einer allein hätte den Besuch schon gelohnt: Luca Pisaroni in der anspruchsvollen Vierfach-Partie der Bösewichte. Diese schien wie gemacht für den 46-jährigen und seinen versatilen Bassbariton. In vier verschiedenen fantastischen Kostümierungen, stets mit extralangen Grinch-Fingern ausgestattet (Kostüme: Giovanna Buzzi), blieb Pisaroni weder die düstere Bassschwärze, noch das heldenbaritonale Leuchten schuldig, das den Lindorf und seine fantastisch-schreckgespenstischen Egos zum Paradestück machen, das der Sopranpartie der Liebschaften Hoffmanns in nichts nachsteht. Chapeau, Monsieur le Conseiller, das war wirklich große Klasse!

Leon Battran, 6. September 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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