Unsre Lieblingsoper (38), ein Lieblingsthema: Pinocchio

Meine Lieblingsoper 38: „Pinocchio“ von Pierangelo Valtinoni

Foto: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Der Komponist machte uns neugierig, haben wir doch am 24.12.2016 im Deutschen Fernsehen eine Christmette aus dem Dom von Hildesheim mit Messliedern von Pierangelo Valtinoni miterlebt. Deshalb besuchten wir in der Wiener Volksoper die Vorstellung vom 8. Januar 2019.

© Dieter Wuschanski Oper Chemnitz Pinocchio: Inga Lampert, Blaue Fee: Judith Kuhn

Wir kannten bisher die Oper „Pinocchios Abenteuer“ von Jonathan Dove aus Chemnitz (2008), wo uns besonders die Fee mit dem türkisblauen Haar in Person von Judith Kuhn im Gedächtnis blieb, die in letzter Zeit die Cio-Cio-San im Stadttheater Bremerhaven und im Landestheater Coburg die Rusalka sang. Noch im selben Jahr 2008 besuchten wir das schwungvolle Musical (Musik: Pavel Singer, Buch und Inszenierung: Beppo Binder) im Stadttheater Baden. Wir wollen die drei Versionen nicht gegeneinander ausspielen. Auch nicht Oper versus Musical. Jedes Werk für sich hat seinen Reiz.

Anscheinend ist Start und Ende eines Musikwerks ähnlich dem Vogelflug mit Schwierigkeiten verbunden, denn weder der Beginn noch das Finale überzeugten bei Valtinoni. Ansonsten bietet die Oper wunderschöne Musik. Dirigent an diesem Abend war Wolfram-Maria Märtig.

Aufsehenerregend ist, wie der als Zeichnung projizierte Pinocchio sich in die zierliche Juliette Khalil auf der Bühne rückverwandelt. Das entzückende Wiener Madl Hannerl aus dem Singspiel „Das Dreimäderlhaus“ (Baden, Sommerarena 2016) ist noch auf solche einschlägigen Rollen spezialisiert, sie trat auch 2014 in der Krypta der Peterskirche in Wien als Gretel in Humperdincks „Hänsel und Gretel“ auf. Sie verlieh dem Pinocchio einen entsprechenden Stimmcharakter.

© Andreas Ivancsics

War es die Idee des Regisseurs, des Librettisten Paolo Madron, die des Dramaturgen Christoph Wagner-Trenkwitz oder sonst welcher „Väter“; die Fee, nicht mit türkisblauen Haaren sondern platinblond, wurde einer erfahrenen Sopranistin (Birgid Steinberger) anvertraut. Die dargestellte Figur entspricht nicht dem Original des Romans von Carlo Collodi. Kardinal Biffi († 2015, emeritierter Erzbischof von Bologna), der mittels Nacherzählung der italienischen Nationaldichtung den Katechismus erläuterte, sieht die Fee in ihrer Widersprüchlichkeit, manchmal unverlässlich und vergleicht sie kühn mit der Kirche, die manchmal auch zu Ärgerlichkeit Anlass gibt.

Illustration von Enrico Mazzanti

Eine schöne Stimme besitzt die siebzehnjährige Sarah Weidinger, die als Colombina und noch mehr als Schnecke glänzte. Die Schnecke wird diesmal nicht nur von der Sängerin verkörpert, sondern wird durch Großbildprojektionen des äußeren und inneren Schneckengehäuses erweitert. In Chemnitz sah man die Darstellerin eine schwere Last schleppen. Wir hörten Sarah Weidinger zwei Jahre zuvor als Liesel in „The Sound of Music“. Acht Jahre davor war sie die siebenjährige Gretel der Familie Trapp. Ihr ebenbürtiger Partner Pulcinella war Anton Puscha, der als Wirt später noch mehr auffiel. Wir hatten das Glück, vor der Aufführung zufällig seine Eltern kennenzulernen.

Eine Reihe schöner dunkler Männerstimmen war zu genießen. Neben dem schon gelobten Bassbariton Anton Puscha imponierte der ehemals an der Bühne Baden nicht optimal eingesetzte Daniel Ohlenschläger (Antonio statt Bartolo, Anselmo statt Gastwirt in „Der Mann von La Mancha“) in der Paraderolle des Geppetto. Der Dritte im Bund war der junge Bassist aus Brandenburg (Zirkusdirektor Mangiafuoco) Maximilian Klakow.

Daniel Ohlenschläger (Geppetto), Juliette Khalil (Pinocchio), Kinderchor – © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Leider entgingen uns die Auftritte des Zweiten Gehilfen des Zirkusdirektors des im achtzehnten Lebensjahr stehenden Leonid Sushon, Schüler des Akademischen Gymnasiums in Wien, den wir von der wichtigen Knabensopranrolle in Bernsteins „Mass“ (Aufführung 2011 Semperdepot) her kennen.

Die vom Ensemble Bühne Baden bekannte und von uns immer gut rezensierte Mezzosopranistin Elvira Soukop gab den Kater, der Tenor Jakob Semotan den Fuchs in großstädtischem Milieu.

Pinocchios Lebensrettung findet im Spital statt. Die zwei Doktoren Antonia Ullreich und Anna Grobauer sind Mitglieder des Jugendchors der Volksoper Wien wie die schon erwähnten Leonid Sushon, Sarah Weidinger und Anton Puscha.

© Barbara Pálffy

Ein Musiktheater erhält durch Chor und Choreografie mehr an Schwung. Das Fehlen dieser Elemente ist oft verantwortlich für den Misserfolg eines sonst guten Stücks, Beispiel das Musical über das Leben Mario Lanzas. Dank sei deswegen all den sprechenden Grillen, Zirkusleuten, Schlaraffenlandfahrern und Unterwassertieren. Die Choreografie lag in den Händen von Bohdana Szivacz, für die Leitung des Kinder- und Jugendchors zeichnen Brigitte Lehr und Lucio Golino. Originelle Kostüme und Outfits schuf Julia Schnittger.

Pierangelo Valtinoni kann mit dieser Realisation höchst zufrieden sein. Auch hier zeigt sich, dass eine Uraufführung (5. Mai 2001 Teatro Olimpico Vicenza) durch eine Neufassung (5. November 2006 Komische Oper Berlin) gewinnen kann. Die Wiener Volksoper brachte die österreichische Erstaufführung im November 2017.

Die Inhaltsangabe im künstlerisch gestalteten Programmheft wird szenenweise mit Bühnenfotos im Hintergrund illustriert. Auch die Güte eines Programmhefts soll einmal lobend erwähnt werden. Es enthält auch eine Abbildung des Schneckenhauses zum Ausmalen und Bastelanleitungen zum Ausschneiden.

© Andreas Ivancsics

Was ist die erste Reaktion Pinocchios, als er vom Meister Geppetto fertig geschnitzt war? Er lacht seinen Schöpfer aus. Für Erzbischof Giacomo Kardinal Biffi eine treffende Paraphrase der biblischen Erzählung vom Sündenfall.

Der pädagogische Wert ist nicht zu unterschätzen. Soll doch Kindern, die sich außer Haus bereits selbständig bewegen, der prüfende Blick gegenüber unbekannten Personen (veranschaulicht durch Kater und Fuchs) geschärft werden. Eine Fernsehserie der Siebzigerjahre kam bei den Kindern damals nicht so gut an, weil Pinocchio immer wieder die gleichen Fehler machte und nicht so gewitzt wie etwa Pippi Langstrumpf auftrat. Bei einer Sendung in Fortsetzungen wirkt sich das sehr nachteilig aus. Die Regie von Philipp M. Krenn läuft dahin hinaus, dass der Hampelmann Pinocchio an einem Abend in wenigen Stunden aus seinen Fehlern lernt, seinen Vater aus dem Wal rettet, durch rücksichtsvolles Verhalten zu den Menschen Reife erlangt und so selbst Mensch wird.

Lothar und Sylvia Schweitzer, 17. Juni 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Meine Lielingsmusik 37: „Widmung“ von Robert Schumann klassik-begeistert.de

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert