Sahnehäubchen zum Spielzeit-Finale: Die Geheimnisse um Mozarts Tod als kongeniales Schau- und Singspiel

MOZART MUSS STERBEN  München, Staatstheater am Gärtnerplatz, 29. Juli 2021

Keine große, aber eine rundum gelungene Produktion, mit viel Einsatz gespielt und gesungen. Für Mozart-Fans ein geführter Spaziergang durch seine Schaffenshöhepunkte. Und das hat man selten gesehen im Münchner Gärtnerplatztheater: Die Schauspieler laufen den Sängern den Rang ab. Beim Schlussapplaus belohnt das Publikum die Sprecherrollen mit Bravi noch vor den Musikern. Verdient haben es aber beide Fraktionen.

München, Staatstheater am Gärtnerplatz, 29. Juli 2021
MOZART MUSS STERBEN – Premiere
Eine theatrale Behauptung

Musik von Wolfgang Amadeus Mozart und Antonio Salieri

Zusammengestellt für das Staatstheater am Gärtnerplatz von Josef E. Köpplinger

von Barbara Hauter

In Anlehnung und unter Verwendung von Zitaten aus Peter Shaffers »Amadeus«, Alexander Puschkins »Mozart und Salieri« sowie Zeitungsmeldungen und Zeitzeugenberichten aus den Jahren 1781 bis 1825

Wien 1823: Auf der Bühne ein Rollstuhl mit einem gebrochenen alten Mann in seiner letzten Lebensnacht. Antonio Salieri, versunken in Selbstgesprächen, hadert mit Gott. Totenglocken schlagen drohend, dunkle Figuren huschen über die karge, dunkle Bühne und raunen von Mord, Gift und Tod. Wien ist die Stadt des Klatsches. Ein paar Takte aus Salieris Requiem erklingen. Salieri selbst stellt die Frage. „War ich’s oder war ich’s nicht?

Es geht um das wohl krimininalistischte Gerücht der Musikgeschichte: Hat Salieri, als Hofkapellmeister Mozarts Kollege in Wien, seinen Rivalen im Dezember 1791 aus Neid und Missgunst beseitigt, weil er in dem Hallodri eine göttliche Genialität erkannte, die er für sich selbst vergebens ersehnte? Alexander Puschkin erhob diese Theorie mit seinem Versdrama »Mozart und Salieri« zur theatralen Legende, gefolgt von Peter Shaffer mit »Amadeus« – »Oscar«-preisgekrönt von Miloš Forman verfilmt. Gärtnerplatz-Intendant Josef E. Köpplinger hat aus den Texten und der Musik von Salieri und Mozart eine „musiktheatrale Behauptung“ zusammengestellt.  Genie trifft auf vermeintliche Mittelmäßigkeit, Text auf Musik, das Ganze verschmilzt zu einem ungewöhnlichen Theaterabend.

Zeitsprung zurück ins Jahr 1781. Salieri führt uns durch sein Leben und seine Begegnungen mit Mozart – anhand von bedeutenden Stücken aus dessen Werken. Erwin Windegger, vor allem als Musicaldarsteller bekannt, gibt den Hofkapellmeister stimmgewaltig und ausdrucksstark. Ein gutes Leben lebt Salieri. Frau, Geld, Schülerinnen – alles passt. Da platzt ein vulgärer, alberner Mozart hinein, überzeugend von dem ebenfalls als Musical-Darsteller ausgebildeten Peter Neustifter hingezaubert. Ein Stückchen aus Mozarts Adagio aus der Serenade Nr. 10 B-Dur erklingt. Dirigent Anthony Bramall lässt sein coronabedingt stark reduziertes Orchester wuchtig und fett besetzt erklingen. Ein Oboenton schwebt über allem – Salieri erkennt das Genie Mozarts und gerät in Panik. „Ich erkannte die wahre Stimme Gottes, die Stimme eines infantilen, obszönen Kindes.“

Die Arie der Konstanze „Martern aller Arten“ aus der „Entführung aus dem Serail“ präsentiert Sopranistin Jennifer O’Loughlin routiniert aber leider textunverständlich. Salieri schmäht das Werk: „Zehn Minuten sinnlose Läufe und Triller.“ Und das berühmte Film-Zitat fällt: Auf die Kritik seiner Majestät, es seien zu viele Noten, antwortet Mozart: „Genau so viele, wie nötig sind.“  Mit jedem Opernstück, das nun folgt, steigert sich Salieris Eifersucht. Anna-Katharina Tonauer glänzt unter anderem mit der Arie des Cherubino aus „Le nozze di Figaro“ und der Arie der Zerlina aus „Don Giovanni“.

Salieri rast, als die „vollkommenste Musik“ erklingt: Das Finale aus „Le nozze di Figaro“. Sechs Stimmen vereinen sich, verschmelzen in Perfektion. Doch der Figaro wird nach nur neun Aufführungen abgesetzt, Mozart ist als Komponist erledigt. Salieri will ihn nun auch noch als Mensch zerstören. Dessen Leben ist auch so reichlich belastet: Übervater Leopold stirbt, Ehefrau Constanze gebiert ein Kind nach dem anderen, unter anderem zum Duett Papagena/Papageno aus „Die Zauberflöte“. Dem Publikum gefällt’s. Tamino Lucian Krasznec wird mit Bravi belohnt, ebenso Timos Sirlantzis „Die Strahlen der Sonne“ aus „Die Zauberflöte“. Mozart schreibt verzweifelt zeitgleich am Requiem, Salieri frisst fast wahnsinnig die Notenblätter. „Zehn Jahre meines Hasses haben dich umgebracht,“ schleudert er Mozart entgegen. Amadeus stirbt zu den Klängen des „Lacrimosa“. Chor und Solisten erschaffen gemeinsam eine fast heilige Stimmung.

Das Schlussbild kehrt zurück zu Salieris letzter Nacht. Er erteilt den Mittelmäßigen eine Absolution und wird damit zu deren Schutzheiligen. Ein paar Akkorde aus der Maurerischen Trauermusik erklingen.

Keine große, aber eine rundum gelungene Produktion, mit viel Einsatz gespielt und gesungen. Für Mozart-Fans ein geführter Spaziergang durch seine Schaffenshöhepunkte. Und das hat man selten gesehen im Münchner Gärtnerplatztheater: Die Schauspieler laufen den Sängern den Rang ab. Beim Schlussapplaus belohnt das Publikum die Sprecherrollen mit Bravi noch vor den Musikern. Verdient haben es aber beide Fraktionen.

Die nächsten Vorstellungen sind Dienstag, 28.12.2021, Mittwoch, 05.01.2022, und Freitag, 14.01.2022.

Barbara Hauter, 30. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

BESETZUNG

Musikalische Leitung: Anthony Bramall

Konzept und Regie: Josef E. Köpplinger

Choreografie: Ricarda Regina Ludigkeit

Mitarbeit Regie: Kim Mira Meyer

Bühne: Heiko Pfützner

Kostüme: Inge Schäffner

Dramaturgie: Michael Alexander Rinz

Antonio Salieri: Erwin Windegger
Wolfgang Amadeus Mozart: Peter Neustifter
Constanze Mozart: Florine Schnitzel
Flüsterer 1: Maximilian Berling
Flüsterer 2: Christian Schleinzer
Kaiser Joseph II: Frank Berg
Mozart als Kind: Titus Maximilian Rinz
Sängerinnen und Sänger: Anna Agathonos, Mária Celeng, Juan Carlos Falcón, Daniel Gutmann, Lucian Krasznec, Ludwig Mittelhammer, Jennifer O’Loughlin, Timos Sirlantzis, Julia Sturzlbaum, Anna-Katharina Tonauer

Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz

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