Theater an der Wien: Ein Ersatzmann mit Engelsstimme nutzt seine Chance

Theater an der Wien, 27. Januar 2018
Niccolò Antonio Zingarelli, Giulietta e Romeo
George Petrou,
Musikalische Leitung
Ann Hallenberg,
Giulietta
Yuriy Mynenko,
Romeo
Daniel Behle,
Everardo
Xavier Sabata,
Gilberto
Irini Karaianni,
Matilde
Sebastian Monti,
Teobaldo
Armonia Atenea,
Orchester
Arnold Schönberg, Chor

von Jürgen Pathy

Kastraten waren mit ihren engelsgleichen Stimmen die Stars des 17. und 18. Jahrhunderts – verehrt, beneidet und mit exorbitanten Gagen überschüttet. Niccolò Antonio Zingarellis „Giueletta e Romeo“, eine Tragedia per musica in drei Akten, wurde bereits bei der Uraufführung 1796 an der Mailänder Scala zu einem großen Erfolg. In der männlichen Titelpartie begeisterte damals der italienische Kastrat Girolamo Crescentini. Kann dieses Werk auch heute noch das Publikum von den Sitzen reißen?

Um das zu bewerkstelligen, wurden George Petrou und sein Armonia Atenea Orchester ans Theater an der Wien geladen. Bereits im September 2017 verwirklichte der griechische Stabführer hier eine konzertante Aufführung von Georg Friedrich Händels „Ottone“ – damals mit anderem Orchester, doch mit einigen weiteren Protagonisten, die auch den gestrigen Abend versüßten: der schwedischen Sopranistin Ann Hallenberg und dem spanischen Countertenor Xavier Sabata.

Nach einer bereits im Vorfeld bekannten Absage stand auch Sabatas Auftritt wegen einer Erkältung auf Messers Schneide – sein cremig-weiches, samtiges Timbre hätte mit Sicherheit eine Lücke hinterlassen. Tapfer kämpfte sich der Katalane durch die zweieinhalb Stunden der konzertanten Aufführung. Das Publikum dankte mit viel Applaus.

In der weiblichen Titelrolle der verzweifelten Giulietta überzeugte Ann Hallenberg, 50, mit einem beweglichen, klaren, ausdrucksstarken Sopran, der auch größere Häuser leicht ausfüllen könnte. Das bewies sie bereits an großen Opernhäusern wie der Bayerischen Staatsoper und an der Mailänder Scala.

Einen technisch sauberen Everardo, Giulettas Vater, gab ein Shooting-Star der letzten Jahre: der besonders für seine Mozart-Interpretationen gefeierte deutsche Tenor Daniel Behle. 2017 debütierte er auch erfolgreich in Bayreuth als David in Barrie Koskys Inszenierung „Die Meistersinger von Nürnberg“ von Richard Wagner. Die Rolle des Everardo ist jedoch undankbar und lässt die Stärken des Hamburgers nicht vollends zur Geltung kommen – zarte Pianissimi und feinfühlige Übergänge ins Fortissimo sind hier nicht gefragt.

Über weite Strecken erlaubt Zingarellis Vertonung der berühmtesten Liebes-Tragödie auch seinem männlichen Titelhelden Romeo wenig Spielraum zum Glänzen. Für den erkrankten Österreicher Max Emanuel Cenčić sprang der Countertenor Yuriy Mynenko kurzfristig in die Bresche – für den 38-jährigen Ukrainer ein Erfolg auf allen Linien. Zwar durfte er aus seiner vollen Tessitura erst zum Ende des dritten Aktes schöpfen, wenn der italienische Komponist den sterbenden Titelhelden die berührende Arie Ombra adorata, aspetta singen lässt. Dennoch war sein Auftritt der Höhepunkt des Abends – gefolgt von lautstarkem Szenen-Applaus und Bravi. Die Herzen des Wiener Publikums hat der Sänger auf jeden Fall erobert, und so tönte es nach der Vorstellung in den Hallen: „Der Cencic hätt‘ das niemals so gut gesungen!“

In den weiteren Partien zwei Debütanten an der Linken Wienzeile 6: eine gute Matilde sang die Mezzosopranistin Irini Karaianni, einen im hohen Register schwachen Teobaldo der Tenor Sebastian Monti.

Zurück zum griechischen Dirigenten George Petrou und seinem großartigen Orchester Armonia Atenea – auf historischen Instrumenten sorgten sie für eine wundervolle Umsetzung der durchgehend sehr zarten, zerbrechlich wirkenden Musik Zingarellis. Trotz sinkender staatlicher Subventionen konnte der Dirigent das griechische Orchester in kürzester Zeit zu weltweitem Erfolg führen. 2014 war man als erstes griechisches Orchester zu Gast bei den Proms in London. 2016 debütierte das Erfolgsgespann bei den renommierten Salzburger Pfingstfestspielen – mit „Giulietta e Romeo“ von Niccolò Antonio Zingarelli.

Gestern schloss sich der erfolgreiche Kreis. Die feinen Pianissimi des Armonia Atenea konnten einen angenehmen Zauber entfachen – trotz einer teils etwas langweiligen Komposition, die sich stilistisch nicht klar positioniert und irgendwo zwischen Barock und Mozart umherirrt. Bei Romeo und Julia erwartete der Zuhörer ein feuriges Drama, zu dem es jedoch erst im dritten und letzten Akt kam. Künstler überwiegend großartig, kompositorisch etwas lahm, in Summe tobender Schlussapplaus.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 28. Januar 2018, für
klassik-begeistert.at

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