Das Orchestre des Champs-Élysées überzeugt mit historisch aufgeführtem Beethoven im Wiener Konzerthaus

Orchestre des Champs-Elysées, Philippe Herreweghe, Collegium Vocale Gent,  Wiener Konzerthaus

Foto © Michiel Hendryckx
Wiener Konzerthaus
, Großer Saal, 27. November 2017
Orchestre des Champs-Elysées
Collegium Vocale Gent Chor
Philippe Herreweghe Dirigent
Ana Maria Labin Sopran
Elisabeth Kulman Alt
Maximilian Schmitt Tenor
Krešimir Stražanac Bassbariton
Kristian Bezuidenhout Klavier
Ludwig van Beethoven
Meeresstille und glückliche Fahrt op. 112 für Chor und Orchester (1814 – 1815)
Elegischer Gesang op. 118 für vier Singstimmen und Streichorchester (1814)
Fantasie c-moll op. 80 für Klavier, Chor und Orchester (1808)
Messe C-Dur op. 86 für Soli, Chor und Orchester (1807)

Von Bianca Schumann

Wer am Montagabend den Weg in den Großen Saal des Wiener Konzerthauses gefunden hatte, den erwartete vier Mal Beethoven. Das Orchestre des Champs-Élysées lud zusammen mit dem Collegium Vocale Gent zu einer klanglichen Zeitreise ein, die der musikalische Leiter, Philippe Herreweghe, zusammen mit allen Beteiligten zu einem vollen Erfolg werden ließ.

Das Orchestre des Champs-Élysées ist die erste französische Formation, die auf Originalinstrumenten spielt. Sie hat sich der Aufgabe verschrieben, eine Aufführungspraxis zu pflegen, die um eine historische Stiltreue bemüht ist. Dass Herreweghe und sein Orchester ein eingespieltes Team bilden, verwundert kaum, hatte der gebürtige Belgier den Klangkörper doch vor 26 Jahren selbst ins Leben gerufen.

Der Beginn des ersten Stückes, Meeresstille und Glückliche Fahrt, versetzt das Auditorium augenblicklich in eine andere Sphäre. Die langsam fortschreitenden, choralartigen Harmonien in D-Dur realisieren die Streicher ganz ohne Vibrato. Der Klang, der sich im Saal ausbreitet, wirkt außergewöhnlich ruhig – „still“ eben, wie es der Titel verlangt.

Der Chor, insbesondere die hohen Frauenstimmen, bestechen durch eine Stimmkontrolle, die seinesgleichen sucht. Einen gelungeneren Anfang hätte man sich nicht wünschen können.

Die Glückliche Fahrt hebt mit belebt kreisenden Läufen an, die durch die verschiedenen Streichergruppen gereicht werden. Sämtliche der rasch, virtuosen Gesangsphrasen erscheinen im Chor dermaßen präzise ausgeformt, dass – schlösse man die Augen – man wetten würde, da singen vier Solisten und nicht vier große Stimmgruppen. Bravo zu dieser Meisterleistung!

Die Glückliche Fahrt mündet in eine Elegie. In einen Elegischen Gesang, um genau zu sein, den Beethoven wohl anlässlich des dritten Todestags der viel zu jung, mit erst 24 Jahren verstorbenen Eleonore von Pasqualati komponiert hatte. Beethovens Bezug zu den Pasqualatis war eng, wohnte er doch elf Jahre mit ihnen im selben Haus (das heute im 1. Wiener Bezirk ein kleines Museum beherbergt).

Das fünfminütige Stück für vier Singstimmen und Streichorchester interpretiert Herreweghe schwungvoll, vielleicht sogar etwas zu schwungvoll. Trotz der warmen Einleitung der Streicher und des weichen Choreinsatzes will sich eine aufrichtige Sinnlichkeit nicht recht einstellen.

Die Fantasie c-moll op. 80 hat etwas Merkwürdiges an sich. Bereits bei der Betrachtung der Satzanlage wird deutlich, warum es sich bei diesem Opus um ein ungewöhnliches Werk aus der Feder des Bonner Genies handelt. Die Fantasie beginnt mit einem Adagio, das solistisch von einem Pianisten vorzutragen ist. Kristian Bezuidenhout, der für diese Rolle gewonnen werden konnte, erfüllt seine Aufgabe fabelhaft. Der virtuose Beginn, der einer improvisierten Kadenz gleicht, klingt spontan, so, als fantasiere er tatsächlich frei, ungebunden. Diesem einleitenden Satz schließt sich dann schon das Finale an: ein zweiteiliger Variationensatz, in dem zuerst das Orchester und später schließlich auch die Solisten und der Chor einsetzen.

Der südafrikanische Pianist führt alle Beteiligten unter der Leitung von Herreweghe sicher durch das 20-minütige Werk. Ihm ist es zu verdanken, dass das historische Tasteninstrument aus der Fabrik von Conrad Graf (1782-1851) noch einmal die Gelegenheit bekam, seinen Glanz zu verbreiten. Bezuidenhout spielt die Passagen im Piano und Pianissimo derartig filigran und behutsam, dass man selbst die Geräusche der Instrumentenmechanik vernehmen kann. Eine intime Atmosphäre nistet sich im Großen Saal ein, welcher im Nu wie eine kleine Klavierstube des 19. Jahrhunderts wirkt.

Verschwiegen werden soll an dieser Stelle nicht, dass die schwächere Dynamik der historischen Instrumente zwar für den modernen Hörer einen unleugbaren Reiz darstellt, es jedoch fraglich ist, ob dieser zarte Klang auch noch in der letzten Reihe des Saals befriedigend deutlich zu vernehmen war.

Was hingegen keinesfalls fraglich blieb, ist die Tatsache, dass der 38 Jahre alte Pianist mit Virtuosität und Sensibilität restlos überzeugte. Das Publikum rief ihn wiederholte Male und konnte sich kaum von dem international renommierten Künstler trennen.

Nach der Pause wartete noch ein Auftragswerk auf die überaus zahlreich erschienene Hörerschaft. Im Jahre 1807 hatte Fürst Nikolaus II. von Esterházy eine Messe bei Beethoven bestellt, die – wie bereits traditionsgemäß – am Namenstag seiner Gattin erklingen sollte. Doch Beethoven fiel mit seinem Werk bei seiner Durchlaucht glatt durch. Der Graf war zutiefst enttäuscht und verärgert über die Komposition, traf sie doch so gar nicht seinen klassischen Geschmack.

Auch die erste öffentliche Aufführung, die im Dezember des darauffolgenden Jahres im Theater an der Wien stattfand, geriet zum Misserfolg. Schuld hieran war mindestens teilweise die – gelinde formuliert – bloß mittelmäßige Ausführung des Werkes der damals Beteiligten, wie auch die Tatsache, dass die Messsätze ganz zerstückelt aufgeführt wurden: sie wurden schlichtweg zwischen Symphoniesätzen und anderen Programmpunkten eingestreut. Ein undenkbares Szenario für die heutige Zeit.

Dass die Aufführung nun knapp 210 Jahre später zu einem großen Erfolg wurde, ist auf denselben Faktor zurückzuführen: die Ausführung. Fein ausgearbeitete Phrasen in Chor und Orchester, eine perfekte Balance zwischen Vokal- und Instrumentalmusik, vier Solisten, die dem Werk alle Ehre machten, und ein Dirigent, der versteht, was es heißt Akzente zu setzen.

Vor allem die chorischen Passagen im Fugato, wie beispielsweise das „Cum Sancto“ gen Ende des „Gloria“, oder die virtuose Schlussfuge vom „Credo“ auf den Text „Et vitam venturi saeculi“ beeindrucken mit ihrer Präzision und klanglichen Leichtigkeit.

Wirkt die Sopranistin Ana Maria Labin, die kurzfristig für die erkrankte Gena Kühmeier eingesprungen war, zu Beginn noch minimal stimmlich wackelig, so fügt sich ihre Stimme insbesondere in den Passagen, die im solistischen Quartett gesungen werden, blendend ein.

Elisabeth Kulman, die Altistin des Abends, färbt das „Qui tollis“ in dunkle Töne und setzt hier einen angenehmen Konterpart zu Labin, die das ein oder andere Mal Gefahr läuft, ins Opernhafte abzudriften.

Zwar verpatzt der Tenor Maximilian Schmitt im „Benedictus“ einen Einsatz, was er indes professionell zu kaschieren wusste, doch gewinnt er trotz dessen mit seiner wohlig warmen und stets bestens kontrollierten Stimme die Sympathien der Zuhörer.

Der kroatische Bassbariton Krešimir Stražanac überzeugt durch sein weittragendes Organ und seine Fähigkeit sich an den passenden Stellen hervorzutun beziehungsweise zurückzunehmen.

Der nicht enden wollende Schlussapplaus ließ erkennen: historische Aufführungspraxis kann begeistern, sie muss nur richtig gemacht sein!

Bianca Schumann, 28. November 2017, für
klassik-begeistert.de

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