Philipp Richardsen im Kleinen Saal der Elbphilharmonie: ein Höhepunkt im Klavierjahr 2017

Philipp Richardsen Klavier
Franz Schubert, Sonate A-Dur D 959
Frédéric Chopin,
Ballade Nr. 1 g-Moll op. 23
Franz Liszt,
Liebestraum As-Dur S 541/3 »O lieb, solang du lieben kannst«
Johann Sebastian Bach / Ferruccio Busoni,
Chaconne / Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004 für Klavier solo
Elbphilharmonie Hamburg, Kleiner Saal, 7. Oktober 2017

von Sebastian Koik

Es gibt viele Menschen, die sich an Klaviermusik nicht so wirklich herantrauen. Ein Orchester kann durch schiere Opulenz, Klangreichtum und Masse überwältigen. Gesang ist sowieso die direkteste und unmittelbarste Form der Musik mit ihrem ganz eigenen Zauber. Klaviermusik wirkt im Vergleich dazu für viele weniger zugänglich und weniger spektakulär.

Dass wahre Könner mit diesen 88 weißen und schwarzen Tasten gewaltigen Zauber und Begeisterung auslösen können, beweist der Österreicher Philipp Richardsen bei seinem Besuch im Kleinen Saal der Elbphilharmonie. Jedes seiner Stücke erhält riesigen Applaus. Am Ende wird der sympathische Pianist umjubelt und mit Standing Ovations vom gesamten Publikum verabschiedet.

Philipp Richardsen drückt Gefühle durch seine Musik aus und benötigt dafür keine Grimassenschneiderei wie manch andere Pianisten, die mit ihrem äußeren Getue von der Musik ablenken – und vielleicht auch den ein oder anderen Zuschauer abschrecken. Der 41-Jährige wirkt beim Klavierspiel äußerlich konzentriert, locker, souverän, mit aufrechter Haltung und neutralem Gesichtsausdruck. Das ist sehr klar, fokussiert und herrlich unaufgeregt. Der Fokus ist auf der Musik, und die ist großartig!

Das Programm ist wunderbar zusammengestellt und technisch und musikalisch anspruchsvoll. Es beginnt mit der Sonate A-Dur, dem vorletzten Werk des mit 31 Jahren verstorbenen Franz Schubert. Seine drei letzten Sonaten sind eine Art kompositorisches Vermächtnis, stellen die Krönung von Schuberts lebenslanger Auseinandersetzung mit der Gattung Klaviersonate dar. Philipp Richardsen drückt die Melancholie, die Tiefe und auch den Witz des Spätwerkes hervorragend aus.

Franz Liszts Liebestraum As-Dur mit dem wunderschönen Titel »O lieb, solang du lieben kannst« gehört zu den meistgespielten Stücken der Klavierliteratur, nur dass nicht viele es so berührend wie Philipp Richardsen spielen können.

Die Chaconne aus der Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004 von Johann Sebastian Bach, hier in der Bearbeitung für Klavier von Ferruccio Busoni, gehört zum Größten, was es in der Musik gibt. Johannes Brahms schrieb begeistert an die Komponisten- und Pianisten-Kollegin Clara Schumann: „Die Chaconne ist mir eines der wunderbarsten, unbegreiflichsten Musikstücke. Auf ein System, für ein kleines Instrument schreibt der Mann eine ganze Welt von tiefsten Gedanken und gewaltigsten Empfindungen. Wollte ich mir vorstellen, ich hätte das Stück machen, empfangen können, ich weiß sicher, die übergroße Aufregung und Erschütterung hätte mich verrückt gemacht …“

Johann Sebastian Bach ist nicht verrückt geworden, wurde 65 Jahre alt und hinterließ ein gigantisches musikalisches Erbe – und gilt vor allem unter Berufsmusikern als der größte Komponist und Musiker aller Zeiten. Man muss als Genie also nicht unbedingt verrückt werden oder früh sterben.

Auch die Bach-Chaconne spielt Philipp Richardsen stark, doch ist sie relativ gesehen seine schwächste Interpretation am heutigen Abend. Wie vielen anderen großen Interpreten auch gelingt es dem Österreicher nicht, die besondere und einzigartige Spiritualität Johann Sebastian Bachs ausreichend stark musikalisch auszudrücken.

Das Highlight des Abends ist Frédéric Chopins Ballade Nr. 1 g-Moll. Die Interpretation Richardsens ist sensationell stark und atemberaubend! Die Hände des Pianisten fliegen hochvirtuos über die Tasten. Nicht nur die technische Perfektion und Präzision sind mitreißend, auch die unglaubliche Tiefe im Ausdruck, das Gefühl und die Zartheit in der Musik begeistern. Die plötzlichen Attacken, die Kraft, die Dynamik im Spiel des Pianisten begeistern. Das Ganze ist hochmusikalisch! Besser geht es nicht! All die positiven Attribute im Aufritt von Philipp Richardsen verdichten sich in der Chopin-Ballade in größter Vollkommenheit zu einem funkelnden Diamanten. Das taugt als Chopin-Referenz.

Es gibt ein Chopin-Album von Philipp Richardsen aus dem Jahr 2014. Falls er damals schon ein derart sensationeller Chopin-Interpret war, dann kann man es jedem Klaviermusikfreund ans Herz legen. Und wenn man Skeptiker von Klaviermusik überzeugen möchte, dann gibt es wohl kaum Besseres als Philipp Richardsen mit Chopin.

Das begeisterte Publikum bekommt noch zwei starke Zugaben zu hören: lichtdurchflutete Musik, funkelnde Töne aus der Idylle vom Norweger Halfdan Kjerulf und die Widmung von Robert Schumann in einer Bearbeitung von Franz Liszt. Dieser Abend ist ein Höhepunkt im Klavierjahr 2017 in Hamburg. Hoffentlich kommt dieser hochbegabte Pianist in Zukunft häufiger für Auftritte nach Deutschland und Hamburg.

Sebastian Koik, 9. Oktober 2017, für
klassik-begeistert.de

2 Gedanken zu „Philipp Richardsen, Schubert, Chopin, Liszt, Bach,
Elbphilharmonie, Hamburg“

  1. Oooo! Entnehme ich den Anfangszeilen einen Hint in Richtung Lang Lang? Wir wissen dass der junge Mann polarisiert!

    Wer die Doku „Mission Mozart“ aus dem Jahr 2014 kennt, der staunt nicht wenig, als der Weltstar mit Demut und Respekt erzählt, er habe sich lange Zeit nicht an Mozart herangewagt. Für diese Mozart-CD hat Lang Lang mit Nikolaus Harnoncourt und den Wiener Philharmonikern zusammengearbeitet – im ehrwürdigen Goldenen Saal des Wiener Musikvereins. Harnoncourts lobende Worte in Richtung des Chinesen: „Ich kann nur mit Solisten zusammenarbeiten, die frei und unvoreingenommen sind!“

    Anyway: ein schöner Bericht. Den CD-Tipp werde ich berücksichtigen.

    Jürgen Pathy

    1. Sehr geehrter Herr Pathy,

      herzlichen Dank für Ihren Kommentar! Das freut mich.

      Nein, das war nicht als Anspielung auf Lang Lang gemeint – auch wenn er früher doch auch ein wenig übertrieben diese äußerlich manierierte Spielweise zelebrierte.
      Jetzt würde ich seine Spielhaltung als authentisch expressiv bezeichnen.

      Danke für die Harnoncourt-Info. Ein Lob aus diesem Munde adelt!

      Mit besten Grüßen
      Sebastian Koik

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