Göttlich ist hier nichts mehr - Augenschmaus und Gesellschaftskritik beim Rheingold in Bayreuth

Richard Wagner, Das Rheingold, 08.08.2017,  Bayreuther Festspiele

© Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Richard Wagner, Das Rheingold

Bayreuther Festspiele, 8. August 2017

Musikalische Leitung: Marek Janowski
Regie: Frank Castorf
Bühne: Aleksandar Denić
Kostüm: Adriana Braga Peretzki
Licht: Rainer Casper
Video: Andreas Deinert, Jens Crull
Technische Einrichtung 2013-2014: Karl-Heinz Matitschk
Wotan: Iain Paterson
Donner: Markus Eiche
Froh: Daniel Behle
Loge: Roberto Saccà
Fricka: Tanja Ariane Baumgartner
Freia: Caroline Wenborne
Erda: Nadine Weissmann
Alberich: Albert Dohmen
Mime: Andreas Conrad
Fasolt: Günther Groissböck
Fafner: Karl-Heinz Lehner
Woglinde: Alexandra Steiner
Wellgunde: Stephanie Houtzeel
Floßhilde: Wiebke Lehmkuhl

von Sebastian Koik

Pures Glück zu Beginn des Bayreuther Rheingoldes. Die Orchesterouvertüre lässt die Zuhörer in Schönheit baden. Die Komposition allein ist schon wunderbar; die Umsetzung am heutigen Abend vollkommen. Nachdem sich dann der Vorhang öffnet, wird sofort klar: Auch visuell wird mächtig was geboten, das ist ein ganz großes Spektakel! Aber ist das auch ein stimmiges Rheingold? Auf jeden Fall bleibt diese Inszenierung stark in Erinnerung. An dem Bühnenbild kann man sich nicht sattsehen. Aleksandar Denić hat ein schönes Motel aufgestellt, mit Swimmingpool und einem sexy Neon-Schriftzug auf dem Dach. Als das Motel sich dreht, wird rückseitig eine Tankstelle mit Vintage-Zapfsäulen und Bar im Tankstellenshop sichtbar. Das alles ist so rauschhaft, stimmig und mit Liebe zum Detail gestaltet, dass es fast schon alleine das Eintrittsgeld wert ist.

Die Kostüme sind im 70er-Jahre-Look gehalten und erinnern an das Milieu von Zuhältern und Prostituierten, leichten Mädchen und Gangstern. Die Mafialeute tragen passende Sonnenbrillen, Goldkettchen, Koteletten und Bartfrisuren.

Das hervorstechendste visuelle Element ist der riesige Bildschirm über dem Motel. Zu Beginn denkt man noch, dass es sich um ein überdimensionales Opernglas handelt, das für die Zuschauer im hinteren Teil des Saals die Gesichter der Künstler beim Singen zeigt. Sehr schnell wird allerdings deutlich, dass die Kameras und der Bildschirm ein zentraler Baustein der Inszenierung sind. Zwei Kameramänner liefern mit perfekten Läufen und Fahrten regietechnisch durchkomponierte Bilder.

Die Bühne wird zum Filmset, das Rheingold kommt als Soap, als edle Version von Big Brother daher. Auch an den Denver-Clan, Dallas, den großen Gatsby und an die Comic-Verfilmung Sin City erinnert das Bühnenfestspiel. Der Regisseur Frank Castorf hat eine sehr kreative und spannende Inszenierung geschaffen und damit einen wertvollen Beitrag zur Aufführungsgeschichte des Werkes geleistet.

In der Bilderflut scheint das ursprüngliche Stück zunächst verloren, was nicht unbedingt schlecht sein muss. Das Bühnengeschehen wird jedoch irgendwann sehr unübersichtlich und der Zuschauer fragt sich oft, wer welche Person ist. Wenn Frank Castorf damit einen kritischen Kommentar auf die Oberflächlichkeit und Sinnleere der heutigen Mediengesellschaft abgeben wollte, dann ist ihm das gelungen.

Vielleicht repräsentiert das Schauspiel auch den Niedergang oder zumindest das Verschwinden der alten Welt. Denn göttlich ist hier nichts mehr: Wotan ist ein vulgärer Typ, mit dem wohl kaum jemand aus dem Publikum gern etwas zu tun haben würde. Und es ist auch durchaus stimmig, den gebrochenen Gott äußerlich so jämmerlich zu zeigen. Auch die Gangster-Welt von Zuhältern und Prostituierten erscheint passend in Anbetracht des großen Gezerres um Ring, Gold und Macht. Doch dieses Ringen ist auf der Bühne schwer nachzuvollziehen.

Die Tiefe und die Strahlkraft der Figuren gehen verloren in den protzig-billigen Outfits und dem schillernden Bühnenbild. So vermisst man gewissermaßen Wotan, Fricka, Freia und Erda auf der Bühne. Denn so bildgewaltig, farbenfroh und ästhetisch das Geschehen gestaltet ist, irgendwann hat man sich an den bunten und schnellen Bildern sattgesehen. Es geschieht dasselbe wie in der Medienwelt: visuelle Überreizung und Informationsüberflutung. Als Regie-Aussage zum Zeitgeist richtig und mächtig; das Bombardement mit Bildern und Schnitten führt im konkreten Opernerlebnis jedoch irgendwann zu Ermüdung und Langeweile und lässt einen Authentizität, Tiefe und Seele vermissen.

Dieses spannende Rheingold bleibt ein denkwürdiger schillernder Stern der Inszenierungsgeschichte. Wagner-Freunde können Frank Castorf sehr dankbar für dieses Rheingold sein. Das Zeug zum Klassiker hat es allerdings nicht. Wie so Vieles im Fernsehen reißt diese Inszenierung erst einmal alle Aufmerksamkeit auf sich, ein zweites Mal sehen will man sie dann aber nicht.

Das Bayreuther Festspielorchester unter Marek Janowski kann an diesem Abend kritische Ohren nicht komplett überzeugen. Oft spielt es zu hektisch, schnell und unruhig. In der zweiten Hälfte erklingt es dann wiederum immer mal wieder ein wenig zu träge und zu spät. Die langsameren Passagen gelingen jedoch gut. Und ewig dankbar kann man Janowski und dem Orchester für die atemberaubende Ouvertüre sein!

Die Sänger sind durchweg gut, es gibt keine Ausfälle oder Schwächen. Die Rheintöchter wirken zu Beginn stimmlich nicht ganz souverän und erklingen etwas zu dünn und mit leicht kurzem Atem. Mit dem zu schnellen und hektischen Dirigat gerade zu Beginn sind die Bedingungen aber auch sehr unvorteilhaft für sie. Die beste Figur, nicht nur bei ihrem Badeauftritt im Pool, macht hier Stephanie Houtzeel als Wellgunde.

Roberto Saccà singt den Loge mit einer unglaublichen Eleganz und Präzision sowie funkensprühendem südländischem Charme.

Ganz groß verkörpert Günther Groissböck den Fasolt. Seine Stimme ertönt mit großer Souveränität; herrlich sonor, erdig und warm scheint sie geradewegs aus der Tiefe der Welt zu kommen. Weitere Highlights bei den Herren sind Daniel Behle als Froh und Andreas Conrad als Mime. Souverän, kraftvoll und mit langem Atem singt Tanja Ariane Baumgartner die Fricka.

Das größte Ereignis des Abends verdankt das Publikum Nadine Weissmann als Erda. Sie singt mit ganz viel Gefühl und reichen Zwischentönen. Für eine kurze Zeit ist sie ein Lichtblick von Seele und Tiefe inmitten der halbseidenen Gesellschaft – bis sie sich verrucht und nuttig an ein Geländer lehnt.

Darstellerisch ist jeder einzelne Beteiligte großartig. Besondere Erwähnung verdient ein Darsteller, der nicht singt: Er spielt den Motel-Rezeptionisten, Barkeeper, Tankwart und Klein-Mafioso sehr expressiv, fast leicht übersteigert, aber ganz wunderbar und geradezu perfekt. Ein großes Dankeschön an diesen namentlich nicht explizit genannten Schauspieler und an Frank Castorf für die Erschaffung dieser schönen Figur und den höchst interessanten Abend. Danke dem Haus für einen Abend in Bayreuth, der in Erinnerung bleibt.

Nach der Aufführung fragt eine Dame ihren Gatten, ob sie wohl auf den heiligen Rasenflächen des Grünen Hügels barfuß laufen dürfe. Die Antwort: „Wenn sich der Regisseur alles erlauben durfte, dann darfst du das auch.“

Sebastian Koik, 09. August 2017, für klassik-begeistert.de

 

 

 

 

 

 

 

 

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