Diese „Götterdämmerung“ ist voller Schönheit – ein musikalisches Fest von kathartischer Wirkung

Richard Wagner, Götterdämmerung,  Bayerische Staatsoper

Foto: Wilfried Hösl (c)
Richard Wagner, Götterdämmerung
Bayerische Staatsoper, München, 11. Februar 2018

Von Sebastian Koik

Nina Stemme. Der Name löst bei Wagner-Freunden schon auf dem Papier schönste Erinnerungen und größte Vorfreude aus. Und die große Dame des Wagner-Soprans erfüllt die höchsten Erwartungen auch an diesem Abend wieder. Ihre Stimme ist groß, kraftvoll und ausdrucksstark. Es fasziniert, sie Schwierigstes singen zu hören – mit einem Gefühl von Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit. Ihre Stimme beherrscht jeden Moment und hat von der höchsten bis zur tiefen Lage souveräne Autorität. Nina Stemme ist eine sensationelle dramatische Sopranistin und ist als Brünnhilde zusammen mit Catherine Foster die Weltspitze.

Die Mezzosopranistin Okka von der Damerau ist sensationell als erste Norn! Sie hat eine wahrlich große Stimme, sehr dicht und intensiv. Sie begeistert mit umwerfender Natürlichkeit und strahlenden Höhen. Nach Nina Stemme entfacht sie die meisten Gänsehaut-Momente des Abends. Besser kann man diese Rolle nicht singen! Das ist Weltklasse.

Später im ersten Akt singt Okka von der Damerau auch Brünnhildes Schwester Waltraute. Auch das macht sie wunderbar. Es ist ein großes Vergnügen, Frau von der Damerau und Frau Stemme als Walküren-Schwesternpaar zu erleben. An wenigen tieferen Stellen ist der Gesang der Waltraute allerdings dünner, leiser, schwächer als in den kraftvollen mittleren und hohen Registern.

Jennifer Johnston zeigt eine großartige Leistung als zweite Norn und als Floßhilde. Ihre Stimme ist kraftvoll und dicht, ihre Höhen sind herrlich schön.

Anna Gabler gefällt als dritte Norn, begeistert mit wundervollen und überaus stabilen Höhen, klingt aber etwas unnatürlich und fällt gegenüber den anderen beiden Nornen auf unfassbar hohem Niveau ein wenig ab. Dennoch erzeugt sie wie ihre Nornen-Kolleginnen ein paar Gänsehaut-Momente, was ihr in ihrer zweiten und größeren Rolle des Abends als Gutrune nicht gelingt. Als Gutrune ist sie gut, man würde sich aber ein wenig mehr Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit wünschen, ihr Gesang klingt oft etwas zu angestrengt und unfrei.

Stefan Vinke ist darstellerisch ein wunderbarer Siegfried. Im letzten Sommer begeisterte er in dieser Rolle in der Götterdämmerung in Bayreuth. Seine Stimme ist an diesem Abend in München allerdings nicht in Top-Form. Seine Stimme wirkt etwas schwach, dünn und leise. Sein Gesang klingt ein wenig hohl. Sobald Vinke etwas lauter wird, kommt er sehr schnell ins Schreien. In tieferen Lagen erinnert er an unschönes Quaken. Der dritte Akt zeigt: Der Tenor teilt sich seine Kräfte ein, hebt sich das Beste für den Schluss auf. Im dritten Akt, in Siegfrieds Finale, zeigt er für einige Minuten Kraft und prachtvolle lange Töne.

Hans-Peter König gibt einen starken Hagen, mit großer Stimme, herrlich schönen Tiefen und langem Atem.

John Lundgren gefällt mit sehr schönem Bass als Alberich. Wenn die Musik allerdings schneller wird, wird aus seinem Singen mehr Sprechgesang, der allerdings auch gut passt.

Markus Eiche überzeugt darstellerisch als Gunther, stimmlich wirkt er aber leicht dünn.

Das Bayerische Staatsorchester unter Kirill Petrenko ist eine wahre Freude! Der Sound des Orchesters ist luxuriös, überaus sinnlich, ja fast erotisch oder gar wollüstig. Die Musiker erzeugen einen Klang, der die Zuhörer mit eleganter Textur seidig weich streichelt und verführt. Das Orchester spielt großzügig, mit Überschwang, wirft sich mit großen Gefühlen und Begeisterung in die Musik. Dieser Münchener Klangkörper kann geradezu überwältigend laut werden!

Das Orchester unter Kirill Petrenko wirkt extrem lebendig und sehr jugendlich im Charakter, und man verzeiht ihm überaus gerne, dass an diesem Abend Tempo und Timing nicht immer perfekt sind. Das Bayerische Staatsorchester unter Kirill Petrenko macht Spaß, begeistert, berührt. Und sicher macht es auch große Freude, mit diesem ansteckend musikbesessenen Menschen zu arbeiten. Wer diesen Dirigenten einmal bei der Arbeit beobachten durfte, muss diesen Mann einfach lieben.

Und so liebt wohl ganz München seinen Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper. Der feurige Applaus, mit dem der Dirigent vor jedem neuen Akt vom Publikum begrüßt wird, ist wohl einmalig.

Beeindruckend ist auch der mächtige, überaus kraftvolle Chor, der mit Inbrunst singt.

Und diese Götterdämmerung ist eine Oper, die nicht nur musikalisch begeistert, auch die Inszenierung Andreas Kriegenburgs überzeugt auf ganzer Linie. Das aufwändige Bühnenbild von Harald B. Thor ist eine Augenweide. Er stellt imposante Büro-Glasfassaden mit Fluren und Büros auf die Bühne. Gläserne Stege bewegen sich lautlos und geschmeidig elegant auf und ab. Hut ab vor den Bühnenbildnern und den Bühnentechnikern. Das ist ganz groß!

In den Bürotrakten wuseln seelenlos wirkende Menschen wie Arbeitsbienen umher. Die Choreographie der Arbeit in dieser Bürowelt wirkt absurd, geradezu kafkaesk.

Die Gibichungen leben ein dekadent luxuriöses Leben. Sie sind Kapitalisten, die nicht arbeiten, sondern als liebste Freizeitbeschäftigung ihr Personal schikanieren, demütigen und missbrauchen. Sie „reiten den Euro“, spielen mit Geld, wirken wie unmenschliche Finanzhaie, die in ihrer eigenen abgehobenen Welt leben und Geld und andere Menschen für sich arbeiten lassen.

Der weltunerfahrene und naive Siegfried kennt diese Welt nicht und wird einfach zum Spielball der Ränke schmiedenden Machtmenschen, die auch ihn gänzlich und rücksichtslos für ihre Zwecke nutzen möchten.

Der Weltuntergang im dritten Akt scheint hier zunächst ein Börsencrash zu sein. Die Papiere aus dem schicken Büropalast sind wertlos geworden und fliegen wie Konfetti aus den Fenstern und über die Bühne.

Und ganz zum Schluss gibt es einen überaus sinnlichen und gewaltigen Weltuntergang mit ganz großem Feuer und sehr viel Rauch. Nach dem Weltenbrand wird die Bühne in das Blau des Rheins getaucht. Das Feuer, das Wasser: Es wirkt in seiner großen, bühnenfüllenden Dimension herrlich kathartisch.

Als ganz zum Schluss die zurückgelassene Gutrune von einer weißgekleideten, engelsartigen Menschengruppe friedlich umschlungen wird, kommt die Götterdämmerung zu einem beglückend optimistischen Ende. Man glaubt an einen Neuanfang!

Der Applaus am Ende ist gewaltig und ewig lang. Nina Stemme wird mit heftigstem Bodengetrampel und Jubelrufen gefeiert und mit Standing Ovations vom kompletten Saal.

Fast genauso überschwänglich ist der Applaus für den enorm sympathischen Dirigenten Kirill Petrenko und sein Orchester.

Sebastian Koik, 12. Februar 2018, für
klassik-begeistert.de

Musikalische Leitung, Kirill Petrenko
Inszenierung, Andreas Kriegenburg
Bühne, Harald B. Thor
Kostüme, Andrea Schraad
Siegfried, Stefan Vinke
Gunther, Markus Eiche
Hagen, Hans-Peter König
Alberich, John Lundgren
Brünnhilde, Nina Stemme
Gutrune, Anna Gabler
Waltraute, Okka von der Damerau
Woglinde, Sofia Fomina
Wellgunde, Rachael Wilson
Floßhilde, Jennifer Johnston
1. Norn, Okka von der Damerau
2. Norn, Jennifer Johnston
3. Norn, Anna Gabler
Bayerisches Staatsorchester
Chor und Extrachor der Bayerischen Staatsoper

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Bayerische Staatsoper“

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