Zärtlich filigran zaubert der mächtige Bass – die Staatsoper Hamburg feiert Weltklasse-Leistungen

Richard Wagner, Parsifal, 27. September 2017,  Staatsoper Hamburg,

Foto: Declair (c)
Richard Wagner, Parsifal
Staatsoper Hamburg, 27. September 2017
Kent Nagano, Dirigent
Eberhard Friedrich, Chorleitung
Achim Freyer, Inszenierung, Bühne, Kostüme und Licht
Andreas Schager, Parsifal
Kwangchul Young, Gurnemanz
Claudia Mahnke, Kundry
Vladimir Baykov, Klingsor
Wolfgang Koch, Amfortas

von Sebastian Koik

Was für eine großartige Musik! Was für eine Ouvertüre! Von den ersten Takten an entführt Richard Wagner in einzigartige und zauberhafte Klangräume. Sphärische, weihevolle Musik wie nicht von dieser Welt! Bühnenweihfestspiel nennt Wagner seine letzte Oper. Richard Wagner darf das. Richard Wagner kann das. Er erschafft eine neue Kategorie und setzt dabei gleichzeitig einen Schlusspunkt.

Es kann nur ein Bühnenweihfestspiel geben – und das ist nun mal Parsifal. Wagner strebte eine Verschmelzung von Kunst und Religion an, würdevoll und sakral ist die Musik, christliche Motive und Themen sind der Kern des Stückes. Kreuzweg, Hoffnung, das Blut Christi, Auferstehung, Erlösung. Schöner und dichter als Wagner das mit seinem finalen großen Werk getan hat, kann man diese Motive wohl nicht zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen.

Für die neue Parsifal-Inszenierung ist der Staatsoper Hamburg eine sehr, sehr starke Besetzung der Hauptrollen geglückt.

Für die Titelrolle konnte der niederösterreichische Tenor Andreas Schager gewonnen werden, der im deutschen Heldenfach als einer der herausragenden Interpreten gilt, sowohl stimmlich als auch darstellerisch. Er spielte den Parsifal diesen Sommer auch in Bayreuth – und wird auch in den kommenden Spielzeiten der Bayreuther Parsifal sein.

Den reinen Tor verkörpert er perfekt. Mit einem schwungvollen Purzelbaum kommt er auf die Bühne und strahlt in seinen Bewegungen und ganzen Art enorme Jugendlichkeit aus – außerdem Unbekümmertheit, Naivität, Unschuld, Frische. Darstellerisch kann man sich keinen besseren Parsifal vorstellen. Er fühlt sich auf der Bühne sichtlich wohl und hat eine Wahnsinns-Ausstrahlung. Seine Darstellung wirkt spielerisch und von herrlicher Leichtigkeit.

Andreas Schager hat eine große Stimme. Seine Tiefen sind sehr dicht und cremig. In mittleren und höheren Lagen ist seine Stimme ebenfalls substanzreich, dabei schlank. Als Parsifal ist seine Stimme nicht von Eleganz geprägt. Schager singt nicht sehr nuancenreich – das muss er in dieser Rolle aber auch nicht. „Der reine Tor“ Parsifal singt direkt, kraftvoll und unkompliziert, mit großer Intensität. Schager kann sehr hohe Lautstärkepegel erreichen, die für den Zuschauer körperlich zu spüren sind und manchmal in den Ohren klingeln. Der Heldentenor scheint seine Stimme sehr gut zu kennen und kann sie sehr geschickt einsetzen. Seine Stimme kann urgewaltig kraftvolle Blitze und Glanzlichter in den Saal schleudern.

Andreas Schager ist der bekannteste Name auf dem Besetzungszettel – er hat klassik-begeistert.de gerade ein sehr ausführliches Interview gegegen:

Großes Interview mit dem Heldentenor Andreas Schager, Hamburgische Staatsoper, Bayreuther Festspiele

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Der beeindruckendste Künstler auf der Bühne ist allerdings ein anderer: Der koreanische Bass Kwangchul Youn ist als Gurnemanz eine Sensation! Besser geht es nicht. Er hat eine scheinbar unbegrenzte Stimme und unendlich langem Atem. Er begeistert von den herrlich sonoren, wunderbar warmen Tiefen bis zu feinen Höhen. Seine Stimme ist weit und dicht. In seiner großen Rolle beweist er enorme Kondition.

Mit fast körperlich spürbarer Leidenschaft IST er in Darstellung und Stimme Gurnemanz. Er begeistert mit herrlicher, kontrollierter und allzeit perfekt-souveräner Inbrunst. Seine Stimme wirkt extrem natürlich und authentisch, wie ein Monument, ein Felsen.

Die Klangfarbe ist dunkler Bernstein mit Goldeinschluss. Und wenn diese beeindruckende Riesengestalt von einem Ritter dann auch noch leise und mit größter Zärtlichkeit und Filigranität ätherischen Gesang in den Saal zaubert, ist man komplett hin und weg! Und das alles bei perfekter Artikulation und Textverständlichkeit! Eine Leistung für den Wagner-Olymp.

Und dann Kundry, diese eine große, komplexe Frauenrolle im Stück, die viele Figuren in sich vereint. Sie lebt in verschiedenen Welten, dient diversen Herren, zerstört und heilt. In den mittelalterlichen Stoffvorlagen der Parsifalserzählung gab es Verführerinnen, Botinnen, Dienerinnen, Zauberinnen. Wagner transformierte jede seiner mythischen Inspirationsquellen in seinen eigenen Stoff.

In Parsifal verdichtete Richard Wagner diverse Frauenrollen in der einen Figur der Kundry. Claudia Mahnke muss in der künstlerisch freien Achim-Freyer-Inszenierung mit vielen hässlichen und grotesken Kostümen und Requisiten das unattraktivste aller Kostüme tragen. Sie sieht aus wie ein lebendiger Wischmopp! Schon im Versroman Parzifal von Roman von Eschenbach ist Kundry abstoßend hässlich, und auch Achim Freyer lässt Kundry als äußerlich extrem hässliche Figur auftreten. Seine Kundry ist eine Kandidatin für die optisch hässlichste Wagnerfigur aller Zeiten.

Die Mezzosopranistin Claudia Mahnke, Ensemblemitglied an der Oper Frankfurt, lässt sich von ihrem dicken, dunklen Fransenteppich-Kostüm kein bisschen ersticken und gibt eine ganz wunderbare Kundry! Sie singt mit einer großen Tiefe, Menschlichkeit, Verletzlichkeit. Sie füllt diese vielschichtige Gesangspartie mit wahnsinnig viel Herz, Seele und Leidenschaft aus. Es ist so viel Tragik und Leiden in ihrem Gesang! Der Gesang der Kundry ist nicht strahlend, nicht überirdisch, nicht über allem schwebend wie bei vielen anderen weiblichen Wagner-Figuren. Kundry ist eine durch und durch tragische Figur – voller Schuldgefühle, verdammt, missbraucht, manipuliert, unfrei, nirgends wirklich zugehörig. Sie wünscht sich nur Erlösung von ihrem Leiden. Manche Figuren „singen um ihr Leben“. Kundry singt um Erlösung im Tod. Claudia Mahnke singt diese einzigartige und komplexe Rolle extrem überzeugend!

Diese drei herausragenden Haupt-Solisten – Kwangchul Youn, Claudia Mahnke und Andreas Schager – allein machen diesen Hamburger Parsifal zu einem ganz großen Erfolg und sehr wertvollen Wagner-Erlebnis!

Dazu kommt der sensationelle Chor unter der Leitung von Eberhard Friedrich. Friedrich leitet nicht nur den Chor am Hamburger Opernhaus an der Dammtorstaße, sondern ist seit dem Jahre 2000 unter anderem Chordirektor des Bayreuther Festspielchores. Und das hört man! Sowohl die Herrenchöre, als auch die Damenchöre, die hinter der Bühne erklingen, sind Weltklasse! Vollendete Musikalität, perfektes Timing, Leidenschaft, Inbrunst, Gefühl, Ausdruck, Schönheit! Und der Ritterchor kann beeindruckend ohrenbetäubend laut werden.

Der armenische Bass Tigran Martirossian, Ensemblemitglied in HH, überzeugt gesanglich als Titurel, muss in dieser Rolle aber auch keine größere Variation zeigen.

Der Bassbariton Wolfgang Koch, geboren im oberbayerischen Landkreis Altötting, in Wien lebend, gibt den Amfortas. Freyer macht aus ihm äußerlich eine Christus-Kopie, mit Kreuzbalken auf den Schultern und Dornenkrone wird er über die Bühne geschleift. Seine Stimme ist etwas schwach, grau, blass, wirkt wie gedeckelt. Das klingt nicht wirklich schön – passt aber sehr gut zur leidenden, blutenden, sterbenden Figur. Ob diese Schwäche in der Stimme reine Absicht ist oder hier auch etwas Angeschlagenheit oder Formschwäche des Sängers dahintersteckt? Man weiß es nicht. So oder so: Der Gesang passt im Charakter zu seiner Rolle.

Der russische Bassbariton Vladimir Baykov, ebenfalls Ensemblemitglied in HH, ist an diesem Abend nicht wirklich überzeugend als der Bösewicht Klingsor. Er trägt das vielleicht „schönste“ Kostüm der Inszenierung, sieht aus wie eine Comicfigur. Doch sein Gesang ist breiig, man versteht kaum ein Wort. Auch nimmt man ihm die Rolle nicht wirklich ab. Sowohl gesanglich als auch darstellerisch. In der Aufführung am 24. September war er deutlich besser in Form.

Die meisten der Blumenmädchen singen wunderbar. Mit strahlender und schöner Inbrunst wollen sie Parsifal verführen. An ihren Stimmen liegt es ganz sicher nicht, dass es ihnen nicht gelingt.

Die Gralsritter und Knappen sind von sehr wechselnder Qualität als Solisten, von schwach über mittelmäßig bis stark. Den Bassbariton Denis Velev (geboren in der zweitgrößten bulgarischen Stadt Plovdiv, aufgewachsen in Russland, ebenfalls Ensemblemitglied in HH) als zweiten Gralsritter kann man an diesem Abend leider nur als Ausfall bezeichnen.

Das Dirigat von Kent Nagano ist solide, er führt das Orchester als verlässlicher Kapitän sicher durch die wilden und nautisch anspruchsvollen Gewässer dieser großen Komposition. Seine Crew und er kommen nicht ab vom Kurs, gehen nie verloren, kommen heil ans Ziel. Es gibt nichts zu beanstanden.

In den ganz großen Stellen der Partitur macht Kent Nagano sehr vieles sehr richtig und sehr gut. Getragen und weihevoll, wenn es voll drauf ankommt. Wirklich schön gelingen die Ouvertüre und Gralsenthüllungen!

Kent Nagano und das Orchester liefern Qualität, verwöhnte Wagner-Liebhaber begeistern sie aber nicht. Die Besetzung in den Hauptpartien und der Chor präsentieren sich auf Weltklasse-Niveau, können sich mit Bayreuth, Berlin und Dresden messen. Das Orchester kann das nicht. Und Kent Nagano ist auch kein Weltklasse-Wagner-Dirigent. Den vollkommenen Wagner-Zauber können Kapitän Kent und seine Besatzung nicht verströmen. Sie liefern hohes Niveau und viel Schönheit, holen aber nicht alles an Gefühls- und Überwältigungspotential aus Wagners mächtiger Komposition.

Im ersten Akt ist das Philharmonische Staatsorchester Hamburg oft zu langsam, zu träge, schleppend. Es spielt mit zu wenig Spritzigkeit und Biss. Das bessert sich im zweiten Akt, und nach zweieinhalb Stunden Arbeit hat sich das Orchester so richtig warm gespielt und steigert sich noch einmal im dritten Akt. Von Anfang bis Ende gelingt es dem Orchester unter Nagano hervorragend, musikalische Spannung zu halten. Der 3. Akt gelingt atmosphärisch sehr dicht.

Das Bühnenbild von Achim Freyer nutzt die Höhe der Bühne wunderbar aus, das Geschehen spielt auf vier Ebenen und macht vor allem bei der ersten Grals-Enthüllung optisch viel her. Freyers Malereien und Zeichnungen, sowie krummen, hässlichen Linien sollen wohl aus irgendeinem Grund Skizzenhaftigkeit ausdrücken. Sie sind ästhetisch nicht ansprechend und wirken auf manche Zuschauer doch schon sehr billig und lieblos hingeschmiert. Mit Licht arbeitet Freyer sehr ansprechend. Herrlich schön sind die verschieden großen Lichtkugeln in vielen bunten Farben im Garten der Verführung im zweiten Akt. Schön ist auch der riesige Spiegel über der Bühne.

Die Idee der Spirale und der Strudel-Projektion in wechselnden Farben ist sowohl konzeptionell als auch ästhetisch sehr gelungen. Irgendwie wird hier tatsächlich auf der Bühne die Zeit zum Raum. Leider verschleiert die zwischen Bühne und Zuschauerraum aufgespannte schwarze Gazé-Fläche den Blick auf die Bühne sehr unschön. Besonders in den vorderen Reihen stört das doch recht stark.

Die Kostüme und grimassenhaften Schminkgesichter aller Figuren sollen vom japanischen Kabuki-Theater inspiriert sein. Wie auch immer: Sie und die Requisiten sind enorm gewöhnungsbedürftig und in den Augen vieler Zuschauer sehr hässlich und unnötig albern und grotesk.

Geschmäcker sind verschieden, doch originell und unverwechselbar ist die Inszenierung Achim Freyers allemal.

Insgesamt gelingt der Staatsoper Hamburg ein sehr starker Parsifal, vor allem musikalisch. So kann es weitergehen!

Sebastian Koik, 28. September 2017, für
klassik-begeistert.de

 

 

 

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Staatsoper Hamburg,“

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