Mahler-Abend unter Mariss Jansons gerät zu gleichförmig, zu risikoscheu und zu komfortabel

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Mariss Jansons,  Elbphilharmonie Hamburg

Foto: Peter Meisel (c)

Elbphilharmonie Hamburg, 30. April 2018

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Dirigent Mariss Jansons
Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 7 e-Moll

von Sebastian Koik

Zu keiner anderen Symphonie Gustav Mahlers ist die Palette an Deutungen und Interpretationen derart reich und widersprüchlich wie zur 7. Symphonie, sowohl von musikwissenschaftlicher und kritischer Warte als auch von Seiten der Ausführenden.

Sie ist mysteriös, diese 7. Symphonie!

Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gilt als eines der besten Orchester der Welt. Sein Chefdirigent Mariss Jansons veranschaulichte sein Lob für die Qualitäten seiner Musiker in dem Ausspruch, dieses Orchester zu dirigieren sei „wie einen Rolls Royce zu fahren”.

In der aktuellen achten Rolls Royce Phantom-Generation wird das Triebwerk von zwei Turboladern aufgeladen und bringt es auf eine Leistung von 571 PS.

Und Mariss Jansons fährt sein Orchester tatsächlich wie einen mächtigen und prachtvollen Rolly Royce Phantom durch Mahlers Siebte. Alles ist schön, die Farbenpracht herrlich, und im Finale lässt der Wahnsinns-Motor seine Muskeln spielen: Das große, schöne Fahrzeug kommt hier so richtig auf Touren!

Der fünfte Satz der Symphonie beginnt schon mit Pauken und Trompeten! Die Kuh- und Kirchenglocken von zuvor ertönen jetzt gleichzeitig. Die Musik ist rauschhaft! Das Orchester spielt präzise und kraftvoll, bringt sein Leistungspotential wunderbar auf die Straße. Das Konzert macht jetzt so richtig Spaß! Mahler, Jansons und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks sind mit diesem Satz so richtig in der Elbphilharmonie angekommen. Alles ist perfekt! Hier ist der „Rolls Royce“ ganz in seinem Element, liefert das beste Rundfunkorchester der Welt eine Demonstration von Kraft, Schönheit und Eleganz! Man wollte dieser wilden Fahrt sehr, sehr viel länger folgen, doch leider ist sie zu bald auch wieder vorbei.

Das große Finale begeistert sicher jeden. Doch die vier Sätze davor können durchaus auch etwas Ratlosigkeit über das Gehörte hervorrufen. Großteils liegt das an Mahlers Komposition. Aber auch Mariss Jansons hat seinen Anteil daran. Vielleicht hat er sich etwas zu sehr vom Spaß am Rolls Royce-Fahren mitreißen lassen. Alles klingt schön … und wohl zu schön. Alles funkelt in herrlichen Farben – auch da, wo es verdunkelt und abgedämpft werden sollte.

Jansons‘ Interpretation ist zu schön! Es fehlt an Abgründigkeit. Dadurch wird diese schwierige Symphonie sehr zugänglich und kommt super beim Publikum an, das seine Freude am Glanz und an der Pracht hat.

Doch der Kern der so unglaublich schwer zu greifenden Siebten Mahlers wird wohl nicht wirklich getroffen und transportiert. Es fehlt ein wenig an Geheimnis, an Dunkelheit, an Kontrasten und Dynamik. Dieser Mahler-Abend der immer hochwillkommenen Gäste aus München gerät an diesem Abend etwas zu gleichförmig, risikoscheu und zu komfortabel.

Jansons fährt im bequemen, sicheren und prachtvollen Auto durch den Konzertabend. Im Finalsatz hat der Rolls Royce seinen ganz, ganz großen und auch stimmigen Auftritt. In den vier Sätzen davor wäre etwas mehr Riskobereitschaft und die Wendigkeit eines anderen Gefährts vielleicht angebrachter, der Rolls Royce-Modus gehörte hier vielleicht abgeschaltet.

Der Konzertabend gelingt schön, aber die Zusammenhänge werden nicht wirklich klar. Die Komposition fällt in der hier gezeigten Interpretation etwas auseinander … oder wird nur durch teilweise falsche Schönheit zusammengehalten.

Sicher ist es in dieser schwer zu greifenden Komposition Mahlers alles andere als einfach, Zuhörer entlang einer roten Linie zu führen. Ein bisschen mehr Führung, Linie und auch Wagemut hätte es aber vielleicht schon sein können.

So badet das Hamburger Publikum in funkelndem Schönklang, der trifft den Kern des Werkes in den ersten vier Sätzen aber nicht wirklich. Ja, sie ist mysteriös diese Siebte Symphonie … und der schwere Rolls Royce ist über einige dieser Geheimnisse zu selbstsicher und prächtig hindurchgefahren.

Der große Hamburger Musikliebhaber Marcus Hoppe hat in der Elbphilharmonie schon viele große musikalische Highlights miterlebt, unter anderem alle Auftritte von Jansons und seinem Orchester. Zu diesem Abend sagt er: Zu Jansons Mahlerei kann ich gar nicht so viel sagen, außer dass es unglaublich mitreißend war.“

Aus dem Staunen über die Elbphilharmonie kommt er auch nach über eineinviertel Jahren und sehr, sehr vielen Besuchen nicht heraus: „Phänomenal! Ich bin immer wieder fix und alle von diesem Überwältigungs-Klang des Toyota-Tempels. Wieso baut dem Mann eigentlich niemand ein Denkmal in unserer Stadt? Die manchmal kulturell ahnungsfreie ‚Mopo‘ schrieb neulich: ‚Für diese Stimme wurde die Elbphilharmonie gebaut.‘ Da ging es um ein Konzert von Mirelle Mathieu – ach so. Ich würde sagen, dass die Elbphilharmonie für Werke wie Mahlers Sinfonien gebaut wurde.“

Sebastian Koik, 1. Mai 2018, für
klassik-begeistert.de

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert