Anja Harteros überragt den Maskenball

Un ballo in maschera, G. Verdi,  Bayerische Staatsoper

Foto: Hösl ©
Un ballo in maschera, Giuseppe Verdi
Bayerische Staatsoper, München, Samstag, 30. Juli 2016

Bei Giuseppe Verdi kommen Rolf Häußner, 72, oft die Tränen. „Die Musik berührt mich, und ich muss weinen“, sagt der Frankfurter. An diesem Abend in der Bayerischen Staatsoper ist die nicht nur für Rolf Häußner emotionalste Stelle das Liebesduett „Teco io sto / Ich bin Dir nah“ im zweiten Akt des „Maskenballs“ („Un ballo in maschera“). Der Dirigent Daniele Callegari führt das Bayerische Staatsorchester hoch sensibel durch diese göttlichen Minuten; das Solo-Cello spielt wunderbar weich und die Sopranistin Anja Harteros singt wie von einem anderen Stern – von strahlenden Höhen bis zu samtigen Tiefen mit weichem Schmelz.

„Un ballo in maschera“ am vorletzten Abend der Münchner Opernfestspiele war ein phantastischer Abschluss von fulminanten fünf Wochen im größten deutschen Opernhaus. Alle deutschen Opernhäuser mit regulärem Spielbetrieb können der Münchner Spielstätte für diesen guten Monat nur gratulieren. Was für eine erlesene Extra-Klasse an Musikern und Dirigenten sich hier im Sommer versammelt, hat Weltformat – hier können in Europa nur die Bayreuther und die Salzburger Festspiele mithalten.

Der „Maskenball“: Ein Machthaber, sein Freund und dessen Frau. Eine Dreiecksgeschichte, wie sie im Buche steht: der Sopran zwischen Tenor und Bariton. Aber in Verdis „Un ballo in maschera“ haben alle Protagonisten zwei Gesichter. Riccardo, der Gouverneur, wird als gerechter Souverän gefeiert, doch flieht er vor seiner Verantwortung und flüchtet sich aus Überdruss in ablenkende Zerstreuung – der ultimative Reiz für einen Menschen wie ihn kann nur noch sein, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen.

Renato liebt Riccardo, seinen Freund, fast mehr als seine Frau; und sie, Amelia, will nicht nur ihre Gefühle für ihren Liebhaber Riccardo abtöten, sondern womöglich sogar mehr. Ulrica, die Wahrsagerin, ist dabei die untergründige Macht, die in den Menschen einen unwiderstehlichen Todessog evoziert – bis der Tanz auf dem Vulkan in einem tödlichen Maskenball kulminiert. 1858 für Neapel komponiert, durfte die Oper aus Zensurgründen dort nicht gezeigt werden; nach einer durchgreifenden Überarbeitung wurde sie dann ein Jahr später in Rom uraufgeführt und bleibt bis heute eines der meistgespielten, aber auch rätselhaftesten Werke Verdis.

Im Barock war das Bett des Herrschers das Zentrum der Macht. Gouverneur Riccardo liegt viel im Bett und herrscht oder versucht es zumindest. „Zu dieser barocken Haltung allerdings passt die Sachlichkeit und Kühle der 20er-Jahre-Ausstattung, in der Johannes Erath und Heike Scheele das Drama spielen lassen, eher weniger“, schreibt BR Klassik zur Premiere. „Immerhin: die sich bis zur Decke emporschlängelnde Freitreppe kann man auch als Abwärtsspirale für Riccardos Leben interpretieren oder als Schlinge, die sich immer enger um seinen Hals zieht. Aber dafür braucht es schon einigen guten Willen. Ansonsten bleibt es in dieser Inszenierung vornehmlich beim schönen Dekor für die noch schöneren Kostüme von Gesine Völlm, in denen Choristen und Solisten über die Bühne rauschen.“

Star des Abends ist die Weltklassesängerin Anja Harteros als Amelia, die das Bühnengeschehen mit ihrer mächtigen Stimme dominiert. Sie ist eine großartige Erscheinung. Blitzschnell vermag sie zwischen lyrischer Innigkeit und dramatischer Spannung zu wechseln. Schon nach der ersten Solo-Arie im zweiten Akt („Ecco l’orrido campo / Hier ist der grauenvolle Ort“) bekommt sie für ihre glasklaren Höhen und ihre satten Tiefen tosende Bravo-Rufe aus dem Publikum. „Anja Harteros strahlt und schwebt über dem Orchester“, sagt die Münchnerin Johanna Wach-Schwartz, 47. „Sie singt alle in Grund und Boden“, sagt Ilse Corsten aus Starnberg.

Ein weiterer Weltstar indes, der Pole Piotr Beczała als Riccardo, sucht an diesem Abend vom ersten bis zum dritten Akt seine Bestform. Viele hohe Töne trifft der Tenor nur ungenau und singt sie von unten eine halbe Note nach oben an. „Beczała ist im Grunde sehr gut, singt teilweise aber quacksig und nicht rund“, sagt Irmgard Wach, 75. „Ihm fehlt am heutigen Abend die Weichheit in der Stimme. Meine Tochter und ich haben mit uns und für ihn gelitten.“ Trotz dieser berechtigten Kritik verzeihen die meisten Besucher Beczała seine Indisponiertheit und bedenken ihn nach Harteros mit den zweitmeisten Bravo-Rufen. Dennoch: Sein Schlusston im dritten Akt, mehr als eine halben Ton unter der Zielnote, ist ein unrühmlicher Abschluss eines durchwachsenen Sänger-Abends.

Die beste männliche Stimme des „Maskenballs“ ist ohne Frage der Italiener Franco Vassallo als Renato. Der gebürtige Mailänder, der in dieser Saison an der Bayerischen Staatsoper auch noch den Amonasro („Aida“) und die Titelpartie des Rigoletto gesungen hat, besticht in allen Lagen durch eine hochsensible, weiche wie dramatische Stimme. Sie ist rund und voll und sehr angenehm zu hören. Er bestreitet den Abend mit nur minimalen Fehlern.

Einen fulminaten Abend absolviert auch die Mezzosopranistin Okka von der Damerau als Wahrsagerin Ulrica. Die gebürtige Hamburgerin vermag mollig aber auch mit großer Klarheit zu singen, von mächtigen Tiefen bis zu enormen Höhen. Das Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper zeigt, dass sie bei ihrem facettenreichen Repertoire von Wagner bis Verdi auch noch für größere Aufgaben prädestiniert ist.

Hochsensibel und mit präzisen Anweisungen führt der gebürtige Mailänder Daniele Callegari das Bayerische Staatsorchester durch den Abend. Der Klangkörper hat nicht nur ein phantastisches erstes Cello, sondern auch bestechend sichere und klangschöne Bläser. Die Hörner leisten sich keinen einzigen Fehler an diesem Abend. Auch der Chor der Bayerischen Staatsoper zeigt nach leicht verhaltenem Beginn eine sehr engagierte, reife Leistung. Unverständlich bleibt indes, dass das gute Bühnenorchester im dritten Akt vom ersten Rang aus durch einen Spalt zwischen schwarzem Vorhang und weißer Wand zu sehen ist. Die in den Pausen lachenden und diskutierenden Musiker in Freizeitklamotten sind für den Zuhörer und –schauer kein Hochgenuss.

Andreas Schmidt, 31. Juli 2016
klassik-begeistert.de

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Bayerische Staatsoper“

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