„Wow!“ und „Boah!“: 60 Minuten Klassik to go in der Elbphilharmonie

W. Kilar, I. Strawinsky, NDR Elbphilharmonie Orchester, K. Urbanski,  Elbphilharmonie Hamburg

Foto: Claudia Höhne (c)
Wojciech Kilar
, Krzesany / Symphonische Dichtung
Igor Strawinsky, Le sacre du printemps / Bilder aus dem heidnischen Russland
NDR Elbphilharmonie Orchester
Dirigent: Krzysztof Urbanski

von Ricarda Ott

Kompakt und kurzweilig kommen die „Konzerte für Hamburg“ daher – so auch der Auftakt für ein ganzes Wochenende der beliebten „Klassik-to-go-Konzerte“. Ein effektvolles Programm, das NDR Elbphilharmonie Orchester in Großbesetzung, ein flotter Krzysztof Urbanski: und die Hamburger sind nachhaltig beeindruckt. Und das für sechs bis 18 Euro Eintritt.

Die Musik war von Anfang an klang- und ausdrucksstark. Von Wojciech Kilar (1932-2013), dem polnischen Komponisten mit dem fast unaussprechlichen Vornamen, stammte das erste Stück des Abends: Krzesany (1974), was so viel bedeutet wie „Bergsteigen“ und eine Art Klangporträt des Tatra-Gebirges darstellt. Empfindungen, Bilder und Bewegungen vertonen kann Kilar gut, das hat er in etlichen Filmmusiken zur Schau gestellt, unter anderem in Francis Ford Coppolas Dracula (1992) und in mehreren Filmen von Roman Polanski, darunter Der Pianist (2002).

Das zunächst kompositorisch durchsichtige Werk bestach eindeutig mit der vom Orchester (sogar mit Orgel) und vor allem von den Streichern und vom Schlagwerk erzeugten Klanggewalt. Dichte, sich nebeneinander auftürmende Gesteinsmassen vertonte Kilar mit einem satten, rhythmisch gedrängten Streichertutti. Irrwitzig schnelle Läufe, dass man plötzlich nur noch über die Saiten tanzende Finger sieht, knallende Beckenschläge und jaulende, durch das ganze Orchester hinab gejagte Glissandi ließen das Gebirge vor dem inneren Auge des Zuhörers erscheinen.

Das Finale des etwas 20-minütigen Stücks war dann der erste Höhepunkt des Abends. Folkloristisch-tänzerische Melodien setzten sich durch, bestimmten bald das ganze Orchester, das sich wie in einen Rausch zu spielen schien. Da dirigierte Urbanski auch gar nicht mehr: wild und in vermeintlichem Chaos versinkend steigern sich die Melodien, kreuzen und unterbrechen sich. Da feiern die Bauern und Bewohner eines kleinen Dorfes im Tatra-Gebirge eine ordentliche Party, da wird auf den Tischen getanzt, da geht es musikalisch drunter und drüber.

Das Publikum war begeistert von so viel „Wumms“, von der brachialen Kraft vermeintlich „feiner“ Instrumente, von der Ausdrucksstärke der Musik.

Ohne Verschnaufpause ging es weiter mit einem der wohl größten „Kracher“ der Musikgeschichte: Igor Strawinskys Le sacre du printemps, von Claude Debussy einmal passenderweise als „massacre du printemps“ bezeichnet – bei der Premiere am 29. Mai 1913 im Théâtre des Champs-Élysées in Paris flogen Stühle, es kam zum „Skandal des Jahrhunderts“.

Das NDR Elbphilharmonie Orchester spielte den Klassiker gut, vor allem die viel geforderten Holzbläser verdienten ein großes Lob. Dennoch fehlte oftmals die Präzision und vor allem die für die rhythmischen Schichtungen und die musikalischen Dialoge zwischen den Instrumenten so wichtige Spannung, die „elektrische Ladung“.

Krzysztof Urbanski dirigierte in gewohnt großen Gesten, schlug dabei mit seinem Stock auch mal versehentlich und zur Belustigung des Publikums aufs erste Bratschenpult und glich da oben am Dirigentenpult mehr einem zu den Strawinsky’schen „Beats“ tanzenden Clubgänger.

Das war unkonventionell, locker und beeindruckte die Zuhörer, von denen viele an diesem Abend die Stücke zum ersten Mal hörten. Man erzählte sich gegenseitig von den „Gänsehaut-Momenten“, tauschte Überbleibsel der kurzzeitigen Sprachlosigkeit wie „Wow!“ und „Boah!“ aus oder kommentierte das Konzert schlicht mit der universellen Gesichtsmimik: „Nicht schlecht!“

Danke, liebe Elbphilharmonie, liebe Intendanz und liebes Orchester, für diese Konzertreihe. Für diesen offenen, flexiblen und innovativen Ansatz mit den Schätzen unserer Musikgeschichte umzugehen und sie der Gesellschaft ein Stückchen näher zu bringen.

Richarda Ott, 18. Februar 2017, für
klassik-begeistert.de

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert