William Garfield Walker im Brahms-Saal: Kleines Orchester produziert großen Mahler-Klang

William Garfield Walker, Rebecca Nelsen, Nova! Orchester, Gustav Mahler, Symphonie Nr. 4 G-Dur Musikverein Wien, Brahms-Saal, 15. Oktober 2021

Foto: William Garfield Walker © Andrej Grilic

Musikverein Wien, Brahms-Saal, 15. Oktober 2021
Gustav Mahler, Symphonie Nr. 4 G-Dur

William Garfield Walker, Dirigent
Rebecca Nelsen, Sopran
Nova! Orchester

von Jürgen Pathy

Eine Flut an positiven Überraschungen. So lässt sich der Freitagabend im Brahms-Saal des Musikvereins Wien in nur einem Satz umschreiben. Dabei waren die Zweifel, ob Mahlers Vierte auch mit Kammerorchester funktioniert, ziemlich groß. William Garfield Walker, ein Absolvent der MUK (Privatuniversität Wien), hat sie alle beseitigt. 1992 in den USA geboren, erweist sich der junge Dirigent als Meister der intensiven Klangwogen mit Hang zum Pioniergeist. Das hat mehrere Gründe.

Nicht nur, dass der schlanke, großgewachsene Afroamerikaner einen starken Kontrast bildet zu den etablierten Vorstellungen, wie ein Dirigent auszusehen hat. Mit seinen 29 Jahren hat er bereits einiges gewagt. In Zeiten des coronabedingten Stillstands, wo viele Musiker in Schockstarre verfielen, hat er 2020 das Nova Orchester Wien (Now!) gegründet. Ein Akt, dessen Stellenwert nicht hoch genug eingestuft werden kann – vor allem in Wien, wo neben einem übermächtigen Platzhirschen und einigen etablierten Nebenbuhlern kaum Platz für andere Orchester eingeräumt wird.

Das Unfassbare dabei: Dass diese junge Formation bereits jetzt so weit ist, um Mahlers Vierte abendfüllend zu interpretieren. Im Brahms-Saal, der optisch und akustisch dem Großen Saal um nichts hinten nach steht, hat das Kammerorchester mehr als nur eine Talentprobe abgeliefert. Auch wenn an den Geigen vereinzelt minimal gepatzt wurde, das Klangspektrum, das Mahler zu einem Erlebnis werden lässt, haben Walker und die ebenfalls jungen Musiker in voller Pracht erblühen lassen. Dass der Konzertmeisterin dabei eine tragende Rolle zugekommen ist, mindert den Respekt und die Ehrfurcht vor diesem jungen Rohdiamanten in keiner Weise.

Musikverein Wien © Franks Travelbox

Noch dazu, weil Walker im Adagio voll den Nerv trifft. Diese Intensität muss es gewesen sein, von der Sergiu Celibidache einst sprach, als er meinte, Musik sei im Grunde nichts anderes als Spannung und Auflösung. Dort liegt im Grunde auch das Geheimnis des Mahler-Klangs. Er folgt einem natürlichen Fluss, der einen gewissen Spielraum für Interpretationen lässt, allerdings im breiten Legato und Glissando der Streicher immer auf Messers Schneide gleiten muss. So einfach das vielleicht klingen mag, es ist eine Kunst, die nur die wenigsten beherrschen.

Natürlich ist es nochmals eine andere Hausnummer, Mahlers Universum mit vollbesetztem Orchester zu bändigen, aber diese Vorhut war schon enorme Klasse. Genauso wie Rebecca Nelsen, die mit herrlichem Schmelz und berauschender Höhen dieses Gesamterlebnis abrundet. Da macht es auch nichts, wenn sich bei Schostakowitsch, der den zweiten Teil des Abends schließt, ein paar kapellmeisterliche Schwächen offenbaren. Es ist schon weitaus erfahreneren Kollegen passiert, dass die Dynamiken etwas aus dem Ruder geraten.

In Summe bleibt nur zu hoffen, dass die Courage von William Garfield Walker belohnt wird. Sein Potenzial als Musiker und intensiver Klangzauberer hätten es verdient.

Jürgen Pathy (Klassikpunk.de), 17. Oktober 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

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