Philharmonie Berlin: Gerhild Romberger verzaubert und berührt in Mahlers Zweiter

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Foto: Philharmonie Berlin © wikipedia.de
Andris Nelsons dirigiert Mahlers Zweite Symphonie
Philharmonie Berlin,15. Dezember 

Andris Nelsons, Dirigent
Lucy Crowe, Sopran
Gerhild Romberger, Alt
MDR Rundfunkchor Leipzig
Risto Joost, Einstudierung
Berliner Philharmoniker

von Martin Schüttö

Vor einer Zweiten Mahler im Programm zu stehen, ist kein leichtes Schicksal. Maija Einfeldes Lux aeterna für gemischten Chor, Glockenspiel und Vibraphon erlebt mit dem MDR Rundfunkchor Leipzig seine Erstaufführung in der Berliner Philharmonie. Die sich hoch-schraubenden Harmonien, von einzelnen Lichtpunkten in Glockenspiel und Vibraphon sparsam durchsetzt, führen zu keinen Begeisterungsstürmen im Publikum. Viele nutzen den Nacheinlass und belegen ihre Plätze erst zum Ende des siebenminütigen Stückes.

Gerecht ist das nicht. Auch wenn der Klang des Chores im Forte teils etwas schrill und unbalanciert erscheint, bringt der MDR Rundfunkchor Leipzig eine solide Leistung.

Gegen die geringen rhythmischen und dynamischen Kontraste des Chorwerkes schlägt der Beginn der Zweiten Mahler geradezu gewaltsam ein. Nelsons präferiert scharfe Rhythmen und hat ein untrügliches Gefühl für einen dramaturgisch klug bemessenen Beginn. Seine Vehemenz macht großen Eindruck, der Satz schreitet unaufhörlich fort. Die Philharmoniker spielen mit großer Zugkraft und klanglicher Wucht; sie folgen dem präzisen Schlag Nelsons empathisch, sodass herrliche dynamische Steigerungen gelingen.

So oft man sie hört, überrascht die Klangschönheit der Berliner Philharmoniker jedes Mal aufs Neue. Die schwelgerischen Portamenti der Streicher oder das Horn-Solo von Stefan Dohr können nur verzücken. Diese Ruhepunkte der Symphonie, die Nelsons deutlich herausarbeitet, lassen die gewaltigen Ausbrüche und typisch Mahler‘schen Durchbrüche noch gewaltiger erscheinen.

Der zweite Satz gelingt erstaunlich österreichisch. Zwischenzeitlich fühlt man sich wie in einer Fin de siècle-Interpretation eines Haydn‘schen Andante, dessen Witz auch im Pizzicato des gesamten Streichorchesters reminisziert wird.

Mahlers Zweite läuft auf die finale „Auferstehung“ zu, das Urlicht wird häufig nur als Vorbereitung vor dem großen Chorauftritt empfunden – an diesem Abend ist es das Zentrum der Symphonie.

Gerhild Rombergers Musikalität zeigte sich schon deutlich in ihrer Anteilnahme an den Instrumentalsätzen. Doch wie sie das Urlicht gestaltete, konnte mich nur in größtes Erstaunen versetzen. Ihre Stimme verschmilzt mit dem Orchesterklang, ist hier herrlich zurückgenommen, um an anderer Stelle wieder sanft hervorzutreten. Ihre Phrasierung ist hoch-musikalisch, die Textverständlichkeit superb und im Ausdruck ruft sie eine Rührung hervor, die ich in noch keiner Aufführung der Zweiten Mahler so erlebt habe.

Wenn es eine Sängerin schafft, meinen Blick auf eine Partitur zu wandeln und dermaßen anzureichern, kann ich nur meinen größten Dank für dieses Hörerlebnis aussprechen.

Der Beginn des Finales ist schmerzhaft schneidend. Nelsons führt den Satz mit großer Emphase – und gewaltiger Lautstärke! – dem Ende entgegen. Das Fernorchester entfaltet eine gute Wirkung. Gegen Ende hin zeigt auch der Rundfunkchor seine Klasse, bis schließlich alle instrumentalen und vokalen Mittel zusammentreten: Sterben werd´ ich, um zu leben.

Lucy Crowes Sopran ist zart und legt sich glänzend über die Chorstimmen hinüber. Zusammen mit der herrlichen Gerhild Romberger, dem MDR Rundfunkchor und den Berliner Philharmonikern schafft Andris Nelsons eine bemerkenswerte Apotheose. Der Applaus ist mehr als verdient.

Martin Schüttö, 18. Dezember 2018, für
klassik-begeistert.de

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