Foto: Simon Haenel (c)
Philharmonie Berlin, 19. Juni 2018
Gustav Mahler, 6. Symphonie
Simon Rattle Dirigent
Berliner Philharmoniker
von Martin Schüttö
Mit den beiden Abschiedskonzerten schließt Simon Rattle einen Kreis, den er bei seinem Debüt mit den Berliner Philharmonikern 1987 geöffnet hatte – die 6. Symphonie von Gustav Mahler steht auf dem Programm. Ein Werk, über das der bedeutende Kritiker Paul Bekker einmal sagte, dass es „unter allen Werken Mahlers das gedanklich und klanglich sprödeste, mindest eingängliche, anspruchsvollste ist.“
Simon Rattle geht diesen symphonischen Koloss mit zügigem Tempo an, sein Zugriff ist straff und verrät etwas über die Tragik der Sechsten. Gar nicht spröde sind dabei die Philharmoniker, ihr vibratoreicher, dichter Streicherklang sorgt für eine klangliche Fülle, die sich den unerbittlichen Achtelschlägen der Bässe gegenüberstellt.
Eine große Kunst, die der scheidende Chefdirigent mit seinem Orchester erreicht, ist die Gestaltung der disparaten Klangwelten, die Mahlers Werk als Herausforderung bietet. Da gibt es etwa Klangmischungen wie Kontrabässe con legno und die glockigen Akkorde einer Celesta.
Es ist kein Geheimnis, dass die Philharmoniker reich beschenkt sind mit großartigen Solisten; und doch muss es einen jedes Mal in Staunen versetzen. Ein Duett zwischen Solo-Violine und Horn gelingt berückend schön, und auch später darf Stefan Dohr am Solo-Horn beweisen – etwa im Andante – wie klangschön und voll sein Ton ist.
Rattle lässt das Andante als zweiten Satz spielen, was auf eine eigene Änderung Mahlers zurückgeht, und kreiert so aus dem weitgesponnenen, langsamen Satz ein Intermezzo, bevor sich das Unheil mit dem Scherzo schon wieder ankündigt. Wie er den Satz beginnt, beeindruckt; äußerst verhalten, geradezu unschuldig wird in fließendem Tempo eine bescheidene Erhabenheit hergestellt, die uns einmal mehr die Klasse dieses Orchesters vor Aug und Ohr führt.
Die gleiche Vehemenz und Härte, die er im Kopfsatz präsentierte, lässt Rattle im Scherzo wiederkehren. Es stellt sich kein Hauch von Fröhlichkeit ein, und die scheinbar heiteren Einwürfe bergen in sich immer schon einen Moment von Tragik. Rattle akzentuiert seine Einsätze sehr stark und vermeidet mit seinem raschen Tempo das Aufkommen idyllischer Momente.
Ohne Pause leitet er über in das Finale mit seinem verschleierten Klangteppich, der von Celesta und Harfe durchflossen wird. Die Kontraste und plötzlichen Wechsel wirken hier wahrhaft überraschend; man glaubt Rattle den allgemeinen dirigentischen Vorsatz, es solle so klingen, als werde es im Moment der Aufführung komponiert. Und doch hat alles eine klare, zielgerichtete Notwendigkeit, mit der die Philharmoniker den Höhepunkten des Satzes entgegenschreiten.
Die berühmten Hammerschläge der sechsten Symphonie machen nicht nur optisch etwas her – diesen Holzhammer kann man trotz der ausufernden Mahler-Besetzung nicht übersehen! –, fügen dem Auditorium einen geradezu physischen Schmerz zu. Sie reißen uns aus einem Traum, der immer wieder aufs Neue zurückgeholt werden soll und doch in ein Scheitern mündet. Der letzte Schlag ohne den gewaltigen Hammer bringt eine Leere, die nicht mehr ausgefüllt werden kann.
Eine gewisse Erhabenheit gewinnen die dunklen Bläserfarben trotzdem, die in kontrapunktischen Linien schließlich zu einem Schrei führen: Ein letzter Tuttischlag, der das Ende des Werkes ankündigt und nur noch ein Pizzicato auf sich folgen lässt.
Was soll danach noch kommen?
Erst einmal Stille und das eine ganze Weile lang, bis schließlich der Jubel losbricht und das Publikum in der Philharmonie seiner Begeisterung Ausdruck verleiht. Nach weitgespannten Ovationen bittet Rattle schließlich kurz um das Wort: Das Berliner Publikum werde immer in seinem Herzen bleiben.
Das Berliner Publikum machte mit seinem Applaus klar, dass diese Zuneigung ganz sicher auf Gegenseitigkeit beruht…
Martin Schüttö, 20. Juni 2018, für
klassik-begeistert.de