10 Fragen an die Jazzsängerin Tuija Komi: "Ich möchte draußen singen, auch im Wasser – ich bin am See aufgewachsen, nee, IM See, schließlich habe ich fast Kiemen"

10 Fragen an Tuija Komi  klassik-begeistert.de

Die gebürtige Finnin Tuija Komi hat in ihrem Heimatland Betriebswirtschaftslehre studiert und kam 1992 erstmalss für ein Praktikum nach Deutschland. Sie hing mit 37 Jahren ihren Job als IT-Projektmanagerin an den Nagel und studierte Jazz- und Popgesang in Frankfurt. Seitdem ist die Wahl-Münchenerin als Jazzsängerin selbständig. Sie arbeitet gelegentlich als Sprecherin für finnische Hörbücher und E-Learning Programme. Tuija Komi moderiert Festivals und gibt Workshops. Die gutgelaunte Finnin ist eine leidenschaftliche Gesangspädagogin, sei es in Form von Einzelunterricht oder des von Bobby McFerrin entwickelten Circle Singing in Gruppen oder Body Percussion nach Keith Terry. Im Jahr 2014 legte sie einen beeindruckenden Auftritt bei „The Voice of Germany“ hin. Seit 2009 hat Tuija Komi fünf CD’s aufgenommen, zuletzt mit ihrem Quartett „Midnight Sun“ (Bauer Studios) als Hommage an ihre Heimat „Music from the Land of the Midnight Sun“ – als Gast spielte der Welt-Star Trompeter Dusko Goykovich. Ihre umfangreiche Konzerttätigkeit führte sie in München wiederholt in den Jazzclub Unterfahrt sowie in den Bayerischen Hof, aber auch nach Regensburg, Flensburg, Berlin, Köln, Hamburg, Lindau, Hof, Potsdam, Finnland, Italien, Spanien, Portugal und New York. Das nordische Energiebündel singt an der Seite des moldawischen Akkordeonvirtuosen Vlad Cojocaru im Duo Jazzango eine cool-feurige Melange aus internationalen Tangos und Bossa nova. Tuija Komi hat sich schon frühzeitig mit ihrem Mann in die gemeinsame Wohnung in München zurückgezogen, um der Corona-Pandemie die Stirn zu bieten.

Interview: Dr. Petra Spelzhaus

klassik-begeistert.de: Was haben Sie vor einem Jahr getan, und wie sieht Ihr Alltag heute aus?

Tuija Komi: Vor einem Jahr war ich als Sängerin auf der Bühne aktiv, ich habe diverse Konzerte gesungen im Jazzclub Ehingen, im Kaiserkeller in Detmold und im Pfarrstadl in Weßling. Ich habe meinen Gesangsunterricht aufgebaut und mich dafür weitergebildet. Ansonsten war ich mit Akquise beschäftigt und habe Kurse gegeben, unter anderem im Circle Singing  – das macht mega Spaß! Im April 2019 war ich wie die vorangegangenen Jahre auch zum Netzwerken bei der internationalen Jazzmesse „Jazzahead“ in Bremen.

Ich nehme die Ausgangsbeschränkung sehr ernst und habe schon früh mit der Kontaktsperre begonnen. Von daher fängt es langsam an zu nerven. Aber es ist wichtig, dass wir uns jetzt konsequent einschränken, damit wir das, was wir wieder haben wollen, so schnell wie möglich zurück bekommen. Es hat mich überrascht, wie gut und lange ich mich in den eigenen vier Wänden beschäftigen kann – ich fühle mich wohl bei uns zuhause. So konnte ich liegengebliebene Arbeit erledigen. Und ich habe Zeit, ein neues Konzept mit Klanginstrumenten, die ich jetzt bestellt habe, Texten und Gesang zu erarbeiten. Mir ist es sehr danach, mich mehr dem Songwriting zu widmen, neue Songs sind gerade dabei zu entstehen. Man benötigt dafür Muße und Kreativität, das geht unter der normalen Reizüberflutung gerne unter. Ich möchte gerne auch ein Buch schreiben, vielleicht einen Krimi, das ich als leidenschaftliche Sauna-Gängerin in einer Sauna für andere vorlese…

Nennen Sie bitte drei Schlagworte, wenn Sie das Wort Corona hören…

Ungeduld, Herausforderung, Rücksicht.

Welches sind die einschneidendsten Veränderungen seit Ausbruch der Corona-Pandemie? Können Sie ihr auch etwas Positives abgewinnen?

Es gibt natürlich keine Live-Konzerte mehr, und ich kann meine Gesangsschüler nicht mehr persönlich empfangen. Großveranstaltungen wie die Jazzahead-Messe fallen dieses Jahr aus. Akquise ist aktuell auch schwierig, die Leute haben keinen Nerv dafür. Das hat wiederum zur Folge, dass nicht nur aktuelle Konzerte ausfallen, sondern auch längerfristig keine neuen geplant werden.

München, 18.7.2018 / Foto: Robert Haas (c) Die gebürtige Finnin und Wahlmüchnerin Tuija Komie hat lange bei Siemens in der IT gearbeitet, heute verdient sie ihr Geld mit Jazzgesang.

Fotos unten: Dirk Schiff (c)

Normalerweise gehe ich morgens als erstes raus an die frische Luft, im Sommer schwimme ich in der Isar, trinke meinen Morgen-Kaffee auch dort und starte dann mit der Arbeit. Ich bin halt ein „Natur-Ei“. Das fällt jetzt leider aus. Allerdings kann ich Dinge tun, die ich vorher nicht geschafft habe. Die Langeweile produziert Leere, daraus können wiederum Ideen entstehen, auch Songideen. Ich möchte gerne ein Programm für Kinder anbieten, etwa Lesung und Musik – die Nachfrage dafür sollte groß sein. Für Erwachsene habe ich bereits eine Lesung in meinem Wohnzimmer gemacht. Es war lustig mit einem Roman vom finnischen Kultautoren Arto Paasilinna „Der Mann mit den schönen Füßen“. Und ich nehme mir mehr Zeit für meine Familie und Freunde via Telefon, WhatsApp oder Video-Calls nach Finnland und in die Welt. Auch kontaktiere ich vermehrt alleinlebende Freunde, sozusagen als präventive Seelsorge. Ich habe selbst so viel Hilfe in meinem Leben bekommen, da gebe ich sehr gerne etwas zurück. Gutes erzeugt Gutes, es macht Spaß zu helfen!

Womit verdienen Sie sich normalerweise ihre Brötchen? Wie ist die Situation nach Aussetzen sämtlicher kultureller Veranstaltungen?

Normalerweise verdiene ich mein Geld mit Gagen für Konzert-auftritte, als Sprecherin, Trainerin, Dozentin bei Fortbildungen oder mit Gesangsunterricht. Aktuell erhalte ich etwas Gage für Streaming-Konzerte. Apropos Konzert, das nächste ist am Ostermontag, 13. April 2020, um 19.30 Uhr – mit meinem Kollegen Vlad Cojocaru spielen wir aus unserem Satumaa-Album („Märchenland“, ENJA Records). Wir sind LIVE in Youtube zu sehen. Wichtig ist die Wertschätzung. Das Konzert läuft nicht auf Spenden-Basis, sondern die Veranstalter zahlen uns eine Gage, so wie es üblich ist! Das finde ich richtig, und es ist auch wichtig für uns Künstler, da wir von diesen Einnahmen leben müssen. Für die Zuhörer ist es entgeltlos.

Im Moment läuft mein Gesangsunterricht online, das funktioniert ganz gut. Ich war erst ein wenig skeptisch und habe mich diesbezüglich bei einer Kollegin, die seit 15 Jahren online unterrichtet, weitergebildet. Unter Sängern/Gesangspädagogen herrscht ein reger kollegialer Austausch, wir unterstützen uns gegenseitig – das finde ich prima. Ich hoffe, es bleibt auch so nach Corona… An sich gibt es auch einen Rettungsschirm für freischaffende Künstler, zunächst von der bayerischen Regierung initiiert, später kam die Bundesregierung hinzu. Ich habe gleich am 18. März einen Antrag auf Soforthilfe gestellt. Bisher ist aber leider noch keine Zahlung eingegangen, die laufenden Kosten jedoch fallen ja auch bei uns Künstlern weiter an.

Wie gelingt es einem Künstler ohne Publikum bei Laune zu bleiben?

Bei meinem ersten Streaming-Konzert am 23. März 2020 im Pelkovenschlössl in München war es anfangs schon komisch, statt Applaus Stille. Normalerweise habe ich gerne Kontakt mit meinem Publikum, ich gestalte Konzerte interaktiv. So habe ich mir den Applaus vorgestellt, einfach weiter moderiert und mit meinem Kollegen Stephan Weiser (Piano) interagiert. Das Konzert ist noch auf YouTube zu sehen.

Eine Frage, die mich als Ärztin besonders interessiert: Mit welchem Musikwerk stimulieren Sie Ihr Immunsystem?

Ich liebe unendlich die Musik der Natur, die Geräusche des Wassers: Das Meeresrauschen oder das Plätschern des Bachs. Und ich liebe den Gesang der Vögel. Den Song „Close to You“ beginne ich beim Konzert mit Vogelzwitschern und singe ganz A Capella. Das stärkt die Abwehrkräfte! Ansonsten hilft Selber-Singen, vor allem in Gemeinschaft! Da bietet sich das Circle-Singing geradezu an. Es entstehen wohltuende Schwingungen, man wird auch tief berührt und auch ich als erfahrene Sängerin bekomme eine Gänsehaut.

Momentan verbringen viele Musikliebhaber viel Zeit in ihren eigenen vier Wänden. Gibt es ein Buch, eine CD oder auch Streaming-angebot, die Sie uns dringend empfehlen würden?

Ich empfehle jetzt allen Musikliebhabern: Hört Euch die Musik von den noch „Kleineren“ an und lest deren Bücher, sprich von denjenigen, die noch nicht so berühmt sind! Sie haben ihre       Produktionen selbst bezahlt und arbeiten zusammen mit kleinen Labels, die wenig Geld haben. Die „kleinen“ Künstler haben auch keine   Marketing- oder Sponsoringverträge wie die „Großen“. Am besten unterstützt ihr sie jetzt durch einen Kauf von einer physischen CD oder einem Buch DIREKT beim Künstler (über den Online-Shop auf der Web-Seite), alternativ, falls der Kauf beim Künstler direkt nicht möglich ist, bei Eurem CD- oder Buchladen um die Ecke. Auch die brauchen Eure Unterstützung. Doch einen Buchtipp aus meiner Heimat kann ich Euch geben:  Wer kennt die wunderbaren Mumins noch nicht? Schaut nach den Büchern von Tove Jansson bei Eurem Lieblings-Buchhändler/-in.

Kommen wir zur ersten Frage zurück: Wo sehen Sie sich in einem Jahr?

In einem Jahr möchte ich unbedingt wieder auf der Bühne singen. Ich bin flexibel und anpassungsfähig. Aber es ist hilfreich zu wissen, wie lange eine Situation anhält. Ich hoffe, dass wir in einem Jahr nicht mehr mit der Angst der Unsicherheit leben müssen. Sehr gerne plane ich Gruppenangebote, zum Beispiel Circle Singing. Ich möchte Waldbäder machen, um mich zu verwurzeln und die Verbindung mit der Natur beziehungsweise der Erde zu spüren und Ruhe, Kraft und Gesundheit zu tanken. Und ich möchte draußen singen, auch im Wasser. Ich bin am See aufgewachsen, nee, IM See – schließlich habe ich fast Kiemen. Natürlich möchte ich auch selber in Konzerte oder auf Kulturveranstaltungen gehen: Lesungen, Theater oder Oper.

Es gibt Zukunftsforscher, die nach überstandener Corona-Krise eine Verbesserung des Weltklimas – ökologisch wie sozial – prophezeien. Teilen Sie diese Einschätzung? Wie ist ihre Vision?

Ich möchte so gerne, dass es uns allen besser geht inklusive der Natur! Wir haben so viel falsch gemacht, leider. Ich bin eigentlich Optimistin und so möchte ich daran glauben, dass wir Menschen etwas aus der Corona-Krise lernen und es nicht wieder vergessen. Im Moment gibt es so viel Hilfe für Mitmenschen und weniger Egoismus. Es gibt mehr gute Energie! Wir sind freundlicher und liebevoller zueinander und zur Natur. Ich hoffe so sehr, dass es so bleibt.

Schauen wir in die Glaskugel: Die Heilige Corona, u. a. Schutzpatronin gegen Seuchen, hat ein Einsehen mit uns und beendet die Pandemie. Alle Musikclubs, Theater und Opernhäuser öffnen wieder. Für ihren ersten Auftritt haben Sie drei Wünsche frei: Wo, in welcher Produktion und mit wem arbeiten Sie?

Ich sage immer, ich möchte tolle Musik auf schönen Bühnen mit guten Musikern für ein tolles Publikum machen und dabei Spaß haben. Und dies habe ich ja bereits – ich Glückliche!

Kein Wunsch mehr offen?

Konkret möchte ich gerne im Sommer ein Open Air-Konzert auf einem See singen, zum Beispiel auf einem Ponton auf dem Chiemsee, Bodensee oder Starnberger See (natürlich auch in Finnland). Ich bin ein Sommermensch, eine Finnin, die die Wärme liebt und die Kälte nicht ausstehen kann. Ich brauche die Sonne und das Licht.

Interview: Dr. Petra Spelzhaus, 12. April 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dr. Petra Spelzhaus, München

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