So eine Chance gibt es für jeden Regisseur nur einmal im Leben!

Interview mit Valentin Schwarz, Regisseur  Neuinszenierung Wagners „Ring des Nibelungen, Bayeuth 2022

Foto:© David Sünderhof

„Ich komme tatsächlich aus einer Musikerfamilie, wo es selbstverständlich war, samstags in die Oper oder ins Konzert zu gehen, ein Instrument zu lernen (in meinem Fall die Geige seit meinem 7. Lebensjahr) oder auch ins Regal zu greifen und einen Klavierauszug des „Rheingolds“ hervorzuholen und mit neun Jahren zu Soltis Aufnahme mitzusingen – wovon es sogar ein Foto gibt.“

Der österreichische Regisseur Valentin Schwarz (* 1989) studierte Musiktheater-Regie, Volkswirtschaftslehre und Philosophie in Wien. Während seines mit Auszeichnung abgeschlossenen Regiestudiums debütierte er mit Debussys „Le Martyre de Saint Sébastien“ und Lehárs „Giuditta“. 2017 gewann er beim internationalen Regiewettbewerb „Ring Award Graz“ gemeinsam mit seinem Ausstatter Andrea Cozzi den Hauptpreis, den Publikumspreis sowie zahlreiche Sonderpreise in Form von Inszenierungsangeboten.

2022 wird Valentin Schwarz für die Bayreuther Festspiele die Neuproduktion von Wagners „Ring des Nibelungen“ inszenieren.


Interview mit Valentin Schwarz von Luc Roger

Luc Roger: Valentin Schwarz, vielen Dank, dass Sie sich bereit erklärt haben, an diesem Interview teilzunehmen. 2019 kündigte Katharina Wagner an, dass sie Sie ins Auge gefasst hatte, um den Ring des Nibelungen bei den Bayreuther Festspielen 2020 zu inszenieren, im Team mit dem Bühnenbildner Andrea Cozzi, mit dem Sie bereits mehrere Opern inszeniert haben und mit dem Sie 2017 auch den Ring Award Graz gewannen. Die Tetralogie konnte 2020 aufgrund der Pandemie nicht aufgeführt werden. Im Jahr 2019 hatten Sie gerade Ihren 30. Geburtstag gefeiert, was Sie wahrscheinlich zum jüngsten Regisseur in der Geschichte des Bayreuther Rings macht. Würden Sie uns die Umstände dieser prestigeträchtigen Ernennung schildern und uns sagen, wie Sie sich gefühlt haben, als Sie davon erfuhren?

Valentin Schwarz: Also erstmal ist es natürlich eine große Ehre, das Angebot zu bekommen, auf dem Grünen Hügel inszenieren zu dürfen, zumal ich mich seit Jahrzehnten mit Wagners „Ring“ beschäftige. So eine Chance gibt es für jeden Regisseur nur einmal im Leben und ich habe bislang keinen Augenblick bereut, zugesagt zu haben. Der „Ring“ ist unglaublich erfüllend und hier in Bayreuth ist das Wissen bei jedem Orchestermusiker und Sänger immens. Da wird man auch ein wenig stolz, jetzt Teil dieser Rezeptionsgeschichte zu werden.

Luc Roger: Sie haben Musiktheaterregie und Philosophie studiert. Was hat Ihre Berufung geweckt? Wann wussten Sie, dass es das war, was Sie unternehmen wollten? Hat Ihre Familie oder Ihr Bekanntenkreis Sie auf den Geschmack der Oper gebracht? Haben Sie eine musikalische Ausbildung genossen?

Valentin Schwarz: Ich komme tatsächlich aus einer Musikerfamilie, wo es selbstverständlich war, samstags in die Oper oder ins Konzert zu gehen, ein Instrument zu lernen (in meinem Fall die Geige seit meinem 7. Lebensjahr) oder auch ins Regal zu greifen und einen Klavierauszug des „Rheingolds“ hervorzuholen und mit neun Jahren zu Soltis Aufnahme mitzusingen – wovon es sogar ein Foto gibt. Gleichzeitig war ich immer von der Freiheit, Spielfreude und Utopiefähigkeit begeistert, die das Theater einer Gesellschaft schenkt. Und diese beiden Leidenschaften: Musik und Theater zum Studium der Musik-Theater-Regie zusammenzuführen, war ein konsequenter Schritt.

Luc Roger: Wann hatten Sie Ihren ersten Kontakt mit dem Werk und der Person Richard Wagners? Wie haben Sie sich in sein Werk eingearbeitet? Hat sich Ihr Zugang zu Wagners Opern im Laufe der Zeit verändert?

Valentin Schwarz: Angeblich durfte ich meine Eltern mit neun Jahren in eine Aufführung des „Fliegenden Holländer“ begleiten, gerade für Kinder sind diese plastischen, märchenhaften Settings ja unglaublich faszinierend, überfordernd und überwältigend. Später als Jugendlicher begeistert die hohe Emotionalität und Mehrdimensionalität dieser Musik, die stupende Verwendung der Leitmotive etc. Leider entdeckt man dann auch das Abstoßende von Wagner, seinen unverzeihlichen Antisemitismus und es beginnt die kritische Distanzierung. Als Regisseur nimmt man all diese Eindrücke zusammen auf und ich staune, wie robust und theaterpraktisch Wagners Ideen waren. Gerade der „Ring“ zeigt Wagner als unglaublich genauen zwischenmenschlichen Beobachter und Psychologen avant la lettre.

Luc Roger: In der Presse war zu lesen, dass Ihr Projekt darin besteht, den Ring im Stil einer Netflix-Serie aufzuführen, ein Epos oder eine Familiensaga zu inszenieren? Könnten Sie bitte Ihren Blickwinkel auf das Werk erwähnen? Welches Gewicht hat der Prolog Ihrer Meinung nach im Vergleich zu den drei Tagen?

Valentin Schwarz: Es ist erstaunlich, mit wie wenig Personal Wagner über diese 15 Stunden auskommt, und es ist kein Geheimnis, dass über drei Ecken auch fast alle Figuren miteinander verwandt sind. Es gehört also viel Blindheit dazu, im „Ring“ KEIN Familiendrama zu sehen, mit allen innerfamiliären Konfliktfeldern, die uns als Identifikationspotential dienen können. Oft wird der „Ring“ ja als Welterklärungsmodell verstanden, die Figuren als Ideenträger verkürzt und das Reinmenschliche, das Zwischenmenschliche darüber hinweg vergessen. Wir wollten nochmal genau reinblicken in die Figuren, die uns da über eine Woche über die Generationen hinweg begleiten und waren erstaunt, wie ähnlich sie uns sind, im Guten, im Schlechten, und vor allem in allen erdenklichen Graustufen dazwischen.

Luc Roger: Man liest auch, dass Sie sich bemühen, die Menschlichkeit der verschiedenen Protagonisten herauszuarbeiten. Sind diese Götter, Walküren, Helden, Zwerge und Drachen in Ihren Augen eher menschlich als mythisch?

Valentin Schwarz: Sicherlich. Wagner hatte ja als großes Vorbild immer die griechische Tragödie vor Augen und die germanischen Figuren im „Ring“ gleichen verhaltenstechnisch ja auch vielmehr den attischen Göttern mit ihren allzu menschlichen Eifersüchteleien und Intrigen. Wagner hatte Menschen vor Augen, die von Menschen dargestellt werden und für uns Menschen im Publikum agieren. Die Qualität des Mythos zeigt sich ja nicht darin, die Figuren anhimmelnd auf irgendwelche Sockel zu stellen, sondern sie im Hier und Jetzt zu allen Zeiten erfahrbar zu machen.

Luc Roger: Was die Beziehung von Musik und Inszenierung betrifft: Wie stellen Sie sich ihre Wechselbeziehung vor, wie interagieren sie? Wie nähren sie sich gegenseitig? Spiegelt Ihre Inszenierung z. B. die Leitmotive und Rhythmen des Werks wider?

Valentin Schwarz: Wagner schuf dieses Leitmotiv-System ja mit immensem Eifer und Gestaltungswillen, dieses von ihm wild collagierte Prosa-Gebilde musikalisch irgendwie zusammenzuhalten. Darüber einfältig oder mutwillig hinwegzugehen, wäre schon strukturell ein großer Fehler. Interessanter als das oberlehrerhafte Aufspüren von Bild-Ton-Kongruenzen ist allerdings die unverschleierte Betonung der Diskrepanzen, wo Wortinhalt und der auktoriale Erzähler – das Orchester – nicht mehr übereinstimmen und sich semantische Abgründe auftun. Die dann psychologisch herzuleiten, hat total Laune gemacht.

Luc Roger: Kommen wir zur Frage der Zeit. Abgesehen vom Prolog werden die drei Tage von Nicht-Wagnerianern oder einem weniger sachkundigen Publikum oft als extrem lang empfunden, viele sind von der Dauer der Aufführung erschrocken. Wie gehen Sie mit diesem Phänomen um?

Valentin Schwarz: Das Eintauchen in eine Welt, das Verstehen und Durchdringen von Figuren geht eben nicht an einem Nachmittag. Wie wir es von Romanen und Serien als epische Medien gewohnt sind, täuscht oft der erste Eindruck, den wir von einer Figur oder einer Situation gewinnen: Der offenkundige Bösewicht hat auf einmal gute Gründe für sein Handeln, der strahlende Held zeigt Risse und die angeblich heile Ehe ist schon längst zerbrochen. Diese Entwicklungen und Erkenntnisse sind keine fehlerhaften Unschärfen, sondern definieren uns als Menschen in allen Schattierungen. Und da will man hoffentlich auch nach einer langen „Walküre“ beim Verlassen des Festspielhauses unbedingt wissen, wie es mit dieser Brünnhilde, mit diesem Wotan weitergeht.

Luc Roger: Könnten Sie eine Ecke des Schleiers über den oder die Handlungsorte lüften? Haben Sie mit Andrea Cozzi einen einzigen Raum konzipiert oder haben Sie die Handlungsorte differenziert?

Valentin Schwarz: Die Familie als Zentrum ist auch geografisch zu sehen. Ästhetisch und inhaltlich sind wir von einem großen „Ring“-Schauplatz ausgegangen wo sich über die Jahrzehnte hinweg die Mitglieder dieser Großfamilie samt ihrer ungebetenen Gäste einfinden. Die Spannung kommt über die Veränderung der Räume, die wie die Personen der unbarmherzigen Zeit ausgeliefert sind und uns in immer neuen Perspektiven Einblicke in die Lebensumstände gewähren.

Luc Roger: Hat Ihre doppelte Ausbildung als Philosoph und Regisseur Sie an die Weltanschauung herangeführt, die im Werk des Meisters enthalten ist? Ist das Gesamtkunstwerk auch philosophisch? Hat der Ring eine transformative Kraft?

Valentin Schwarz: Wagner wollte bekannterweise mit seinem Gesamtkunstwerk eine gesellschaftliche Transformation anstoßen, war politisch lange Zeit aktiv und hat sich dazu hinlänglich in seinen Schriften geäußert, deren Geisteshorizonte sich aus vielen Quellen speisen. Wagners wesentliche Qualitäten liegen allerdings in seinen Bühnenwerken, deren zeitenüberdauernde Aufführungstradition ja belegt, dass  – abgesehen vom musikalischen – der Wert wesentlich in deren geistesgeschichtlichen Robustheit liegen: Wie andere große Werke der Kunstgeschichte versucht jede Epoche in Wagners Werk Wahrheiten über das Hier und Heute zu finden oder hineinzuinterpretieren, mit unterschiedlichstem Erfolg. Diese Uneindeutigkeit und der Konsens im Dissens legen den Ring als mythische Carte blanche nahe, dem wir uns immer neu annähern, gerade in Bayreuth, wo die intensive Beschäftigung mit den ewig gleichen, wenigen Werken ja neue Herangehensweisen geradezu erzwingt. Dieses Veränderungspotential, die Fähigkeit zu beständigen Selbstkorrektur, macht den „Ring“ in seinem Mythos zum potentiellen Leitmedium einer Gesellschaft(skritik), den es gilt, im Genre des Musiktheaters  neu zu etablieren.

Luc Roger: Auf einer eher praktischen Ebene: Wie arbeiten Sie mit Ihrem Bühnenbildner Andrea Cozzi und mit dem Dirigenten und Maestro Pietari Inkinen zusammen? Wie wichtig ist die Teamarbeit?

Valentin Schwarz: Der Ring ist ein Mammutprojekt, ein forderndes Unternehmen für hunderte Menschen, die gemeinsam an dieser Vision mitwirken. Jede/r Einzelne ist da involviert und vonnöten. Das Glück für mich ist, die verschiedenen Perspektiven und Einsichten von Pietari und allen anderen im Team aufzunehmen und in engem Austausch die beste Lösung für das künstlerische Ergebnis zu finden. Kommunikative Offenheit und beständige Gesprächsbereitschaft sind dafür selbstverständlich, ein autoritärer Autopilot wäre hier fehl am Platz.

Luc Roger: Schließlich hat sich zwischen 2020 und heute Ihre Inszenierung des Rings weiterentwickelt?

Valentin Schwarz: Der „Ring“ verändert einen und arbeitet innerlich fort. So wie das große Ganze, das Konzept und die erfundene Welt als Anker bestehen bleiben, gibt es in jeder Inszenierung tausende Details, an denen man weiterfeilt. Jede Kleinigkeit, jeder Mosaikstein im großen Bild, der nur matt schimmert, anstatt gold zu glänzen, kann das Bild trüben. Die Arbeit am „Ring“ ist eine Arbeit an uns selbst – so wie die Premiere keinen Endpunkt darstellt und in der Werkstatt Bayreuth die nächsten Jahre weitergearbeitet wird, so sind wir mit uns selber nie zu Ende und immer neugierig auf das, was uns erwartet.

Luc Roger: Vielen Dank, Valentin Schwarz, dass Sie sich die Zeit genommen haben, unseren Lesern diese wertvollen Einblicke zu gewähren.

3 Gedanken zu „Interview mit Valentin Schwarz, Regisseur
Neuinszenierung Wagners „Ring des Nibelungen, Bayeuth 2022“

  1. Hallo Herr Schwarz,

    Bedauerlich, Sie an abstoßendem Wagner-Bashing leiden zu sehen.
    Wagners Opern sind imho nicht antisemitisch.
    Ein Beckmesser: kein Jude, sondern ein kleinlicher, selbstgefälliger deutscher Beamter.
    Ein Mime: kein Jude, sondern ein Zwerg.
    Aus der Gattung der Zwerge.

    In der Hoffnung, bei Ihren Inszenierungen nicht ständig Schwarz sehen zu müssen.

    Grüße aus – sic! – Nürnberg
    Alexander Waldherr

    1. Hallo Herr Waldherr,
      ich teile Ihre Meinung, insbesondere zur angeblichen jüdischen Herkunft von Beckmesser. Richard Wagner selbst hat eine solche Interpretation nie vorgeschlagen. Im Charakter von Beckmesser mochte er die traditionelle, italienische Oper parodieren. Die Sache ist auch historisch nicht begründet, weil die Handlung der „Meistersinger“ in der Mitte des 16. Jahrhunderts spielt, wohingegen Juden 1499 aus Nürnberg vertrieben wurden und man ihnen erst 1850 dorthin zurückzukehren erlaubte. Außerdem durfte damals kein Jude Stadtschreiber werden, oder?

      Herzliche Grüße von einer Krakauerin (also aus der Partnerstadt von Nürnberg)
      Jolanta Łada-Zielke

  2. Der „Fall Wagner“ sorgt immer wieder für heftige Emotionen und es gibt wohl kaum einen Künstler, der nach seinem Tod nicht nur extrem polarisiert, sondern auch Spaltungen innerhalb der einzelnen Rezipienten hervorruft. Ich persönlich liebe Wagners Musik aus tiefstem Herzen, aber es gibt auch niemanden, für den ich mich so sehr fremdschäme.

    Herr Waldherr hat sicher recht damit, daß es sehr schwer, wenn nicht unmöglich ist, Aspekte oder Figuren in Wagners Opern als eindeutig antisemitisch dargestellt wahrzunehmen.

    Was Herr Schwarz im Interview zu Recht und sehr sachlich anführt, sind die widerwärtigen Auslassungen Wagners über die Juden, allem voran seine Hetzschrift „Das Judenthum in der Musik“, die er vor allem aus Neid gegenüber dem Erfolg Giacomo Meyerbeers aus der Feder würgte. Hätte er das unterlassen, wäre ihm selbst und der deutschen Kulturgeschichte einiges erspart geblieben. Daß die Juden Carl Tausig, Hermann Levi, Joseph Rubinstein und Angelo Neumann zu den größten Bewunderern und wichtigsten Mitarbeitern Wagners zählten, ist hinlänglich bekannt und spiegelt allein schon die ambivalente Haltung Wagners gegenüber „den Juden“ bzw. jüdischen Einzelpersonen wider.

    Insgesamt ein schwerer Brocken, der nicht einfach zu schlucken ist. Es scheint angeraten, die Diskussion immer wieder zu versachlichen. Die moderne Wagner-Rezeption braucht keine idealisierenden Breker-Büsten mehr, sondern intelligente, aufgeweckte Inszenierungen, die alle Ebenen angemessen beleuchten. Seien wir gespannt, mit was der neue „Ring“ uns überrascht!

    Dr. Andreas Ströbl

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