Konstantia Gourzi © Astrid Ackermann
Zeitgenössische Gourzi-Impressionen und die hochromantische
„Mass in D“ von Ethel Smyth werden vom Bremer Publikum frenetisch bejubelt
50 Jahre Weltfrauentag
Programm:
Konstantia Gourzi: Mondaufgang am Meer op. 108 – Ouvertüre für Blechbläser und Schlagzeug
Variation 21 op. 80 für Orchester
Ethel Smyth: Mass in D für Sopran, Alt, Tenor, Bass und Orchester
Konstantia Gourzi Dirigat
Hansjörg Albrecht Dirigat
Carl-Philipp-Emanuel-Bach Chor Hamburg
Bremer Philharmoniker
Halle 1 im Tabakquartier, 9. März 2025
von Dr. Gerd Klingeberg
Man nehme ein gehöriges Maß an „Pomp-and-Circumstance“-Empire-Sound im Elgar-Style, vermische dies zu gleichen Teilen mit Verdi-Theatralik, Wagner’scher Klangwucht und Mahler-Gigantomanie.
Und hat damit eine ungefähre Vorstellung, wie die englische Komponistin Ethel Smythe den lateinischen Messetext vertont hat.
Wer indes glaubt, angesichts des sehr verhalten startenden „Kyrie“ auf eine vermeintlich feminine musikalische Weichspülung gefasst sein zu müssen, irrt gewaltig: Smythes „Mass in D“, ihr wohl beeindruckendstes Werk, zeugt von wahrhaft suffragettisch-kämpferischem Impetus und ist für alle Ausführenden spieltechnisch wie interpretatorisch eine ziemliche Herausforderung.
Die Darbietung im bislang vor allem für kammermusikalische Events genutzten Spielort der Bremer Philharmoniker, ihrem Konzertsaal der Halle 1 im Tabakquartier, mochte zwar schwerlich heranreichen an das Spektakel der Uraufführung anno 1893 in der Londoner Royal Albert Hall, wohl auch nicht ganz an die nahezu identische Programmabfolge am Vorabend der Bremer Aufführung in der großen Hamburger Laeiszhalle.

Aber auch in der eher trockenen Akustik der Bremer Räumlichkeit brachten der Hamburger Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor samt Solistenquartett gemeinsam mit den Bremer Philharmonikern unter der Gesamtleitung von Hansjörg Albrecht das grandiose Werk in ungemein fesselnder Weise zum Ausdruck.
Die eingangs fast scheu anmutenden Kyrie-Rufe, bei denen auch Chor und Orchester kurzzeitig noch etwas nach der optimalen Balance zu suchen schienen, steigerten sich zum dramatischen Hilfeschrei, um dann wieder wie schicksalsergeben resignierend zu verklingen. Das anschließend geschmetterte Credo lieferte dazu mit kraftvoller Unterstützung von Pauken und Trompeten einen markanten Kontrast; der dramatische Passus von Kreuzigung, Tod und Grablegung Christi ging tief unter die Haut; das frenetische „et resurrexit“ imponierte, ähnlich wie das später folgende, von grenzenloser Hoffnung durchdrungene „…et vitam venturi saeculi“ als erlösender Befreiungsgesang.
Rundum überzeugend gerieten auch die solistischen Partien: Cathrin Lange (Sopran), Henriette Goedde (Alt), Andreas Post (Tenor) und Daniel Ochoa (Bass) präsentierten sich durchweg mit durchsetzungsstarken, sehr tragfähigen und nuanciert timbrierten Stimmen und präzise der jeweiligen Textaussage folgenden interpretatorischen Ausführungen.
Ein alles überstrahlendes „Gloria“-Finale
Der packende Wechsel in diesem hochromantischen, schier unermesslich anmutenden Universum von Stimmungen, Klangfarben, Rhythmen und raffiniert ineinandergreifenden Tonarten schien mit dem berührenden „Agnus dei“ und dem zunächst mit Nachdruck, dann demütig pianissimo dargebotenen „Dona nobis pacem“ zu einem besinnlichen Ende bei fast üblicher Messe-Reihenfolge gekommen zu sein.
Doch als außerordentlich selbstbewusste Frau war Ethel Smyth anderer Meinung: Sie setzte in ihrer Vertonung ganz unüblich ein geradezu überbordend strahlendes „Gloria“ an den Schluss. Da schienen sich Chor, Orchester und Solistenquartett geradezu gegenseitig überbieten zu wollen im gewaltigen Jubelhymnus, beim freudvollen „in terra pax“, beim erhebenden „Deus Pater omnipotens“, beim wie entfesselt jubilierenden „tu solus sanctus“ und beim final tutti-geschmetterten Bestätigungs-„Amen“.
Zeitgenössische Impressionen aus Gourzi-Sicht
Deutlich andere, aber nicht minder anspruchsvolle Klangerlebnisse hatten die erste Konzerthälfte bestimmt. Nach einem interessanten Gespräch von Guido Gärtner (Intendant der Bremer Philharmoniker) mit Dirigent Hansjörg Albrecht und der griechischen Komponistin und Dirigentin Konstantia Gourzi war auf die Bedeutung von „50 Jahre Weltfrauentag“ hingewiesen worden, nicht als einmalige Feier, sondern als Aufruf zu allseits stetigen Bemühungen, die noch längst nicht erreichte Gleichheit aller Menschen aktiv anzustreben.
Gourzi dirigierte nachfolgend aus ihrem schon recht umfangreichen Œuvre die Kompositionen „Mondaufgang am Meer“ und „Variation 21“. Erstere, eine „Ouvertüre für Blechbläser und Schlagzeug“, bezieht sich auf ein gleichnamiges Bild Caspar David Friedrichs. Die anfangs sphärisch leisen Schlagzeugaktionen schienen die romantische Nachtatmosphäre einfangen zu wollen. Aber dann, nach gewaltigen Donnerschlägen und heftigen Energieschüben kippte die Stimmung, wurde zur stark rhythmisch bestimmten Turbulenz aufwühlender Emotionen, die irgendwann in sich zusammenfielen.
Einigermaßen ähnlich geriet „Variation 21“, mit der Gourzi eine orchestrale Charakterisierung des 21. Jahrhunderts vorlegt. Der Einstieg: zackig hart, mit rhythmischem Trommelfeuer, mit abrupten Wechseln zu wolkigen Klangschwebungen, unruhigem Hintergrundgewusel, aus dem sich dissonantes martialisches Getöse generiert, alles endend in hauchfeinem Pianissimo: Eine gewiss ungewohnte, am Weltfrauentag aus weiblicher Perspektive dargebotene musikalische Sicht auf eine krisengeschüttelte Welt, die – auch angesichts jüngster Realitäten – wohl niemanden im Auditorium kalt lassen konnte und wie bestätigend mit tosendem Beifall quittiert wurde.
Dr. Gerd Klingeberg, 10. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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