Philipp Stölzl ertränkt Webers „Freischütz“ im Bodensee

CD/Blu-ray Besprechung: Carl Maria von Weber, Der Freischütz  klassik-begeistert.de, 5. Oktober 2024

CD/Blu-ray Besprechung:

Bregenzer Festspiele

Carl Maria von Weber
Der Freischütz

Regie und Bühnenbild  Philipp Stölzl

Wiener Symphoniker
Dirigent  Enrique Mazzola

Unitel Cmajor 768404

von Peter Sommeregger

Jeden Sommer wird auf der Bregenzer Seebühne eine Oper aufgeführt, der Bodensee bildet eine reizvolle Kulisse für das jeweilige Stück. Fast 7000 Zuschauer können pro Abend ein eindrucksvolles Spektakel erleben, bei dem das besondere Ambiente zumeist in die Inszenierung eingebunden wird.

In diesem Jahr inszenierte Philipp Stölzl Webers Freischütz, bzw. seine Version davon. Leider meinte der Regisseur und Bühnenbildner, das Werk modernisieren zu müssen, was sich mehr als Anbiederung an den Zeitgeist, denn als Mehrwert für die Aufführung herausstellte.

Es beginnt schon mit dem winterlichen Ambiente eines Dorfes. Nachdem im Winter aber traditionell nicht gejagt wird, ist das schon der erste logische Fehler. Die Hauptperson Max wird vom Jägerburschen zum Schreiber, womit sogar der Titel der Oper in Frage gestellt wird. Derlei Verrenkungen machen auch massive Eingriffe in das Libretto nötig, und als dann im Verlauf der Handlung immer klarer wird, dass Ännchen, Agathes Cousine, in jene verliebt ist, schlägt der Modernisierungswahn endgültig erbarmungslos zu. Gegen Ende wird sogar eine gemeinsame Flucht der Mädchen ernsthaft erwogen, obwohl Agathe bereits gestanden hat, dass sie schwanger ist.

Bedeutend vergrößert hat Stölzl die Rolle des Samiel, der in  konventionellen Aufführungen stumm bleibt, hier aber in schon in etwas penetranter Weise zum Spielmacher wird, der beständig kommentiert, auch schon mal eine Textzeile einer Arie übernimmt. Zu Beginn der Aufführung wird sogar das Szenario durchgespielt, das sich aus einem missglückten Probeschuss ergeben hätte. Von dem in Bregenz reichlich vorhandenen Wasser wird ausgiebig Gebrauch gemacht, keinem der Darsteller bleibt es erspart, zeitweise bis zur Hüfthöhe im Wasser zu stehen.

Der Auftritt des Fürsten Ottokar in der letzten Szene wird als stark übertriebene Parodie auf Ludwig II. von Bayern inszeniert, auch hier wird richtig dick aufgetragen.

Sehr beachtlich fallen die Leistungen der Sänger aus: Mauro Peter gibt einen lyrischen, klangschönen Max, die Regie verpasst ihm leider ein Loser-Image, das nicht recht zu einem Titelhelden passen will. Bass-Urgestein Franz Hawlata kann als alter Förster Kuno immer noch stimmliche Autorität einbringen, gleiches gilt für den Eremiten von Andreas Wolf, dem man mehr als diese kurze Episodenrolle gegönnt hätte.

Für die Überzeichnung des Fürsten Ottokar kann Liviu Holender nichts, stimmlich blieb er aber deutlich blasser als seine Bühnenpräsenz. Unter den Herren ging Christof Fischesser als Kaspar mit seinem markanten Bass eindeutig als Sieger vom Platz. Die schauspielerische Leistung von Moritz von Treuenfels als Samiel konnte man bewundern, auch wenn man mit seiner so stark aufgewerteten Figur durch Stölzl nicht einverstanden ist.

Für besondere gesangliche Glücksmomente sorgte die Agathe von Nikola Hillebrand. Ihr voller, runder, aber immer noch lyrischer Sopran ist in dieser romantischen Musik bestens aufgehoben. Gut, aber deutlich blasser fiel das Ännchen von Katharina Ruckgaber aus, der Stölzl auch noch ihre zweite Arie gestrichen hatte.

Die Wiener Symphoniker unter Enrique Mazzola loteten die Partitur Webers, die ihm zum internationalen Ruhm verhalf, detailreich aus, trotz der aus technischen Gründen notwendigen räumlichen Trennung von der Bühne funktionierte die Koordination ausgezeichnet.

Als großes, massentaugliches Spektakel kann man Stölzls Produktion als durchaus gelungen bezeichnen, aber in Details geht er in seinem Eingriff in das Werk deutlich zu weit, ohne einen Mehrwert oder neue Erkenntnisse zu erzielen. Man muss kein Purist sein, um solche massive Eingriffe in Klassiker des Repertoires abzulehnen.

Peter Sommeregger, 4. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Carl Maria von Weber, Der Freischütz, Romantische Oper in drei Akten Eutiner Festspiele, 19. Juli 2024 Premiere 

Carl Maria von Weber, Der Freischütz, Romantische Oper Seebühne Bregenz, 17. Juli 2024 (Première)

Carl Maria von Weber, Der Freischütz – Romantische Oper Seebühne Bregenz, 17. Juli 2024 (Première)

Ein Gedanke zu „CD/Blu-ray Besprechung: Carl Maria von Weber, Der Freischütz
klassik-begeistert.de, 5. Oktober 2024“

  1. Wenn Oper so spannend, so gruselig, so unterhaltsam daherkommt, dann gehe ich wieder mal hin. Sagte mein Kollege. Ich musste ihm zustimmen, obwohl ich den “Freischütz” aus Bregenz nur in der ZDF/ORF- Übertragung erlebt hatte. Ja sicher, es war ein “massentaugliches Spektakel”, aber darf im Sommer die gute alte Oper nicht einfach mal Spaß machen? Ich kenne Leute, die trauen sich in kein Opernhaus. Zu steif, zu konservativ, zu ermüdend, sagen sie. Aber wenn es Oper draußen gibt, auf dem Bebelplatz, in der Waldbühne, wo auch immer, sind sie dabei. Und sie sind begeistert. Ich finde, im Sommer sollte man die Messlatte der Kritik nicht so hoch schrauben. Spaß und Freude dürfen ruhig dabei sein.
    Ralf Krüger

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert