Fotos © Sofia Opera and Ballett
Das Internationale Richard Wagner Festival in Sofia 2025 hat mit diesem Abend nicht nur einen weiteren Meilenstein in seiner Geschichte gesetzt, sondern dem Publikum ein Geschenk gemacht, das noch lange in den Herzen nachhallen wird.
Dies war ein Erlebnis, das zeigt, warum Kunst unverzichtbar ist, warum Musik die Seele zu berühren vermag wie nichts anderes auf dieser Welt.
Wer diesen Abend erleben durfte, wird sich daran erinnern – er wird als einer jener magischen Momente im Gedächtnis bleiben, die das Leben lebenswert machen.
Richard Wagner
Siegfried
Plamen Kartaloff, Inszenierung
Evan-Alexis Christ, musikalische Leitung
Sofia Opera und Ballett, 1. Juli 2025
von Dirk Schauß
Im Bannkreis des jungen Helden
Es gibt Abende im Theater, da scheint die Zeit stillzustehen, da verschmelzen Realität und Mythos zu einem einzigen, atmenden Organismus. So ein Abend war es, als sich am 1. Juli 2025 der Vorhang in der Nationaloper Sofia zu „Siegfried“ hob. Bereits beim Betreten des Hauses lag eine besondere Elektrizität in der Luft – jene Spannung, die nur entstehen kann, wenn das Publikum ahnt, Zeuge von etwas Außergewöhnlichem zu werden. Die „Walküre“ hatte wenige Tage zuvor die Herzen erobert, doch würde „Siegfried“, dieser sperrigste aller Ring-Teile, diesem Triumph folgen können?
Die ersten Takte unter Evan-Alexis Christs Dirigat gaben bereits die Antwort. Wie eine unsichtbare Hand strich der Klang durch den Saal, warm und doch von einer Dringlichkeit erfüllt, die sofort in die Knochen ging. Das Orchester – dieses wunderbare, klangschöne Ensemble – atmete unter seiner Führung wie ein lebendiges Wesen, jede Phrase durchpulst von einer Hingabe, die den Zuhörer unwillkürlich in die Aufmerksamkeit zog. Hier war kein Dirigent am Werk, der Wagner lediglich abspulte, sondern ein Interpret, der jede Note mit Leben erfüllte, der das Publikum sanft, aber unausweichlich in jenen mythischen Kosmos hineinzog, in dem Götter wandeln und Helden geboren werden.

Hans Kudlichs Bühnenbild empfing das Auge mit einer Poesie, die sofort die Seele berührte. Die beiden liegenden Triksel, die den Raum eingrenzten, wirkten wie stumme Zeugen vergangener Zeitalter, während der imposante Amboss rechts der Bühne mit seinen Schmiedeutensilien im gedämpften Licht wie ein Altar der Schöpfung schimmerte. Jedes Detail schien durchdacht, jeder Moment sprach von der archaischen Kraft, die diesem Werk innewohnt. Als Plamen Kartaloffs Regie dann Mime das Siegfried-Baby von der sterbenden Sieglinde bergen und den heranwachsenden Jungen über die Bühne toben ließ, war das Publikum bereits gefangen in einem Netz aus visueller und emotionaler Intensität, das den ganzen Abend nicht mehr loslassen sollte.

Der erste Aufzug entfaltete sich wie ein psychologisches Kammerspiel. Krassimir Dinev als Mime beherrschte die Bühne mit einer Präsenz, die zugleich abstoßend und faszinierend war. Seine präsente Stimme navigierte mühelos zwischen den Polen der Komödie und Tragödie, während sein Spiel von einer subtilen Boshaftigkeit durchzogen war, die Mime niemals zur Karikatur werden ließ. In Dinevs Interpretation lebte ein Wesen aus Fleisch und Blut, dessen List und Verzweiflung sich wie Gift und Honig mischten. Wenn er sang, lag in seiner Stimme jene Vielschichtigkeit, die große Charakterdarstellung ausmacht – die Berechnung des Manipulators, aber auch die verzweifelte Sehnsucht des ewig Zurückgewiesenen. Sein körperlicher Volleinsatz war umwerfend. Springend, liegend, hechtend… ein Mime, der in jeder Position zu singen vermochte und dabei wie ein Akrobat agierte.
Und dann betrat Magnus Vigilius als Siegfried die Bühne, und das Opernhaus schien für einen Moment den Atem anzuhalten. Hier war nicht nur ein Tenor zu erleben, sondern die Verkörperung der Jugend selbst, ungezähmt und strahlend. Vigilius brachte eine Natürlichkeit mit, die niemals künstlich oder gewollt wirkte – sein Siegfried war von einer unbekümmerten Authentizität erfüllt, die das Herz sofort eroberte. Sein Tenor, völlig ermüdungsfrei bis zum Schluss und von kristalliner Klarheit, besaß jene seltene Qualität, die sowohl die rohe Energie der heldischen Ausbrüche als auch die zarte Poesie der lyrischen Momente zu transportieren vermag.

Wenn Vigilius die Schmiedelieder anstimmte, durchpulste eine elektrisierende Energie den Saal. Sein Gesang war durchdrungen von einer Kraft, die nicht nur stimmlich, sondern emotional überwältigte – hier schmiedete nicht nur ein Held sein Schwert, hier formte ein Künstler aus purer Leidenschaft lebendige Musik. Doch noch berührender waren jene Momente im Waldweben, wenn seine Stimme zu einem silbernen Faden wurde, der sich um die Seele des Zuhörers legte. Hier offenbarte Vigilius eine stimmliche Wandlungsfähigkeit, die von großer Kunst zeugte – er konnte von der heroischen Gewalt zu einer Zartheit wechseln, die das Publikum rührte.
Seine Darstellung war bestimmt von einer unschuldigen Neugier, die Siegfrieds Wesenskern ideal einfing, ohne jemals ins Naive zu kippen. Und auch im dritten Aufzug zog er alle Register eines großen Gestalters, dem an diesem Abend alles gelang. Mit dieser umwerfenden Leistungsschau verweist Vigilius alle derzeitigen Kollegen in dieser Rolle auf die hinteren Plätze. Ihm gehört die Zukunft!
Die Atmosphäre verdichtete sich noch weiter, als Krisztián Cser als Wanderer die Bühne betrat, eine große Weltkugel vor sich her rollend. Mit ihm zog eine Aura der Zeitlosigkeit ein, die spürbar war. Csers dunkel kernige Stimme, kraftvoll und von edler Klangfarbe, schien aus den Tiefen der Erde zu kommen und zugleich die Weiten des Himmels zu umfassen.

Seine Bühnenpräsenz war von einer Charisma erfüllt, das mühelos den gesamten Raum ausfüllte. Wenn er sang, lag in seiner Stimme eine noble Erhabenheit, die Weisheit und Stärke des Wanderers verkörperte. Csers Interpretation war durchdrungen von innerer Ruhe, die wie ein ruhender Pol inmitten des dramatischen Sturms wirkte. Jede seiner Phrasen zeugte von einem tiefen Verständnis für die philosophischen Dimensionen der Rolle, ohne jemals trocken oder intellektualisiert zu wirken. Seine Stimme tönte durch den Saal wie die Verkörperung der Weisheit selbst, und seine Auftritte wurden zu jenen magischen Momenten, in denen sich Theater und Leben, Kunst und Transzendenz berühren.
Die visuelle Pracht der Inszenierung erreichte neue Höhen durch die faszinierenden Farbmischungen aus Rot und Blau, die das Geschehen durchzogen wie ein leuchtender Traum. Plamen Kartaloff nutzte diese Farbsymphonie mehr als nur Dekoration – sie schuf eine emotionale Landschaft, die Wagners Musik kongenial ergänzte und dem Publikum half, tiefer in die mythische Dimension einzutauchen. Besonders berührend waren jene szenischen Rückblenden während des Schmiedevorgangs, als Siegmund und Sieglinde im Hintergrund erschienen und ihren Sohn beobachteten. Diese Momente waren von einer Poesie erfüllt, die weit über das rein Theatralische hinausging – hier wurde die Kontinuität der Generationen sichtbar, die Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Liebe und Schicksal.
Der zweite Aufzug führte das Publikum in eine andere Welt. Die Triksel, nun in neuen Konstellationen arrangiert, und die Baumprojektionen schufen eine Waldatmosphäre von märchenhafter Intensität.
Plamen Dimitrov war als bühnenbeherrschender, starker Alberich wieder überaus präsent. Seine Rollenidentifikation war stark und sein Gesang beinhaltete aller Farben des Ekels und Neids, die er dem Wanderer nahezu ins Gesicht spuckte. Begeisternd einmal mehr war seine Körpersprache, die bestechend das permanent Lauernde von Alberich bedrohlich ausstrahlte.

Hier, in diesem imaginierten Hain, begegnete das Publikum auch Petar Buchkov als Drachen Fafner – und welch eine Begegnung das war! Buchkovs Bass, tief und sonor wie das Grollen der Erde selbst, brachte sowohl die Bedrohlichkeit als auch die tragische Verletzlichkeit seines Charakters zum Ausdruck. Seine Stimme war erfüllt von einer düsteren Bedrohlichkeit, die Fafners monströse Natur nicht nur unterstrich, sondern ihr eine menschliche Dimension verlieh. Hier war kein eindimensionales Monster zu erleben, sondern ein Wesen gefangen zwischen Macht und Einsamkeit, zwischen Bedrohung und Trauer. Selten ist diese Rolle in dieser vokalen Bandbreite zu erleben.

Eine ganz besondere Verzauberung ging von Maria Pavlova als Waldvogel aus. Pavlovas klarer, lyrischer Sopran schwebte durch den Saal wie Morgentau über Blüten, während ihre anmutigen Bewegungen dem Waldvogel Grazie verliehen. Ihre Stimme war von zauberhafter Reinheit erfüllt, die den Charakter der Figur gut einfing. Ihre Interpretation war voller Anmut und natürlicher Schönheit, die das Publikum in einen Zustand des stillen Staunens versetzte.

Kartaloff hatte sich für seine Regie einen ganz besonderen Coup ersonnen. Der Waldvogel war hier wahrhaftig zu erleben – er flog durch die Luft, schlug Salti (!) und mit ihm schienen die Träume und Sehnsüchte des Publikums zu fliegen. Diese Momente gehörten zu den magischsten des ganzen Abends, Augenblicke, in denen die Grenzen zwischen Realität und Märchen, zwischen Theater und Transzendenz völlig verschwammen.
© Sofia Opera and Ballett
Wenn Vesela Yaneva als Erda die Bühne betrat, hüllte sich der Raum in eine Aura des Geheimnisvollen. Im tiefen Blau der Bühnengestaltung wirkte ihre Gestalt wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Yanevas Stimme besaß jene mysteriöse Qualität, die für die Erdmutter unerlässlich ist – sie klang wie das Echo uralter Weisheit, wie der Gesang der Erde selbst. Ihre Interpretation zeigte eine subtile Mischung aus Macht und Melancholie, aus Wissen und Resignation. Ihre noble Körpersprache, jede Geste durchdacht und bedeutungsschwer, verlieh Erda eine Präsenz, die weit über das rein Stimmliche hinausging.
Die zweite Hälfte des dritten Aufzugs wurde maßgeblich von Radostina Nikolaeva als Brünnhilde bestimmt. Ihr Auftritt war mehr als nur eine sängerische Leistung – es war eine Offenbarung. Nikolaevas lyrisch-dramatischer Sopran besaß eine Bandbreite und Ausdruckskraft, die faszinierte. Ihre Interpretation machte Brünnhildes emotionale Reise in ihrer ganzen Komplexität erfahrbar. Nikolaeva verlieh ihrer Figur Stärke und Zartheit, die Brünnhildes Transformation von der Kriegerin zur liebenden Frau glaubhaft und zutiefst bewegend machte. Ihr Gesang war erfüllt von Emotionalität – hier sang nicht nur eine Künstlerin, hier offenbarte sich eine Seele in ihrer ganzen Nacktheit und Schönheit. Die technischen Höhepunkte – die mühelos gesungenen hohen Töne, das lange gehaltene Schluss-C – wirkten wie selbstverständliche Geschenke einer Künstlerin, für die Virtuosität und Emotion keine Gegensätze sind, sondern zwei Seiten derselben künstlerischen Wahrheit.
Das Orchester unter Evan-Alexis Christ war weit mehr als nur Begleitung – es war ein gleichberechtigter Partner in diesem musikalischen Drama. Mit einer Hingabe, die in jeder Phrase spürbar war, führte Christ durch die komplexen Strukturen der Partitur, ohne dabei jemals die emotionalen Spannungsbögen aus dem Blick zu verlieren. Die Streicher sangen in den lyrischen Passagen mit Schönheit, während die Blechbläser in den heroischen Momenten mit einer Strahlkraft aufglühten. Jedes Instrument schien beseelt, jede Stimme des Orchesters zu einem Charakter in diesem großen Drama geworden. Es ist eine besondere Erfahrung, die sehr enge Verbindung zwischen Orchester und diesem Dirigenten zu bestaunen, so flexibel und frei ist das musikalische Miteinander.
Die Regie von Plamen Kartaloff bewies durchweg ein feines Gespür für die Balance zwischen Tradition und Innovation. Seine Inszenierung war getragen von einem tiefen Respekt vor dem Werk, ohne jemals in altmodische Ehrfurcht zu verfallen. Unterstützt wurde er von Hristiana Michaleva-Zorbalievas Kostümen, die sowohl zeitlos als auch modern wirkten, und von Andrej Hajdinjaks Lichtdesign, das den Raum in eine Atmosphäre tauchte, die zwischen Traum und Wirklichkeit schwebte.
Als der letzte Ton verklungen war und sich der Vorhang senkte, brach im Opernhaus ein Sturm der Begeisterung los. Das Publikum, sichtlich bewegt von dem, was es erlebt hatte, spendete minutenlangen Applaus, der mehr war als nur Anerkennung – es war Dankbarkeit für einen Abend, der die Kraft der Kunst in ihrer reinsten Form demonstriert hatte. Hier war nicht nur eine Oper aufgeführt worden, hier hatte sich ein Spektakel ereignet, das Leben zu bereichern.
Diese „Siegfried“-Aufführung hatte alle Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern weit übertroffen. In einer Zeit, da Wagner-Aufführungen oft zwischen routinierter Ehrfurcht und provokanter Dekonstruktion pendeln, gelang hier das Kunststück einer Interpretation, die sowohl werkgetreu als auch lebendig war, sowohl traditionsbewusst als auch frisch und unmittelbar.
Das Internationale Richard Wagner Festival in Sofia 2025 hat mit diesem Abend nicht nur einen weiteren Meilenstein in seiner Geschichte gesetzt, sondern dem Publikum ein Geschenk gemacht, das noch lange in den Herzen nachhallen wird.
Dies war ein Erlebnis, das zeigt, warum Kunst unverzichtbar ist, warum Musik die Seele zu berühren vermag wie nichts anderes auf dieser Welt.
Wer diesen Abend erleben durfte, wird sich daran erinnern – er wird als einer jener magischen Momente im Gedächtnis bleiben, die das Leben lebenswert machen.
Dirk Schauß, 2. Juli 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Das Rheingold Sofia Opera und Ballett, 28. Juni 2025
Richard Wagner, Die Walküre Sofia Opera und Ballett, 29. Juni 2025
Richard Wagner, Tannhäuser Sofia Opera & Ballett, 26. Juni 2025