Foto: (c) Clarissa Lapolla
FESTIVAL DELLA VALLE D’ITRIA – MARTINA FRANCA
OPERE IN MASSERIA – Masseria San Michele
1. August 2019
Leonardo Vinci, L’ammalato immaginario
Giuseppe Sellitti, La vedova ingegnosa
Dirigent Sabino Manzo
Regie Davide Gasparro
Szene und Kostüme Maria Paola Di Francesco
Mitarbeit Accademia di Belle Arti di Bari
Licht Manuel Frenda
Erighetta/Drusilla Lavinia Bini
Don Chilone/Strabone Bruno Taddia
Cappella Musicale Santa Teresa dei Maschi
von Bruno Tredicine
Martina Franca ist eine Stadt in Apulien in der Valle d’Itria, dort wo die Region ihre typischsten Ansichten bietet: enge Straßen auf dem Land und zahlreiche Trulli: Das sind die besonderen alten runden Steinhäuser mit Spitzdach. Martina Franca ist bezaubernd, glänzt überall barock. Wie wichtig die Stadt einst war, zeigen nicht nur die verschiedenen herrschaftlichen Häuser oder die imposante Kirche St. Martins, sondern besonders der Palazzo Ducale aus dem 16. Jahrhundert. Im Palazzo Ducale finden auch die meisten der Events des Festival della Valle d’Itria statt.
Das Festival existiert seit 1975. Es zählt zu den wichtigsten in Europa, das sich selten aufgeführten Opern aus dem 17. und 18. Jahrhundert widmet mit vielen Wiederentdeckungen nicht nur im Bereich der italienischen Oper: In den letzten Jahren wurden zum Beispiel auch Werke von Meyerbeer (Margherita d’Anjou) oder Händel (Rinaldo, in einer besonderen Fassung für die Aufführung in Neapel 1718) präsentiert.
Schwerpunkt dieses Jahr war die sogenannte Neapolitanische Schule des 18. Jahrhunderts mit Porporas Orfeo, dem weltweit bekannten Il Matrimonio segreto Cimarosas und die Rarität Ecuba aus dem Jahr 1812, komponiert von dem Kalabresen Nicola Antonio Manfroce.
Der erste Abend meines viertägigen Opern-Marathons startete mit zwei „Intermezzi“ in einer Masseria aufgeführt. Masserien sind alte große Bauernhäuser, die oft zu anspruchsvollen Hotels restauriert werden. “Opere in Masseria“ ist seit einigen Jahren eine Tradition des Festivals.“Intermezzi“ waren im 18. Jahrhundert kurze komische Opern, die in der Pause einer tragischen „Opera seria“ auf die Bühne kamen (und von denselben Komponisten geschrieben worden waren), sodass das Publikum sich in jenen unglaublich langen Musikabenden erholen konnte. Viele sind kleine Schätze und haben ihren Platz in normalen Repertoire gefunden (allen voran: Pergolesis La serva padrona).
Diesmal im Programm war Leonardo Vincis L’ammalato immaginario aus der Ernelinda, zusammen mit La vedova ingegnosa, die Giuseppe Sellitti für den „Pasticcio“ Demofoonte komponierte. Am Hof der Masseria San Michele, wurden in historischen Mauern die zwei Opern als eine Einheit gespielt. Tatsächlich waren die zwei Handlungen so ähnlich, dass der junge Regisseur Davide Crispiano sie trickreich verbinden konnte.
In L’ammalato immaginario (Der eingebildete Kranke, genau wie von Molière) geht es um Erighetta, eine junge lebhafte Witwe, die nochmal heiraten will und dabei ihren Blick auf den hypochondrischen Don Chilone gerichtet hat. Auch in La vedova ingegnosa (Die geistreiche Witwe) geht es um eine junge Witwe, Drusilla. Aber Strabone, der Mann, den sie heiraten will, ist ein reicher widerwilliger Arzt.
Wenn am Ende der ersten Intermezzo Erighetta in die Ehe eingetreten ist, lässt sie solch einen schlechten Charakter erkennen, dass Don Strabone sich wieder von ihr trennen will. Der Sänger tut am Ende so, als sei ihm unwohl, wird hinter die Kulissen gebracht und so: kann die Frau wieder als neue Witwe auf die Bühne kommen. Dieser lustige Gag verbindet die zwei Opern und setzt ohne Pause die Handlung fort.
Der Hof der Masseria ist ein perfekter Raum für die Aufführung. Verortet zu Anfang des 20. Jahrhunderts und mit humorvollen Kostümen von Maria Paola Di Francesco, die auch das Bühnenbild kreiert hat. Der Regisseur Davide Gasparro inszeniert die Darsteller als Straßenkomiker, die mit ihrem Karren herumziehen. Das Spiel wirkt gut, oft lächelt man, auch dank der Harmonie zwischen den Protagonisten und den zwei stummen Dienern (Sebastiano Geronimo und Francesco Argese).
Die Sopranistin Lavinia Bini war erkrankt und konnte leider nicht singen. Die Ersatzsängerin hatte vermutlich keine szenischen Proben mitgemacht, daher hatten wir eine doppelte Protagonistin: Bini hat gespielt und im Hintergrund hat Maria Silecchio gesungen. Die Sache war erst verwirrend, dann hatte man sich aber daran gewöhnt und beide Hauptdarstellerinnen haben ihre Sache gut gemacht: Maria Silecchio sang mit einem reinen, glänzenden lyrischen Sopran mit gut kontrollierter Expressivität und technischer Fähigkeit.
Lavinia Bini als Darstellerin war ironisch und witzig. Das Handicap hat sie intelligent als szenisches und humorvolles Element genutzt: Um sicher zu sein, dass ihre Mimik mit Silecchios Gesang zusammenfiel, schaute sie offenbar die Kollegin an, sodass es immer wieder zu komischen, unerwarteten Situationen kam.
Bruno Taddia sang die zwei männlichen Rollen. Er zeigte eine gute komische Intuition und spielte seinen Charakter mehr phlegmatisch als witzig wie seine Kollegin(nen). Mit einem warmen und homogen Bariton war er auch im Gesang mehr als korrekt.
Am Cembalo sitzend hat Sabino Manzo das Orchester Santa Teresa dei Maschi (Der Name kommt aus der Kirche in Bari, wo das Ensemble herstammt) mit guter Balance dirigiert. Mit historischen Instrumenten, die eine besonders lange und pflegliche Einstimmung brauchten, war der Klang sorgfältig und präzise, nur hätte man sich gerne noch etwas mehr Dynamik und Akzente gewünscht.
Insgesamt jedenfalls eine tadellose und lobenswerte Darstellung. Das Publikum zeigte sich amüsiert und begrüßte die Künstler mit langem, warmem Applaus.
Bruno Tredicine, 09. August 2019, für
klassik-begeistert.de
Die Interpreten der beiden stummen Figuren sind im Programm sehr wohl genannt: Sebastiano Geronimo und Francesco Argese. Der Aufführungsort wird zunächst richtig mit Masseria San Michele angegeben, dann mit San Crispino.
Im Bericht von Friedeon Rosén aus Martina Franca wurden übrigens die Namen der Interpretinnen von Carolina und Elisetta verwechselt.
Mein soeben erfolgter Kommentar: Die Namensverwechselung Carolina-Elisetta bezieht sich natürlich auf Cimarosas „Heimliche Ehe“.