Daniil Trifonov spürt der russischen Seele nach

CD-Rezension: Daniil Trifonov, Silver Age

Foto: © Dario Acosta

„Künstlerisch zeigt diese Produktion den Pianisten Daniil Trifonov auf einem neuen Höhepunkt seiner künstlerischen Reife. Es lohnt, sich in diese klug gewählte Auswahl russischer Klaviermusik zu vertiefen.“

CD-Rezension: Daniil Trifonov, Silver Age
DG 483 5331

Scriabin, Stravinsky, Prokofiev

von Peter Sommeregger

Der Titel dieses opulenten Doppelalbums geht auf den russischen Impresario Sergej Diaghilew zurück, der in Paris im Rahmen einer von ihm veranstalteten Konzertreihe anknüpfend an das „Goldene Zeitalter“ der Russischen Literatur nun, im Jahr 1907 ein „Silbernes Zeitalter“ der Russischen Musik ausrief, die allerdings keiner einheitlichen Ästhetik folgte, sondern verschiedene Strömungen der Zeit beinhaltete.

Ein Exponent war der exzentrische Komponist Alexander Scriabin, von dem in jener Konzertreihe sein Klavierkonzert und die Uraufführung seiner dritten Symphonie zu hören waren. In den Konzerten der späteren Jahre präsentierte Diaghilew seine Entdeckung, den Rimsky-Korsakow-Schüler Igor Stravinsky, der für das Ballett Russe die Musik des „Feuervogel“ geschrieben hatte, die seinen Durchbruch bedeutete. Mit dem Nachfolgeprojekt „Petruschka“ konnte er diesen Erfolg wiederholen. Als Diaghilew schließlich 1914 den Pianisten und Komponisten Sergei Prokofiev kennenlernte, erkannte er in ihm ein großes Potential und konnte auch ihn als Komponisten für das Ballett Russe gewinnen.

Diesen drei Komponisten hat Daniil Trifonov sein neues Album gewidmet, und er versucht, Gegensätze wie Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.

Vom ältesten der drei Komponisten, Alexander Scriabin hat er dessen einziges Klavierkonzert eingespielt, das er inzwischen auch in sein Konzertrepertoire aufgenommen hat. Dieses Werk des damals 24-Jährigen stellt an den Pianisten extreme Anforderungen, ist es doch von seiner Struktur her ungewöhnlich. Zwischen den beiden längeren Ecksätzen beinhaltet es vier zum Teil extrem kurze Variationen, die als kunstvolle Miniaturen angelegt sind. Insgesamt ist das Werk eher lyrisch dominiert, lediglich der erste und letzte Satz steigern sich zu einem kräftigen Allegro, im Finalsatz steigert sich das Allegro moderato zu einer energischen Schlussapotheose.

Igor Stravinsky ist mit der von Guido Agosti transkribierten Suite der Ballettmusik zum „Feuervogel“, drei Sätzen aus der Suite „Petruschka“ und der erst 1925 entstandenen Serenade in A vertreten. Trifonov ist hier in seinem Element, die polyphonen, raffiniert gesetzten Passagen finden in ihm einen temperamentvollen, gleichzeitig sensiblen Interpreten. Die Ballettsuiten entfalten ihren Reiz durchaus auch in der Version für Klavier solo.

Von Sergei Prokofiev enthält das Album drei wesentliche Werke. Neben den „Sarkasmen“ genannten kurzen Stücken op. 17, die Trifonov mit dem schon im Titel angelegten pointierten Sarkasmus brillant interpretiert, ist auch die Gavotte aus der Ballettmusik zu „Cinderella“ zu hören.

Substanzielle Werke sind dagegen die Klaviersonate Nr. 8 op. 84, ein eher spätes Werk des Komponisten, die zu den so genannten „Kriegssonaten“ 6, 7 und 8 zählt, die während des Zweiten Weltkrieges entstanden. In die Musik der 8. Sonate sind akustische Elemente wie Sirenengeheul mit eingebaut. Verschiedene Stile und Ausdrucksformen verschmelzen in dieser Komposition auf virtuose Weise.

Das bedeutend früher entstandene Klavierkonzert Nr. 2 op. 16 gilt zu Recht allgemein als schwieriges Stück. Nach dem zarten Beginn des Andantino steigert sich die Musik zu einem stark rhythmischen, wuchtigen Finale, dem ein rasantes Scherzo folgt. Das Intermezzo des dritten Satzes enthält eher strenge, düstere Passagen. Die Satzbezeichnung Allegro tempestoso für den Finalsatz trifft den Punkt. Er beginnt tatsächlich stürmisch bewegt, bis sich allmählich ein melodisches Thema herauskristallisiert, das in der Folge bis zum turbulenten Schluss vielfach variiert wird.

Daniil Trifonov hat dieses bemerkenswerte Album an zwei Orten eingespielt. Sämtliche Aufnahmen für Klavier solo entstanden im Januar 2019 im Richardson Auditorium der Princeton University. Die Klavierkonzerte Scriabins und Prokofievs nahm er im Oktober 2019 mit dem Marinsky Orchestra unter Valery Gergiev in St. Petersburg auf. Loben muss man aus technischer Sicht die brillante Aufnahmetechnik der Solostücke für Klavier, die optimal geglückt ist.

Künstlerisch zeigt diese Produktion den Pianisten Daniil Trifonov auf einem neuen Höhepunkt seiner künstlerischen Reife. Es lohnt, sich in diese klug gewählte Auswahl russischer Klaviermusik zu vertiefen. Ein Album für lange Winterabende und den Lockdown durch Covid 19!

Peter Sommeregger, 8. November 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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