Foto: Ian Bostridge. © Ben Ealovega
„Bostridge scheint dem Beispiel des unvergessenen „Liedgesang-Papstes“ Fischer-Dieskau zu folgen, der diese Zyklen in so vielen Versionen einspielte, dass man über die Zeit den Überblick verlor. Das Nachlassen seiner stimmlichen Fähigkeiten wurde mehr und mehr über extreme Auslotung der Texte kaschiert, und auf eben diesem Weg scheint sich Ian Bostridge derzeit zu befinden.“
CD-Besprechung: Franz Schubert, „Die schöne Müllerin“
Pentatone PTC 5186 775
Ian Bostridge
Saskia Giorgini
von Peter Sommeregger
Der Brite Ian Bostridge gilt allgemein als bedeutender Interpret der Lieder Franz Schuberts. Gegenwärtig veröffentlicht er bereits die dritten Einspielungen der drei großen Liederzyklen Schuberts.
Was schon bei den früheren Aufnahmen irritierte, ist sein doch recht gewöhnungsbedürftiger Umgang mit dem Text. Das deutsche Kunstlied muss nicht unbedingt Interpreten deutscher Zunge vorbehalten bleiben, es gibt eindrucksvolle Beispiele von Sängern beiderlei Geschlechts, deren Interpretationen von geradezu perfekter Beherrschung des für sie fremden Idioms zeugte, die Engländerin Margaret Price sei hier nur als unübertroffenes Beispiel erwähnt.
Es sind keine gravierenden Fehler, die man Bostridges Deutsch vorwerfen könnte, eher sind es Unterschiede im gewohnten Sprachduktus, die befremden. Der Sänger greift ganz bewusst zu diesen Stilmitteln, läuft dabei aber Gefahr, die Müller’schen Liedtexte zu entstellen. Über die Naivität und Schlichtheit dieser Texte wurde bereits viel diskutiert, in ihrer Gesamtheit muss man sie aber als durchaus bedeutende Lyrik der Romantik ernst nehmen, für Schubert waren sie optimale Inspiration für „Die schöne Müllerin“ und die „Winterreise“. Man darf, ja muss sie durchaus „beim Wort nehmen“.
Bostridge scheint dem Beispiel des unvergessenen „Liedgesang-Papstes“ Fischer-Dieskau zu folgen, der diese Zyklen in so vielen Versionen einspielte, dass man über die Zeit den Überblick verlor. Das Nachlassen seiner stimmlichen Fähigkeiten wurde mehr und mehr über extreme Auslotung der Texte kaschiert, und auf eben diesem Weg scheint sich Ian Bostridge derzeit zu befinden.
Er legt eine extreme Betonung auf einzelne Phrasen, was seine Sprache gekünstelt und gestelzt erscheinen lässt. Die ausgezeichnete Pianistin Saskia Giorgini folgt hier ganz seinen Intentionen, die Tempi erscheinen stellenweise gehetzt. Im vielleicht berühmtesten Lied des Zyklus „Ungeduld“ werden Bostridges Defizite in der Höhe wie in der Tiefe offenkundig.
Ihren Reiz hat diese Einspielung aber durchaus, wenn man sich mit dem sehr persönlichen Stil des Sängers befreunden kann. Befremdlich allerdings die Gestaltung des Covers der CD: Bostridge ist darauf stark verfremdet wie ein Zombie zu sehen. Nun, über Geschmack lässt sich nicht streiten….!
Peter Sommeregger, 9. November 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at