Die Meistersinger von Nürnberg, Richard Wagner
Komische Oper Berlin, 25. September 2016
Opernliebhaber, die in der Metropolregion Berlin leben, sind zu beneiden. Sie haben die Auswahl zwischen zwei Häusern, die oft Vorstellungen auf internationalem Top-Niveau mit großen Weltstars liefern: Die Staatsoper Berlin und die Deutsche Oper Berlin. Und sie können noch in eine dritte Oper im Bezirk Mitte gehen: Die Komische Oper Berlin, unweit der Friedrichstraße an der Behrenstraße 55 – 57 gelegen. Das dritte Opernhaus der Hauptstadt hat deutlich günstigere Eintrittspreise – und auch ein sehr interessantes Programm.
Dort stehen jetzt als Wiederaufnahme „Die Meistersinger von Nürnberg“ auf dem Spielplan. Das Ensemble der Komischen Oper Berlin bringt Richard Wagners einzige Musiktheaterkomödie – außer dem selten aufgeführten Frühwerk „Das Liebesverbot“ – aus dem Jahre 1868 in der minimalistischen Inszenierung von Andreas Homoki wieder auf die Bühne. „Die Meistersinger“ sind ein geniales Satyrspiel über die Gesetze der Kunst, die Regeln der Liebe und den Mut zum Ausbruch aus verstaubten Konventionen.
Ein Besuch dieses Meisterstückes lohnt sich allemal aus drei Gründen: Erstens: Die Musik ist gigantisch gut – niemand wird den dritten Aufzug mit den opulenten Chorszenen vergessen, auch wenn er gediegene zwei Stunden dauert. Zweitens: Die Akustik in der Komischen Oper ist ganz hervorragend. Und drittens: das Haus hat einen ganz hervorragenden Chor, der aus „Chorsolisten“ besteht, die gesanglich hervorragend ausgebildet sind und durch ein packendes Spiel zu glänzen wissen. Da ist nie statische Langeweile auf der Bühne, da ist pure, lebendige Spielfreude mit Mimik und Gestik, mit Bewegung und Kommunikation.
Regeln sind den Nürnberger Meistern heilig, mindestens so heilig, wie Veit Pogner die Tochter Eva. Diese hat der Goldschmiedemeister als Preis eines Wettbewerbs ausgelobt, bei dem Nürnbergs Handwerksmeister singend um das Mädchen ringen sollen. Doch gilt es in diesem Kampf die guten alten Regeln ihrer Kunst zu wahren, denn Verse und Lieder gelten nur, wenn sie dem klassischen Reglement entsprechen. Pech für den verarmten Ritter Walther von Stolzing: auch er hat sich in Eva verliebt und sie hat ihm – zum Glück – sein Herz geschenkt. Lenken lässt sich Liebe nicht: Nun will auch Stolzing sich dem Wettstreit stellen. Ums Ganze – Liebe, Ehre, Regeln, Kunst – singt er in diesem Wettbewerb. Sehr schlecht sind seine Karten, doch am Ende siegt er auf der Festwiese und mit ihm die Überraschung, die Zauberkraft der Liebe und die lebensbejahende Selbsterkenntnis der Handwerksmeister: Erneuerung ist ihre Tradition.
So weit die Handlung. Wer nun aber „Die Meistersinger“ im Ohr hat, die im Oktober vergangenen Jahres in der Staatsoper im Schillertheater an der Bismarckstraße erklangen, der wird möglicherweise ein wenig enttäuscht sein. Denn in der Komischen Oper Berlin brillieren keine Weltstars wie etwa Klaus Florian Vogt als Ritter Walther von Stolzing oder Wolfgang Koch als Hans Sachs. Dennoch: Die Leistung der Solisten ist unterm Strich ordentlich – mit Abweichungen nach oben und unten.
An erster Stelle herauszuheben ist die südafrikanische Sopranistin Johanni van Oostrum. Sie gab eine strahlende Eva Pogner mit einer sehr angenehmen Klangfarbe zum Besten. Kein Wunder, dass sie auch von der Bayerischen Staatsoper München als La contessa Almaviva in „Le nozze de Figaro“ von Wolfgang Amadeus Mozart entdeckt wurde.
Und dann war es eine Nebenrolle, die sich nachhaltig in die Herzen der Zuschauer sang: Der für einen Meistersinger-Meister mit 41 Jahren recht junge Bariton Günter Papendell gab einen profunden, warmen Bass als Bäcker Fritz Kothner. Schade, dass er vor allem nur im ersten Aufzug glänzen durfte. Auch der Bass Jens Larsen als Veit Pogner überzeugte durch seine profunde Tiefe mit raumfüllender Stärke.
Den meisten Applaus bekam der Bariton Tómas Tómasson als in weiten Teilen guter Hans Sachs, obwohl er in allen drei Aufzügen bisweilen Probleme in der Höhe hatte. Zum Ende des dritten Aufzuges hatte er dann gar keine Kraft mehr und seine Stimme versagte teilweise vollends. Sein Bariton-Kollege Tom Erik Lie gab einen wunderbar spitzzüngigen Stadtschreiber Sixtus Beckmesser ab.
Eine unter dem Durchschnitt liegende Leistung lieferte der Tenor Erin Caves als Walther von Stolzing. Ihm fehlt die nötige Strahlkraft, um in dieser anspruchsvollen Rolle zu überzeugen. Leider sang er mitunter Töne einen halben Ton zu tief an und vermochte auch im „Morgenlich leuchtend“ nicht zu überzeugen.
Schöne Geste am Rande: Die Komische Oper Berlin gedenkt in ihrem Programmheft der Sopranistin Ina Kringelborn, die 2015 verstarb und nur 32 Jahre alt wurde. Sie erweckte die Eva in der Neuinszenierung der „Meistersinger“ am 26. September 2010 zum Bühnenleben. „Jede Figur einer Inszenierung wird für immer auch die Spuren derjenigen tragen, die sie am Tag der Premiere ‚geboren’ haben“, heißt es in memoriam Ina Kringelborn. „In zahlreichen unvergesslichen Bühnenmomenten wird sie allen, die sie als Künstlerin erleben durften, unauslöschlich in Erinnerung bleiben.“
Andreas Schmidt, 26. September 2016
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