CD-Rezension, Altersweiser Brahms vom Doyen Blomstedt
Johannes Brahms, Symphonie Nr. 2
Akademische Festouvertüre
Gewandhausorchester Leipzig
Herbert Blomstedt
Pentatone PTC 5186 851
von Peter Sommeregger
Der Dirigent Herbert Blomstedt, Doyen der Dirigentenzunft, ist nicht nur einer der am meisten anerkannten Pultstars seiner Generation, durch seine ungebrochene Vitalität auch in seinem 94. Lebensjahr wird er mehr und mehr zum Phänomen.
Unermüdlich ist Blomstedt unterwegs, auch die Pandemie konnte ihn nicht wirklich aufhalten. Konzerte mit ihm und verschiedenen Orchestern waren im Livestream zu erleben. Immer wieder kehrt der Dirigent auch nach Leipzig zum Gewandhausorchester zurück. Von 1975 bis 1985 war er Chefdirigent der Staatskapelle Dresden und von 1985 bis 1995 Music Director des San Francisco Symphony. Von 1996 bis 1998 war er Chefdirigent des NDR Sinfonieorchesters, mit dem er zudem regelmäßig als Gastdirigent arbeitet. 1998 bis 2005 leitete er als Nachfolger von Kurt Masur das Gewandhausorchester Leipzig.
Mit diesem Orchester spielt er alle vier Brahms-Symphonien ein, es sind Mitschnitte von Live-Konzerten im Leipziger Gewandhaus. Nach der im Herbst erschienen ersten, folgt nun die zweite Symphonie. Auch diese Interpretation atmet den Geist lebenslanger Beschäftigung mit diesem Komponisten.
Ganz im Gegensatz zu seiner ersten Symphonie, deren Entstehung ein jahrelanges Ringen war, entstand Brahms’ zweite Symphonie innerhalb weniger Monate. Konzipiert hatte der Komponist sie während eines sommerlichen Aufenthaltes am idyllischen Wörthersee, speziell die fröhlich anmutende Melodik des ersten Satzes lässt einen an unbeschwerte Sommertage in schöner Landschaft denken. Im zweiten Satz dagegen legt sich eine gewisse Melancholie und Sehnsucht über die scheinbare Idylle. Der dritte Satz ist ein nur kurzes tänzerisches Intermezzo, während das ausladende Finale zum Hauptthema des ersten Satzes zurückkehrt, es aber mit Seitenthemen und Variationen virtuos verbindet, und zu einem leidenschaftlich fiebernden Schlusspunkt führt.
Die anschließend erklingende Akademische Festouvertüre ist ein, allerdings sehr inspiriertes Gelegenheitswerk. Die Universität Breslau hatte dem Komponisten die Ehrendoktorwürde verliehen, das etwa zehnminütige Stück stellt quasi den musikalischen Dank des Geehrten dar. Geschickt verbindet Brahms verschiedene Studentenlieder in vielerlei Variationen zu einem höchst ansprechenden „Ohrwurm“.
Herbert Blomstedt hat mit dem Gewandhausorchester Leipzig einen Brahms-erprobten Klangkörper zur Verfügung, der diese Musik praktisch in seiner DNA hat. Gibt sich der Dirigent anfangs ganz dem schwärmerischen Wohllaut hin, so setzt er im weiteren Verlauf doch auch sehr energische Akzente. Insgesamt ist es die Interpretation eines Wissenden und Erfahrenen, auch die eines Liebenden, dessen Affinität zu dem Werk man förmlich mit Händen greifen kann. Altersweise, aber ungebrochen dynamisch wie Blomstedt agiert, hofft man auf eine schnelle Fortsetzung seines Brahms-Zyklus.
Peter Sommeregger, 16. Mai 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at