Am Ende tobt das Publikum vor Begeisterung. Die Aufführung vermittelt Lebensfreude im Überschwang, genau das, was am Beginn des zweiten Corona-Winters heilend auf die strapazierten Seelen wirkt.
Unbedingt ansehen!
Komische Oper Berlin, 7. Dezember 2021 (PREMIERE)
Jacques Offenbach
Orpheus in der Unterwelt
Adrien Perruchon Musikalische Leitung
Barrie Kosky Inszenierung
Otto Pichler Choreographie
Rufus Didwiszus Bühnenbild
Victoria Behr Kostüme
Orchester der Komischen Oper Berlin
Chorsolisten der Komischen Oper
von Peter Sommeregger
Bereits im Jahr 2019 hatte diese Produktion ihre Premiere bei den Salzburger Festspielen. Schon bald danach sollte sie ihre Berliner Aufführung an der Behrenstraße erleben, was durch die Corona-Pandemie, wie so vieles, verhindert wurde.
Mit einiger Verspätung konnte nun endlich der Vorhang auch in Berlin für diese geradezu unbändige Lebensfreude versprühende Aufführung hoch gehen.
Was der Regisseur und Intendant Barrie Kosky hier mit Hilfe des Choreographen Otto Pichler auf die Bretter stellt, ist famos. Über zwei Stunden netto reine Spielfreude, Witz und Einfälle am Fließband. Offenbachs ironische Behandlung des Stoffes fällt so kurzweilig aus, dass man am Ende erstaunt ist, wie schnell die Zeit verflogen ist.Kosky lässt das Stück zweisprachig, Deutsch und Französisch singen. Um den des Deutschen nicht mächtigen Sängern die Dialoge abzunehmen, greift er zu einem aberwitzigen Trick: Max Hopp, schon seit langem Publikumsliebling am Haus, übernimmt neben der eher kleinen Rolle des Styx auch die Dialoge beinahe aller Protagonisten als Bauchredner . Was er dabei an Nuancen zuwege bringt, ist große Kunst. Nicht genug damit, Hopp übernimmt auch noch die Geräusche von der quietschenden Türe bis zum Liebesseufzer. Bei so viel Virtuosität geraten die Hauptfiguren tatsächlich ein wenig ins Hintertreffen.
Tansel Akzeybek ist mit jugendlich frischem Tenor der Orpheus, Sidney Mancasola mit hoher Sopranlage seine Eurydike, der an diesem Abend nicht alle Spitzentöne gelingen. Hagen Matzeit porträtiert mit seinem Countertenor die „Öffentliche Meinung“ nachdrücklich. Wolfgang Aiblinger-Sperrhacke als Pluto bringt stimmlich nicht ganz das massive Gewicht mit, das seiner Physis entsprechen würde.
Auch die kleinsten Rollen sind sehr stimmig besetzt, und alle eint die Spielfreude, die das Publikum förmlich von den Sitzen reisst.
Die Chorsolisten der Komischen Oper leisten einmal mehr außergewöhnliches, sie sind auch in dieser Produktion eine Trumpfkarte des Hauses. Der Dirigent Adrien Perruchon steuert den französischen Esprit bei, die Tänzer verausgaben sich bis zur Selbstverleugnung.
Manches an Koskys Regieeinfällen gerät etwas derb und vulgär, das mag zart besaitete Zuschauer stören, aber letztlich ist das Gesamtpaket vorzüglich gelungen.
Am Ende tobt das Publikum vor Begeisterung. Die Aufführung vermittelt Lebensfreude im Überschwang, genau das, was am Beginn des zweiten Corona-Winters heilend auf die strapazierten Seelen wirkt. Unbedingt ansehen!
Peter Sommeregger, 8. Dezember 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at