„Es gibt nichts Schöneres als das Trio“

Interview mit Menahem Pressler von Kirsten Liese  klassik-begeistert.de, 14. Mai 2023

Foto: Menahem Pressler und Kirsten Liese

Interview mit Menahem Pressler von Kirsten Liese

1955 gründete er gemeinsam mit Daniel Guilet und Bernard Greenhouse das legendäre Beaux Arts Trio, mit dem er über 50 Jahre lang Maßstäbe im klassischen und romantischen Repertoire setzte. Als einziges Gründungsmitglied blieb er dem Trio bis zu seiner Auflösung im Jahr 2008 erhalten. Danach startete Menahem Pressler im hohen Alter von 90 Jahren noch eine Solokarriere. Am 6. Mai 2023 ist er im Alter von 99 Jahren gestorben. Unser Interview datiert aus dem Jahr 2011.

Kirsten Liese: Herr Pressler, Sie haben im Alter von 17 Jahren in San Francisco den Debussy-Preis gewonnen. Ihr Debüt mit dem Philadelphia Orchestra war dann so erfolgreich, dass Solo-Auftritte mit den größten Orchestern Amerikas und Europas folgten. Die solistische Karriere trat dann mit der Gründung des Beaux Arts Trios in den Hintergrund. Hatten Sie das von Anfang an so geplant?

Pressler: Nein, der Zufall führte zur Gründung des Trios. Ich war damals schon erfolgreich und machte Solo- Platten für Metro Goldwyn Meyer. Eines Tages sagte ich dem Label: Ich möchte gerne ein Mozart-Trio aufnehmen. Sagten die: „Okay, nimm dir doch ein Cello und einen Geiger und wir machen es.“ Glück spielt eine enorme Rolle im Leben. Der zweite Geiger vom NBC-Orchester war im selben Hotel-Apartment wie ich, so rief ich ihn an und fragte: „Mit wem denkst du, sollte ich Trios aufnehmen?“ Sagte er: „Warum nicht mit unserem Konzertmeister? Er kommt morgen in die Probe von Toscanini, dann werde ich ihn dir vorstellen.“ Das war Guilet. In derselben Woche hatte ich ein Konzert mit dem Paganini-Quartett, zum ersten Mal spielten wir das Schumann-Quintett. Guilet sagte mir: „Wenn du Lust hast, kann ich mit dir das Stück durchgehen, ich kenne es als erster Geiger, ebenso als zweiter Geiger, ich kenn es wirklich ganz gut.“ Das habe ich mit Freude akzeptiert und gesehen, was für ein großartiger Musiker und Kammermusiker er war, und so mit dem neuen Ensemble das Trio einstudiert. Aber das sollte nur für neun Konzerte anhalten, wir machten die Platte und verabschiedeten uns.

Dann geschah das, was eben das Glück bringt: Ein Trio, das Albaneri, sollte in Tanglewood spielen, und zwar in einem Beethovenfest. Das fiel aus und wir haben es übernommen. Nach dem Konzert hatten wir nicht neun Konzerte, sondern siebzig.

Wenn man sich für das Spielen von Trios entscheidet, sagt der Manager, kannst du kein Solo mehr spielen. Oder du kannst Solo spielen, aber dann musst du mit dem Trio wieder aufhören. Mit dem Trio fand ich ein so wunderbares Musizieren, das so war wie wenn man mit einer anderen Person zusammenlebt. So habe ich mich für das Trio entschieden.

Kirsten Liese: Gerald Moore war  ein Pianist, der sich auf den Bereich Liederabend konzentrierte. Daniel Barenboim betätigte sich vielfältiger, er spielte Kammermusik mit seiner ersten Frau Jacqueline du Pré, machte vor allem aber als Solist und Dirigent Karriere und tanzt auf allen Hochzeiten. Was  ist der Vorteil, wenn man sich auf einen Bereich festlegt – Solo oder Kammermusik?

Pressler: Das kommt ganz auf den Menschen an. Barenboim ist ein Genie. Er spielt wunderschön Klavier, wenn es das richtige Repertoire ist. Ich hab’ ihn einmal die G-Dur-Schubert-Sonate spielen hören, die kann man nicht schöner spielen als er. Ich hab’ ihn dirigieren gehört, und das war großartig – man kann das nicht vergleichen. Und man soll es auch nicht vergleichen.

Schubert-Lieder kann keiner schöner spielen als Gerald Moore, nicht mal ein Barenboim kann das so schön spielen.

Bei mir ist es eben anders, ich liebe die Kammermusik. Ich liebe auch das Instrument. Wenn ich zum Beispiel heute um die Welt reise, in meinem Alter ist das keine Kleinigkeit, aber ich tu es mit Freude, weil es mir nicht nur das Leben in gewisser Hinsicht bereichert, sondern meinem Leben einen Grund gibt, zu leben. Ich suche das nächste Rendez-vous mit Schubert, Schumann und Brahms, mit all diesen, meinen Göttern.

Kirsten Liese: Sie wurden vor wenigen Jahren zum Ehrenbürger der Stadt Magdeburg ernannt, in der Sie 1923 geboren wurden. Wann und mit welchen Gefühlen sind Sie erstmals wieder nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland gekommen, immerhin mussten Sie 1939 vor den Nazis mit Ihrer Familie fliehen?

Pressler: Drei Wochen vor Beginn des Zweiten Weltkriegs  bin ich mit meinen Eltern nach Italien in den Ferien gefahren. Dann sind wir aus Italien nach Israel gereist, eine Woche bevor Italien in den Krieg ging. Also wenn ich daran denke, könnte man nur sagen, es war ein Zufall, dass ich am Leben geblieben bin und nicht das Schicksal von Millionen anderen geteilt habe. Ich kam später nach Deutschland zurück. Die deutsche Sprache ist die Sprache, in der ich träume. Ich spreche Deutsch mit meinen Kindern und mit meiner Frau. Meine Kinder antworten in Englisch, meine Frau spricht mit mir auch Hebräisch, Deutsch und Englisch. Und dann habe ich auch etwas versprochen,  und das hab ich auch gehalten: Das, was ich in Deutschland verdient habe, habe ich Israel geschenkt. Ich dachte, es ist für mich ein Geschenk, dass ich in Deutschland spielen kann, dass Deutschland mich hören will. Denn der Erfolg vom Trio war wirklich besonders groß, begann besonders groß in Deutschland.

Kirsten Liese: Was erforderte der Wechsel von der Kammermusik zum Solisten?  Kammermusik erfordert ja sicherlich ganz andere Fähigkeiten als ein solistisches Spiel?

Pressler: Zunächst einmal: Musik ist Musik. Aber wenn du alleine spielst, bist du nur für dich verantwortlich. Und in vieler Hinsicht ist man auch narzisstisch, das bedeutet: Ich, ich, ich. Wenn du ein guter Kammermusiker bist,  hörst du jeden. Dann ist das Ich wir, wird das Ich zum Wir. Wenn dein Cellist, Geiger oder Bratscher eine besonders schöne Phrase spielt, freust du dich und denkst, ich kann es noch schöner spielen. Meistens gelingt es nicht, aber du versuchst es. Das, was als Schönheit rauskommt, ist gemeinsam, und das ist etwas Wunderbares – für dich als Person und wunderbar für den Komponisten.

Kirsten Liese: Sie sind ein sehr gefragter Lehrer, geben  viele Meisterklassen, zum Beispiel in Kronberg im Taunuas in dem Festival „Chamber music connects the world“, wo Sie mit jungen Musikern zusammen spielen. Wie war es denn in jungen Jahren, als Sie Trio spielten. Wer hat Ihnen da helfen können?

Pressler: Mein Geiger, der Guilet, war furchtbar streng in den Proben. Aber ich habe seine Art geliebt, weil ich immer sehr kritische Lehrer hatte, sogar wenn ich Platten machte, wenn der Producer mir sagte: „That’s wonderful“, das hat mir überhaupt nicht gefallen. Wenn er kritisierte, dann wusste ich, es gibt einen Weg, es noch besser zu machen. Es ist das Himmlische an der Musik, dass du dasselbe Werk dein ganzes Leben spielen – und dich in es vertiefen kannst. Ich weiß, dass viele Musiker sagen: Jetzt spiele ich dasselbe nochmal und bin schon müde von diesem Stück. Das ist sehr traurig. Das darf man nicht, das soll nicht sein. Denn es gibt kaum ein Werk, wenn man es noch so gut spielt, dass man es nicht noch besser spielen kann. Und es gibt keinen der großen Pianisten, wenn man an einen Horowitz denkt oder einen Radu Lupu, die nicht glauben, ich kann mich nicht noch mehr vertiefen.

Kirsten Liese: Musiker sind unterschiedliche Persönlichkeiten. Wie wird man ein homogenes Ganzes?

Pressler: Wenn ein Trio von einem dominiert wird, kann es kein gutes Trio sein. Es stimmt, ein Pianist im Trio ist ein Primus inter pares. Denn du hast ja die ganze Partitur vor dir. Aber wenn der Geiger oder der Cellist keine Persönlichkeit besitzt,  können sie ihren Teil nicht auf derselben Höhe ausdrücken. Die Tiefe des Ausdrucks bezieht sich auf das Können des Einzelnen. Es gibt keine Gruppe, die sich nicht zankt, nicht kämpft. Man zankt sich, aber man freut sich, wenn man zusammen spielt.

Kirsten Liese: Weil Sie das gerade sagten mit den Streitigkeiten: Es gibt Ensembles, die nur noch mit Zetteln verkehren…

Pressler: Ich kannte ein Ensemble, dessen erster Geiger zum Bratschisten sagte: „Sag dem zweiten Geiger, er soll nicht so schnell spielen.“ Der konnte nicht mal mit seinem zweiten Geiger sprechen. Ja, das gibt es. Ich kenne auch ein wunderbares Ensemble, deren Mitglieder sich nur bei der Probe und beim Konzert getroffen – aber nie versucht haben, zusammen zu reisen und  im selben Hotel zu sein oder zur selben Zeit zu essen zusammen.

Kirsten Liese: Wie war es beim Beaux Arts Trio?

Pressler: Wir haben uns sehr schön gestritten. In meiner letzten Formation mit Antonio Meneses und  Daniel Hope, war ich soviel älter und hatte mehr Erfahrung. Ich hatte diese zwei besonders Begabten und wunderbaren Musiker, fabelhaften Instrumentalisten und wunderbare Solisten, die Kammermusik spielen wollten. Also konnte ich um verschiedene Details bitten, und sie haben es verstanden und haben es getan. Sehr oft haben sie es schöner getan, als ich es verlangt hatte. Darum hatte ich zum Schluss eine besondere Befriedigung.

Kirsten Liese: Ausschließlich von der Kammermusik zu leben, ist ein hartes Brot. Junge Ensembles haben es ja heute sehr schwer, sich im Konzertleben zu behaupten, das Publikum schrumpft. Aber auch damals schon war es sicherlich sehr schwer, ein Ensemble aufzubauen. Wie waren Ihre ersten Trio-Jahre, bis Sie sich etabliert haben? Wovon haben Sie gelebt?

Pressler: Wir hatten es schwer. Aber ich begann zur selben Zeit als junger Artist in Residence in Indiana an der Schule zu unterrichten. Und mein Geiger Guilet war noch im NBC Orchester, Greenhouse war ein enorm beschäftigter Cellist, ein Mann mit dem schönsten Ton, den man sich vorstellen kann: Also wir hatten Geld zum Leben.

Die Bezahlung war gleichwohl so schlecht, dass wir  von Konzert zu Konzert gefahren sind. Unser Weg führte  von der Ostküste bis zur Westküste, von New York bis nach Los Angeles. Wir sind in all die kleinen Städte gereist, alles mit dem Wagen,  500 Meilen pro Tag. Das war wirklich enorm anstrengend, und zur selben Zeit haben wir auch noch neue Werke einstudiert. Denn wie wir anfingen, hatten wir ein sehr, sehr kleines Repertoire.

Kirsten Liese: Sie haben am Anfang gesagt, dass mit Mozart ihre Triozeit oder ihre Wende zur Kammermusik eigentlich kam.

Pressler: Ich erinnere mich an eine Frage: „Sagen Sie mal, wo würden Sie ohne Mozart sein?“ Ich antwortete: „Wir haben Beethoven, Bach und Brahms, wir haben viele großartige Komponisten, aber wissen Sie was: Ohne Mozart gehen wir zu Fuß, aber mit Mozart können wir fliegen.“ Ich meinte damit, dass Mozart dich direkt in den Himmel trägt. Und das stimmt auch. Mozart ist eine gewaltige, großartige Figur, die man mehr und mehr schätzt, je älter man wird. Denn das, was man sozusagen Einfachheit nennt, ist wirklich die größte Kunst.

Kirsten Liese: Beim Beaux Arts Trio gab es im Laufe von über 50 Jahren immer wieder personelle Wechsel. Einen ersten an der Geige gab es 1969, da kam Isidore Cohen für Daniel Guilet. Er blieb dann sehr lange Zeit dabei bis 1992. Wie findet man,  den idealen Neuen, der zur Gruppe passt?

Pressler: Das ist schwer zu sagen. Als Guilet aus dem Trio ausschied, war er alt. Als wir mit dem Trio anfingen, war er 55. Und für einen Streicher beginnt es schwerer zu werden und das Hören und die Intonation beginnt zu leiden, wenn er älter wird. Guilet war für mich immer wieder eine Inspiration, auch dann noch, als er nicht mehr so sauber spielte.

Mit Cohen ging eine gewaltige Änderung einher. Er war ein passionierter Kammermusiker, zuvor zweiter Geiger im Juilliard Quartett. Er hatte einen natürlichen schönen Ton, war ein ganz passionierter Musiker, fing aber sehr spät an zu studieren. Seine Eltern wollten, dass er Doktor werden solle.  Als er Geige studierte, war er schon 24 Jahre alt. Aber er hat wirklich mit Kraft die Technik erlernt. Seine Leidenschaft zu musizieren, die hatte er immer, und das war für Kammermusik natürlich hervorragend. Er hat ganz anders gespielt als Guilet, er hatte mehr den Schönklang als den Feinsinn. Er hat sich wunderbar anpassen können.

Nachdem Greenhouse ausschied nach 32 Jahren, kam Peter Wiley  ins Trio, er ist ein sehr guter Musiker und sehr anständiger Cellist. Und dann wie Cohen uns verließ,  fast zwei Jahre später, kam  Ida ins Trio. Ida ist eine wunderbare Geigerin, besonders großartig für Moderne Musik.  Ich muss sagen, die beiden waren eine kurze Zeit im Trio, aber das war nicht ganz in meinem Geist. Ich konnte sie gegen Antonio Meneses und Young Uck Kim auswechseln. Kim war ein hervorragender Koreaner, der in der Mitte einer Tournee einfach nicht mehr spielen konnte, der Arm, die Schmerzen waren zu groß, und so kam Daniel Hope in das Trio. Dann hatte ich die letzten zehn Jahre ganz beglückende Jahre mit meinem Trio. Das war das Beaux Arts Trio auf der Höhe wie es mit Guilet und Cohen war.

Mein Einfluss war jedoch stärker als am Anfang. Mit Cohen wurde mein Einfluss dann immer stärker und stärker. Ich weiß nicht, ob das gut ist, aber es hat zu guten Ergebnissen geführt.

Kirsten Liese: Sie sind viel gereist, hatten immer Klaviere, auf denen Sie gut spielen konnten, auch wenn es nicht immer die gleich guten Instrumente waren, wie viel Zeit bleibt auf den Reisen für das Privatleben?

Pressler: Ich hatte sehr wenig Zeit, ich hab immer sehr viel geübt und tu es auch noch heute. Meine Befriedigung war eben das Musizieren. Ich bin auf den Reisen oft in Museen gegangen, aber wirklich habe ich die meiste Zeit geübt. Aber ich bedauere es nicht.

Kirsten Liese: Als Daniel Hope einer Solokarriere wegen das Beaux Art Trio aufgegeben hat, haben Sie nicht noch einmal einen neuen Geiger gesucht. 2008 haben Sie das Trio aufgelöst. Mit welchen Gefühlen haben Sie diese Entscheidung getroffen?

Pressler: Die Entscheidung traf ich, weil das Trio wirklich einen Höhepunkt erreichte mit Daniel. Und ich mir dachte, ich hätte nicht mehr die Kraft dazu, einen anderen Geiger zu erziehen so wie ich Daniel miterzogen hab genauso wie Meneses in dem Trio.  Nur noch um zu konzertieren, wollte ich das nicht. Jetzt sehe ich es vielleicht etwas anders in der Hinsicht, dass so viele Konzerte mir entgegen kamen, die ich überhaupt nie erwartete. Ich bin jetzt als Solist so beschäftigt wie in den Hochzeiten des Trios. Nur muss ich ganz anderes Repertoire spielen. Es tut mir nicht leid, und es tut mir leid. Denn diese Intimacy, dieses intime Musizieren, das ich mit meinem Trio hatte, das kann man nur durch Jahre und durch enormes Probieren erreichen. Die Intimität, die man mit einem Quartett hat, kommt zustande, wenn die Spieler das Stück gut kennen, ich das Stück gut kenne, und wir uns in Kurzem verbinden – und es schön machen können. Aber das, was wir erreichten in einem Trio, ist etwas so Intimes und Schönes, dass ich nur mit einer Heirat vergleichen kann, wenn man ein Verständnis dafür entwickelt hat, wie man  jemanden durch einen falschen Akzent beleidigen kann.

Ein Gedanke zu „Interview mit Menahem Pressler von Kirsten Liese
klassik-begeistert.de, 14. Mai 2023“

  1. Heute habe ich das Trio E.T.A. in Hannover im Kleinen Sendesaal erlebt. Wunderbar! Diese jungen Künstler können die Lücke schließen, die das Beaux Arts Trio hinterließ.

    Gerd Andres

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