Erl, Passionsspielhaus Erl – Photo Regina Ströbl
Erl ist mehr als ein Festspiel wert – dem Verfasser mit Südtiroler und Steirischen Wurzeln sei die Referenz gewährt – „nägschd Johr samma wieder do!“
von Dr. Andreas Ströbl
„Kennst du die Perle, die Perle Tirols?“ – Klar, jeder kennt das Kufsteinlied als Liebeserklärung an die kleine Stadt am grünen Inn, aber das Festspiel-Kleinod des Bundeslandes Tirol verbirgt sich namentlich schon im Wort „Perle“.
Die „Süddeutsche Zeitung“ nennt Erl als Festival-Standort in einem Atemzug mit München, Bregenz, Salzburg und Bayreuth. „Wilder Kaiser statt Grüner Hügel“ liest man als Motto auf T-Shirts und Tassen, die man im kleinen Laden des Passionsspielhauses erwerben kann, wobei eine echte Konkurrenz zwischen der Gemeinde am Gebirgszug des „Wilden Kaisers“ und dem oberfränkischen Wagner-Mekka tatsächlich nicht besteht. Schön, dass man vom katholischen Passionsort zum Hügel-Tempel der Wagnerschen Kunstreligion pilgern kann – und retour, denn im Herbst wartet Erl mit den nächsten musikalischen Höhepunkten auf; schließlich gibt es hier ein Sommer- und ein Winterprogramm.
Während die Erler Passionsspiele bereits seit dem 17. Jahrhundert die Leidensgeschichte Christi miterleben lassen, ziehen die Festspiele seit 1997 Musikbegeisterte und Mitwirkende aus der ganzen Welt an.
Es gibt sicher keinen Festspielstandort mit großartigerem Panorama direkt vor der Türe; man kann seinen Aperol Spritz genießen und die Berge bestaunen, aus denen sich die Nebelschwaden erheben, die bald von sanftem Abendrot bestrahlt werden.
Erl hat etwas Gediegenes und man sieht häufig regionaltypische Trachten zwischen Abendkleidern und Anzügen. Bereits im Begleitschreiben zu den bestellten Karten wird „recht höflich“ darauf hingewiesen, doch bitte auf „kurze Hosen, Sportschuhe und Trainingskleidung“ zu verzichten. Daran halten sich nicht alle Besucher streng konsequent, aber solche textilen Geschmacksverirrungen, wie man sie beispielsweise in der Hamburger Elbphilharmonie regelmäßig ertragen muss, wird man hier zum Glück vergeblich suchen.
Auch wird in Erl gehustet und sehr selten flüsternd gequasselt, aber das hält sich in Grenzen.
Die Kirche im nahen Walchsee empfängt die Eintretenden mit dem historischen gemalten Hinweis, dass das „Schwätzen in der Kirche“ nicht nur Gott, die Engel und die anderen Gottesdienstbesucher beleidige, sondern auch eine entsprechende Strafe im Fegefeuer nach sich ziehe. Das möchte man gerne in flammender Schrift an der „Elphi“-Decke leuchten sehen, aber im protestantischen bis heidnischen Hamburg fürchtet ja leider ohnehin niemand das reinigende Feuer.
Solches züngelt als Waberlohe im von Kammersängerin Brigitte Fassbaender inszenierten „Ring des Nibelungen“, dem Höhepunkt dieses Festspielsommers. Auch wenn die Bühne des Passionsspielhauses nur eingeschränkte technische Möglichkeiten bietet, zeigt gerade diese Produktion, dass eine von Kaspar Glarner phantasievoll-reduziert gestaltete Bühne mit wundervollen Video-Einblendungen von Bibi Abel und ein sensibel eingerichteter Lichtzauber von Jan Hartmann völlig genügt, um Wagners wild und kraus kreisende Welt zum Leben und zum Untergang zu bringen.
So en Festspielsommer funktioniert natürlich nur, wenn alle mittun und so sei an dieser Stelle einmal all denen gedankt, die nicht im gleißenden Glanze der Scheinwerfer stehen – den stets freundlichen und hilfsbereiten Saaldienerinnen, den sympathischen Damen und Herren hinter der Theke und einer zugewandten Presseabteilung, die den angereisteten Journalisten vor jeder Vorstellung ein kühles Getränk zuschmeckt. Einen ungastlichen Hunding sucht man hier vergebens. Die Pressephotos sind nicht nur von ausgezeichneter Qualität, sondern auch in großer Auswahl vorhanden.
Nicht nur von diesen Aspekten können sich zahlreiche Opern- und Konzerthäuser im nördlichen Nachbarland eine dicke Scheibe abschneiden; es gibt auch eine rührige Freiwillige Feuerwehr, deren fesch uniformierte Mitarbeiter nicht nur darüber wachen, dass Loges Lohe oder Fafners Flammenwerfer nicht schlimmen Schaden bringen, sondern die auch mit Hingabe Rollstuhlfahrer zu den sanitären Einrichtungen und quer durchs unebene Gelände fahren, und die den Gebrechlichen stets eine helfende Hand reichen.
Hinweis für Festspiel-Besucher: Wer nicht wie Wotan der Wanderer die Berge besteigen möchte, kann in den Pausentagen von Erl aus schnell die berühmten Tiroler Kulturstätten wie Innsbruck oder Kufstein erreichen. Für Orgelliebhaber bietet die Festung Kufstein einen ganz besonderen klingenden Schatz. Die sogenannte „Heldenorgel“ ertönt täglich um 12 Uhr (im Juli und August auch um 18 Uhr) von einem der Festungstürme aus weithin über das Land. Mit ihren 4.948 Pfeifen ist sie die zweitgrößte Freiorgel der Welt und würdigt die Opfer von Krieg und Gewalt. In launigen Variationen werden dort Klassiker wie Beethovens „Ode an die Freude“, Griegs „Morgenstimmung“ oder Pachelbels Kanon gespielt. Das „Kufsteiner Segenslied“ beschließt das 20-minütige Konzert und entlässt die Hörer entweder auf die gewaltige Festung oder in die Stadt, je nach individueller Planung.
Für die leibliche Stärkung ist die alpenländische Küche mit ihrem großzügigen Einsatz von Kohlehydraten ideal – fasten kann man dann ja wieder im protestantischen Norden. Außerdem müssen die durch Mitleid, Bangen und Begeisterung verlorenen Kalorien bei 17 Stunden „Ring“ ja irgendwie wieder aufgefüllt werden.
„Zurück zum Ring!“, entfuhr es der Gattin des Rezensenten beim Abschied. Erl ist mehr als ein Festspiel wert – dem Verfasser mit Südtiroler und Steirischen Wurzeln sei die Referenz gewährt – „nägschd Johr samma wieder do!“
Dr. Andreas Ströbl, 15. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Das Rheingold Tiroler Festspiele Erl, 5. Juli 2024
Richard Wagner, Die Walküre Tiroler Festspiele Erl, 6. Juli 2024
Richard Wagner, Siegfried Tiroler Festspiele Erl, 8. Juli 2024
Richard Wagner, Götterdämmerung Tiroler Festspiele Erl, 10. Juli 2024
War einfach kongenial!
Erich Mantl-Mussack
Ich kann mich den vorgenannten Artikeln nur anschließen.
Seit Kuhns Zeiten sind meine Freunde und ich Jahr für Jahr in Erl, um uns am Haus, dem Inntal und der Musik Richard Wagners zu erfreuen.
Die Krönung jedoch war der komplette Ring in diesem Jahr unter der Regie der einmaligen Künstlerin Brigitte Fassbaender.
Seitdem vergeht kein Tag, an dem ich nicht dank meiner CDs irgend eine Stelle – hauptsächlich aus Walküre und Götterdaemmerung – höre. Umso entsetzter waren wir, als Jonas Kaufmann in seinem Fernseh-Interview klar sagte, einen Ring werde es unter ihm nicht geben. 2025 ist Passionszeit – für 2024/25 liegt das Programm ja vor und bietet konzertante Verdi-Opern drei Tage hintereinander, auch die anderen Konzerte reißen einen nicht vom Hocker. Einzig „Parsifal “ will Herr Kaufmann an Ostern spielen lassen… Meine einzige Hoffnung ist, dass sich die Verantwortlichen und einheimischen Kräfte durchsetzen, dass Wagner-Opern in Erl mit solch hervorragenden Künstlern wie Frau Fassbaender, Herrn Loebe und Herrn Nielsen mit ihrer Sängerriege wieder auftreten. Dann werden die Menschen mit Liebe zu dieser Musik wieder in den kleinen Ort im Inntal strömen – ich gebe die Hoffnung nicht auf!
Monika Roddewig-Lenger