(hRvlnr.: Patrick Vogel, Philip Lüsenbrink, Daniel Schliewa, Jacoub Eisa; vRvlnr.: Cinzia Zanovello, Svetlomir Zlatkov, Annika Egert; Foto Patrik Klein)
Sommerfestspiele in Wertingen vom 19. Juli – 28. Juli 2024 – Teil 1
von Patrik Klein
Man nehme ein junges und engagiertes Sängerehepaar, welches sich in der Heimat einen kulturaffinen Veranstalter sucht und gründe ein Festival in der Schönheit des Naturparks Augsburg-Westliche Wälder, umgeben von den Flüssen Donau, Lech, Wertach und Mindel. Die Wertinger Festspiele starteten bereits mit großem Erfolg im letzten Jahr auf der Bühne der Stadthalle Wertingen mit fantasievollen Inszenierungen, großen Stimmen und hochmotivierten Künstlern.
Die Sopranistin Annika Egert und der Tenor Daniel Schliewa gewannen die Charlotte und Hermann Buhl Stiftung für ihre Idee, ein Festival in ihrer Heimat zu organisieren und zu finanzieren, um die Förderung von Kunst und Kultur in dieser Kleinstadt im Landkreis Dillingen an der Donau in die Tat umzusetzen.
Man durfte also auch in diesem Jahr auf das Programm, die Mitwirkenden und die Wirkung beim Publikum gespannt sein.
Auf dem Programm standen Operetten mit viel Flair und Schwung, schicksalsbehaftete Opernarien, Broadwayklänge aus Übersee, Liederabende mit Stars aus der Opernwelt, eine musikalische Reise für Kinder und eine operettenumschlungene Abschlussgala.
Es begann mit Franz Lehárs erfolgreichster und bekanntester Operette Die lustige Witwe. Uraufgeführt 1905 im Theater an der Wien, machte sie von da ab den Siegeszug durch die ganze Musikwelt.
Ein drohender Staatsbankrott im Balkanstaats Pontevedro musste verhindert werden. Die einzige Hoffnung war die millionenschwere Witwe Hanna Glawari, die gerade in Paris weilte. Die Millionen sollten „im Land“ bleiben, also setzte man Graf Danilo, Hannas ehemalige Jugendliebe, auf den heiß begehrten Männerschwarm an. Erst als der junge französische Charmeur Camille de Rosillon als potenzieller Nebenbuhler auftauchte, erwachten die lang unterdrückten und damals aus Standesgründen verbotenen Gefühle Danilos für Hanna. Das erotisch-ironische Verwirrspiel konnte beginnen.
In der Regie von Philip Lüsebrink, der auch die Partie des Vicomte Cascada übernahm, sprühte und funkte ein kleines Feuerwerk an spritzigen Ideen und effizienten Dekorationen aus dieser amüsanten Inszenierung.
Rund 500 Gäste aus Wertingen und Umgebung waren in die sehr gut geheizte Stadthalle gekommen. Da kam dann sogar ein wenig emotionales Flair wie in Bayreuth dazu, denn man schwitzte sich regelrecht in Stimmung, wenn auch in Operettenstimmung. Akzeptabel dagegen waren die Sitzabstände und die Qualität der Bestuhlung. Die Bühne bestand aus einem Podium mit Steinway Flügel, einem Sofa, ein paar Stühlen und einem wunderschönen Blumenarrangement. Dahinter eine große Videoleinwand, auf der Ballsäle, Schlossatmosphäre und andere passende Kulissen mit Handlungsstrangunterstützung eingeblendet wurden. Das amüsante Spiel mit diversen Auftritten fand aber im gesamten Saal statt und zauberte eine Stimmung, die einen hineinzog und einfach wegriss nach Paris.
Charmante Melodien wie das „Vilja-Lied“, das berühmte Duett „Lippen schweigen“ oder auch der Schlager „Da geh’ ich zu Maxim“ wurden herrlich interpretiert. Die Sängerschar durfte sich sehen, spüren und vor allem hören lassen.
Annika Egert gab in der Titelrolle mit ihrem leuchtenden und die Halle ausfüllenden Sopran eine überzeugende Darstellung. Selbstbewusst, immer mit einem Lächeln auf den Lippen und einer großen Portion Erotik, hielt sie gesanglich und spielerisch das Heft in der Hand und setzte sich in der von Männern dominierten Welt durch.
Ihr Partner auf der Bühne und auch im richtigen Leben, der Tenor Daniel Schliewa in der Rolle des Grafen Danilo, verkörperte einen stimmschönen, lyrischen, aber auch kraftvollen ehemaligen Jugendliebhaber.
Als Gentleman und Schürzenjäger Camille de Rossillon war der Tenor Patrick Vogel die Idealbesetzung.
Komplettiert wurde das stark auftrumpfende Ensemble mit der jungen Cinzia Zanovello als Valencienne, die ihr erfolgreiches Debut in Deutschland gab, dem Regisseur und Tenor Philip Lüsebrink als Vicomte Cascada, der als „Heiratsvermittler“ das Stück vorantrieb und dem jungen Bassbariton Jacoub Eisa als verschmitzten Butler Njegus.
Svetlomir Zlatkov begleitete das Ensemble am Klavier mit melodischer und stimmungsgerechter Präzision.
Am Ende gab es stehende Ovationen und Riesenjubel in Wertingen. Zauberhaft.
Am übernächsten Tag folgte italienisches „Dolce Vita“, die italienische Nacht oder „La notte italiana“. Die Stadthalle quoll über vor mediterraner Lebensfreude und hochkarätigem Bel Canto aus der Opernwelt. Die Solisten der Wertinger Festspiele präsentierten Leckerbissen aus der italienischen Opernliteratur und Canzonen.
Beliebte Arien und Duetten aus Opern wie „La Traviata“, „Rigoletto“, „Pagliacci“, „La Wally“, „Don Carlo“, „Tosca“, „Der Barbier von Sevilla“, und „Turandot“, sowie Canzonen von Ernesto de Curtis, Gioachino Rossini, Eduardo di Capua und Luigi Denza tauchten den ausverkauften Saal in Wertingen in südeuropäisches Flair.
Moderiert wurde der Abend vom Tenor und Mitgründer des Festivals Daniel Schliewa, der mit Herz und einer ordentlichen Portion Humor Musik, Komponist und vor allem seine Mitstreiter auf dem Podium vorstellte.
Es ging dann auch schon rasant und bechergefüllt los mit dem Trinkspruch „Brindisi“ aus Verdis Gassenhauer „La Traviata“. Alle Künstler gaben sich bereits jetzt ein Stelldichein mit strahlender, die Stadthalle ausfüllender Stimme oder dem virtuosen Spiel mit den 88 Klaviertasten, so dass die Festspielbesucher in wenigen Minuten auf Betriebstemperatur angeheizt wurden.
Die Solisten des rauschenden Abends, der von der bulgarischen Pianistin Mira Teofilova gefühlvoll und temperamentgetränkt am Klavier begleitet wurde, waren Annika Egert, die mit ihrem präsenten und glühenden Sopran u.a. die berühmte Arie aus Catalanis Oper „La Wally“ und aus Puccinis Tosca „Vissi d’arte“ sang , die drei Tenöre Anton Saris (Der Niederländer Anton Saris sang mit fein geführter und leuchtend heller Stimme u.a. „Mattinata“ von Ruggero Leoncavallo; man wird ihn noch in den nächsten Tagen zusammen mit seiner Gattin und Sopranweltstar Camilla Nylund erleben), Daniel Schliewa, der bereits am ersten Abend der Festspiele als Graf Danilo in Lehárs Operette „Die lustige Witwe“ glänzte, hier an diesem Abend mit „E lucevan le stelle“ aus Puccinis Tosca und vor allem mit einer seiner Paraderollen, „Vesti la giubba“ aus Leoncavallos Oper Pagliacci brillierte und schließlich der bereits an der Semperoper in Dresden engagierte deutsche Tenor Patrick Vogel , der u.a. als Herzog von Mantua aus Verdis Rigoletto erneut seine Visitenkarte in höchsten und strahlendsten Tönen abgab.
Neu im Ensemble der Wertinger Festspiele war der ukrainische Bariton Oleh Lebedyev, der Daniel Schliewa auf dem Plácido Domingo Gesangswettbewerb in Kapstadt kennenlernte und der es sich nicht nehmen ließ, hier in Wertingen den „Vogel abzuschießen“. Man ist ja als erfahrener Hörer schöner Stimmen bereits einiges gewohnt, aber dieses Gesangstalent wird es einmal ganz weit bringen. Das Duett des Rodrigo zusammen mit Daniel Schliewa als Don Carlos „Dio, che nell’alma infondere“ war für meine Ohren ein wahrer Glücksmoment und jagte mir einige Schauer der Begeisterung über den Rücken. Rodrigos Arie „O Carlo, ascolta…“ kam danach mit einem satt tiefen Fundament und ohne jedwede Registersprünge bis in schwindelnde Höhe daher gezaubert. Chapeau, lieber Oleh Lebedyev.
Zu den absoluten Highlights des Abends zählten dann die gemeinsamen Parts des Ensembles, wie das „Non ti scordar di me“ von Ernesto de Curtis, das „’O sole mio“ von Eduardo di Capua und schließlich als Abschluß des zauberhaften Abends Puccinis „Nessun dorma“ aus der Oper Turandot.
Das Publikum in der Stadthalle Wertingen war begeistert und wurde mit der Leichtigkeit der Moderation und der Auswahl der Stücke abgeholt und in die Höhepunkte der klassischen Musik mit Bravour geführt. Jubel ohne Ende. Zu Recht.
Ein visionäres Singspiel für Kinder und Jugendliche, an mehreren Tagen schülergerecht vormittags präsentiert, leitete dann auf eine musikalische Zeitreise der besonderen Art. Die Kinderoper „Das magische Klassenzimmer“ handelte von einem Jungen, der wegen übermäßigem Smartphonekonsum in der Schule bestraft wurde und nachsitzen musste. Das brachte ihn auf eine magische Zeitreise, bei der er unterschiedlichsten Menschen begegnete und ein großes Abenteuer erlebte.
Bei dieser Uraufführung, zu der es bereits im Vorfeld über 1600 Voranmeldungen von jungen Menschen gab, schrieben die beiden künstlerischen Leiter Annika Egert und Daniel Schliewa das Libretto, die Musik stammte von großen bekannten Komponisten wie Mozart, Bach, Purcell, Verdi, Bizet und Puccini.
Während der zu Recht ausgesprochenen Strafe für den jungen Schüler, dargestellt von Daniel Schliewa, geriet dieser wie in einer Zeitmaschine in die Vergangenheit ins Mittelalter, begegnete dort einem schatzsuchenden Ritter auf der Suche nach der Geburtsurkunde der Stadt, landete dann aber in der fernen Zukunft in der 1000jährigen Cyberstadt Wertingen in einer Show namens „Weltbekannt im Bayernland“, bei der in humorvoller Weise das Publikum integriert wurde.
Die bekannte Schauspielerin und Sopranistin Désirée von Delft moderierte die Show sehr humorvoll und gab zudem noch die besorgte Mutter.
Die Regie lag in den Händen von Jacoub Eisa, der auch gleichseitig die Basspartie des Vaters, Ritter und Showmaster sang.
Die präzise Klavierbegleitung erfolgte durch Svetlomir Zlatkov.
Durch den technisch überhöhten Zustand in naher Zukunft wurde dem Schüler schließlich klar, wie wertvoll doch die Zeit sein kann mit weniger Benutzung dieser modernen Medien.
Das verzauberte und an der Produktion rege beteiligte junge Publikum ging mit voller Hingabe, Engagement und musikalischem Interesse durch dieses Wechselbad der Gefühle und dankte es den Aufführenden mit stürmischem Jubel und Applaus. Bei solchen jungen Leuten keimte dann doch Hoffnung auf.
19.7.24 Franz Lehár: Die lustige Witwe
Hanna Glawari: Annika Egert
Graf Danilo: Daniel Schliewa
Valencienne: Cinzia Zanovello
Camille de Rossillon: Patrick Vogel
Vicomte Cascada: Philip Lüsebrink
Njegus: Jacoub Eisa
Regie: Philip Lüsebrink
Musikalische Leitung/Pianist: Svetlomir Zlatkov
21.7.24 La notte italiana (Sternstunden der italienischen Oper und Canzonen)
Annika Egert, Sopran
Anton Saris, Tenor
Daniel Schliewa, Tenor
Patrick Vogel, Tenor
Oleh Lebedyev, Bariton
Musikalische Leitung/Pianist: Mira Teofilova
22.7.24 Das magische Klassenzimmer (Musiktheater für Kinder und Jugendliche)
(Libretto: Annika Egert und Daniel Schliewa; Musik: Mozart, Bach, Purcell, Verdi, Bizet und Puccini )
Regie: Jacoub Eisa
Annika Egert, Sopran
Désirée von Delft, Sopran
Daniel Schliewa, Tenor
Jacoub Eisa, Bass
Klavier: Svetlomir Zlatkov