Wer hatte mehr Humor, Verdi oder Wagner? Rossini natürlich… Jörn Schmidt im Gespräch mit Giampaolo Bisanti, Teil 3

Interview: klassik-begeistert im Gespräch mit Giampaolo Bisanti, Teil 3  6. Oktober 2024

Foto: Giampaolo Bisanti © Laila Pozzo

Demnächst dirigiert der Italiener Giampaolo Bisanti Tristan und Isolde, erst sein zweiter Wagner. Angelegentlich wagen wir den großen Verdi-Wagner-Vergleich.

Jörn Schmidt im Gespräch mit Giampaolo Bisanti, Teil 3 

klassik-begeistert: Wagner haben Sie mit dem Holländer begonnen, dann war einige Zeit  Wagner-Pause. Jetzt ein großer Sprung, im Januar 2025 leiten Sie Tristan und Isolde. An Ihrer Opéra Royal de Wallonie. Sieht so aus, als ob Tristan ein Herzenswunsch war?

Giampaolo  Bisanti: Ja. Ich glaube, Tristan und Isolde ist der Traum eines jeden Dirigenten.

klassik-begeistert: Werden Sie also bald Wagnerianer?

Giampaolo  Bisanti: Ich war noch nie ein Fan von solchen Etiketten oder Schubladen, vor allem nicht in der Welt der Musik. Wie Sie bereits erwähnt haben. nähere ich mich Wagners Musik zum zweiten Mal in meinem Leben. Und zwar mit großer Demut und immenser Freude. Wobei diese Freude auch daher rührt, dass ich es liebe, verschiedene Musikstile zu erkunden. Nachdem ich über 70 Opern aus dem italienischen Repertoire dirigiert und mich kürzlich in das französische und tschechische Repertoire vertieft habe,  werde ich mich bald den russischen Komponisten nähern. Dort hat es auch eine außergewöhnliche Menge großartiger Partituren… Jetzt aber erst mal deutsches Repertoire, Wagner ist ein Komponist mit einer ganz anderen und persönlichen Sprache – schwierig, komplex, faszinierend und ganz anders als alles, was ich bislang dirigiert habe. Mit einem Wort: Fantastisch!

 klassik-begeistert: Verdi und Wagner werden gerne als Antipoden gegenübergestellt. Verdi habe apollinisch Maß gehalten, während Wagner einen dionysischen Rausch ausgelebt hätte. War Verdi wirklich so spaßbefreit?

Giampaolo  Bisanti: Ein Stück weit ist das tatsächlich so, wobei das auch an Verdis Libretti liegt. Die sind halt oftmals intimer. Nicht so spektakulär wie die Handlungen, die Wagner vertont hat.  Das heißt aber nicht, dass es bei Verdi keine großen Emotionen gibt. Denken Sie nur an die Triumphszene der Aida, das Autodafé im Don Carlo oder die großen Chorszenen Les vêpres siciliennes.

 klassik-begeistert: Wagner machte mit seinen Leitmotiven die Dramaturgie hörbar und fand so zum Gesamtkunstwerk. Welche Rolle spielen Leitmotive bei Verdi?

Giampaolo  Bisanti: Wagner verwendet Leitmotive auf eine viel systematischere und strukturiertere Weise, fast schon wie ein musikalisches Motto. Jeder Charakter, jedes Objekt, jede Idee, selbst jede Situation ist für Wagner  ein klingendes Motto, das sich im Laufe der Oper mit den anderen Leitmotiven verflechtet und entwickelt. Wodurch ein hochkomplexes, symbolisches musikalisches Gewebe entsteht. Wagner unterstreicht damit die Macht der Gefühle, verknüpft die verschiedenen Szenen miteinander und führt den Zuhörer gleichzeitig durch die Handlung. Es ist das dramatische Werkzeug Wagners, um eine Atmosphäre zu schaffen, die reich an Bedeutungen und Anspielungen ist.

Giampaolo Bisanti© Laila Pozzo

klassik-begeistert: Nicht so Verdi?

Giampaolo  Bisanti: Verdi verwendet zwar ebenfalls wiederkehrende melodische Elemente, entwickelt aber kein so umfangreiches und komplexes System der Leitmotive wie Wagner. Verdis wiederkehrende Themen zielen eher auf die Charakterisierung der Personen,  und auf den Ausdruck ihrer unmittelbaren Emotionen. Die psychologischen Eigenschaften der einzelnen Charaktere werden so unterstrichen, das schafft eine ganz eigene, sehr intensive emotionale Atmosphäre.

klassik-begeistert: Auch Verdi fand spät, inspiriert von Wagner, zum Gesamtkunstwerk, und nannte es Musikdrama. Wie viel Verdi aber steckt in Wagner?

Giampaolo  Bisanti: Wagner strebte zwar eine Art integrierte musikalische Sprache an, liebte aber gleichzeitig Verdis starke Betonung der Stimmmelodie und den ausdrucksstarken Gesang. Beides ist tief in der italienischen Operntradition verwurzelt. Wagner erkannte ohne Zweifel die Kraft von Verdis Gesangsstil und hat dies in seinen eigenen Werke adaptiert.

 klassik-begeistert: Wagners Werk bilde „den Gipfel der Modernität“. So seinerzeit Thomas Mann. Was entgegnen Sie, im Vergleich mit  Verdi?

Giampaolo  Bisanti: Thomas Manns Behauptung ist eine mutige und einflussreiche Aussage. Sie unterstreicht die Radikalität von Wagners Innovationen und seinen Einfluss auf die Entwicklung von Musik und Drama im 19. Jahrhundert. Auch wenn Verdi in der italienischen Operntradition tief verwurzelt war, so hätte er diesen Ausspruch vermutlich  als zu exklusiv und einschränkend angesehen. Verdi hätte argumentieren können, dass Modernität nicht nur durch radikales Experimentieren und das Brechen von Konventionen definiert ist. Verdis Opern mit ihren starken Melodielinien, einprägsamen Charakteren und emotionaler Tiefe repräsentieren eine andere Art von Modernität, die vielleicht weniger revolutionär, aber ebenso bedeutsam ist.

klassik-begeistert: Wie hätte Verdi argumentiert?

Giampaolo  Bisanti: Er hätte argumentieren können, dass wahre Modernität in der Fähigkeit liegt, sich innerhalb einer Tradition anzupassen und weiterzuentwickeln, neue Wege zu finden, zeitlose Emotionen und Geschichten auszudrücken.

klassik-begeistert: Also Evolution statt Revolution…

Giampaolo  Bisanti: Im Wesentlichen war Wagners Gesamtkunstwerk ein bahnbrechendes und einflussreiches Konzept, während Verdis Ansatz eine komplementäre Vision der Moderne bot. Beide Komponisten trugen auf ihre eigene Weise zur Entwicklung der Oper bei, und ihr Erbe inspiriert und beeinflusst Musiker und Publikum auch heute noch.

klassik-begeistert: Politik war bei Verdi und Wagner ein Thema, wer war radikaler?

Giampaolo  Bisanti: Verdi war wahrscheinlich radikaler oder, besser gesagt, einflussreicher… Beide waren tief in die Politik ihrer Zeit eingebunden, aber ihre Ansätze waren unterschiedlich. Verdis Engagement war schlichtweg unverhohlener. Er unterstützte offen die italienische Einigung und war Mitglied des italienischen Parlaments. Seine Opern reflektierten oft zeitgenössische politische Themen, wie den Kampf um nationale Unabhängigkeit in Rigoletto und La forza del destino. Verdis Musik diente als kraftvolles Mittel, um politische Meinungsverschiedenheiten auszudrücken und patriotische Gefühle zu wecken. Wagner hingegen war mehr daran interessiert, philosophische und kulturelle Themen breiter aufzufächern. Seine Opern behandelten oft mythologische und historische Themen, diese spiegelten dann auch seine eigenen politischen und sozialen Ansichten wider. Wagner war ein Anhänger des konservativen Nationalismus und hatte enge Bindungen zur deutschen Monarchie. Wagners Musik reflektiert zuweilen auch seinen Glauben an eine starke, geeinte deutsche Nation.

klassik-begeistert: Komödien haben beide ja nicht so viele hinterlassen… Wer aber hatte mehr Humor, Verdi oder Wagner?

Giampaolo  Bisanti: Und ich darf wirklich nur einen der beiden benennen? Schwierig… Dann sage ich: Rossini (grinst).

 klassik-begeistert: In Ihrem Repertoire finde ich bislang keinen Bruckner, wohl aber Mahlers Auferstehungssymphonie. Dabei würde Bruckner doch viel besser zu Wagner passen?

Giampaolo  Bisanti: Die Beziehung zwischen Wagner und Bruckner ist in der Tat bedeutsam, Bruckners Musik ist oftmals von Wagners symphonischem Stil und seiner harmonischen Sprache inspiriert. Auch wenn ich Bruckners Werke derzeit nicht in meinem Repertoire habe, ist es sicherlich etwas, das ich in Zukunft in Betracht ziehen könnte. Bruckner zu dirigieren wäre eine lohnende Herausforderung, die es mir ermöglichen würde, die Komplexität seiner Musik zu erkunden und mein Verständnis der spätromantischen symphonischen Tradition zu vertiefen.

klassik-begeistert: Sie sind häufig Gast in Hamburg. Gibt es schon Routinen, was Sie hier in der Freizeit gerne  unternehmen?

Giampaolo  Bisanti: Hamburg ist eine pulsierende Stadt. Gleichzeitig versteht man es, die Natur zu genießen – wenn das Wetter es zulässt (lacht). Die Atmosphäre ist jugendlich und erfrischend. Ich gehe gerne spazieren, die Alster ist mein Lieblingsort in Hamburg. Die Parks, die baumgesäumten Alleen und die friedliche Atmosphäre sind unglaublich erholsam.

 klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Jörn Schmidt, 6. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Interview: klassik-begeistert im Gespräch mit Giampaolo Bisanti, Teil 1 klassik-begeistert.de, 4. Oktober 2024

Interview: klassik-begeistert im Gespräch mit Giampaolo  Bisanti, Teil 2 klassik-begeistert.de, 5. Oktober 2024

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