Nicolò Umberto Foron: Als Dirigent muss man auf das Publikum zugehen

Interview: klassik-begeistert im Gespräch mit dem Dirigenten Nicolò Umberto Foron  klassik-begeistert.de, 16. Oktober 2024

Photo © Riccardo Muti Music, RMM

Der junge deutsch-italienische Dirigent Nicolò Umberto Foron ist derzeit Assistant Conductor des London Symphony Orchestra und des Ensemble Intercontemporain. Darüber hinaus arbeitete er bereits mit namenhaften Orchestern wie dem Mozarteum Orchester Salzburg und der Mendelssohn-Akademie des Leipziger Gewandhausorchesters zusammen und assistierte Dirigenten wie Antonio Pappano, Andris Nelsons oder Lorin Maazel. Vor einem Konzert der Deutschen Stiftung Musikleben in der Hamburger Elbphilharmonie sprach der ehemalige Stipendiat mit klassik-begeistert über seine Kommunikation mit dem Publikum, die Laufbahn aufs Dirigentenpult und natürlich den Hype um den teuersten Konzertsaal der Welt!  

Johannes Karl Fischer im Gespräch mit Nicolò Umberto Foron

klassik-begeistert: Herr Foron, Sie sind derzeit Assistant Conductor beim London Symphony Orchestra und dirigieren nun in der Hamburger Elbphilharmonie StipendiatInnen der Deutschen Stiftung Musikleben (DSM). Was für eine Bedeutung hat dieses Konzert für Sie?

Nicolò Umberto Foron:  Das ist eine besonders emotionale Bedeutung, aber auch einfach ein cooles Programm! Ich war früher Stipendiat der DSM und mache das jetzt als Dankeschön gegenüber dem Team der Stiftung. Und natürlich gegenüber dem Publikum, das mich ja immer unterstützt hat.

klassik-begeistert: Sie spielen Ottorino Respighis dritte Antiche Danze ed Arie Suite und danach Béla Bartóks Divertimento für Streichorchester. Haben Sie zwischen diesen beiden Werken ein Lieblingsstück?

Nicolò Umberto Foron: Ich finde, das sind beides meine Lieblingstücke! Nein, als Künstler sehe ich es auch als  meine Verantwortung gegenüber dem Publikum, jedes Werk gleich ernst zu nehmen. Ich mache auch viel neue Musik, gerade da kann ich oft erst nach dem Konzert sagen, ok, das und das geht vielleicht nicht so gut oder dieses andere hier geht da vielleicht besser.

Peter-Eötvös-Contemporary-Music-Foundation, Peter Eötvös and Heinz Holliger, Budapest© Bálint Hrotkó

klassik-begeistert: Das heißt, man sollte als Künstler eigentlich keine Präferenz für bestimmte Werke haben?

Nicolò Umberto Foron: Es wäre naiv zu sagen, ich kann oder will nur dieses eine Stück machen. Gerade als junger, sich noch entwickelnder Künstler will ich mich da gar nicht festlegen. Rein kompositorisch finde ich natürlich den Bartók feiner, aber die Neugier für alle Werke ist mir auch sehr wichtig. Man muss jedem KünstlerIn die Möglichkeit geben, eine Ausdrucksform zu entwickeln. Es gibt auch Komponisten wie zum Beispiel Mieczysław Weinberg, deren Werke weniger gespielt werden aber sehr interessant sind.

klassik-begeistert: Die Klassik-Branche steht mit zunehmendem Publikumsmangel vor herausfordernden Zeiten. Was müsste passieren, damit auch in 50 Jahren überhaupt noch Leute in die Elbphilharmonie gehen?

Nicolò Umberto Foron: Man muss auf das Publikum zugehen! Ich mache das so, dass ich dem Publikum auch als Dirigent oft eine Einführung gebe, also mit ihnen spreche. Klassische Musik fühlt sich im Moment sehr oft an wie ein Sprachrohr, als ob es keine beidseitige Kommunikation zwischen Kunst und Publikum gibt. Man muss die Musik introducen, präsentieren.

klassik-begeistert: Heißt das auch vor der Vorstellung, also in Form von Einführungsvorträgen?

Nicolò Umberto Foron: Nein, nicht vor der Vorstellung! Applaus, umdrehen, zwei, drei Minuten Einführung, so möchte ich das gerne machen. Und so mache ich das auch. Weil wenn man das als Einführungsvortrag macht, den die meisten dann halt als separate Veranstaltung sehen, wissen die Leute davon nichts oder gehen da einfach nicht hin. Allein die Aktion, auf das Publikum zuzugehen, ist mir sehr wichtig.

klassik-begeistert: Bei dem Konzert der Deutschen Stiftung Musikleben arbeiten Sie hauptsächlich mit MusikerInnen, die sich in der Studiumsphase ihrer Karriere befinden. Wie ist die Zusammenarbeit da anders als zum Beispiel mit dem London Symphony Orchestra?

Nicolò Umberto Foron: Ich muss das Ensemble komplett neu aufbauen, ich kenne die MusikerInnen erst seit gestern Abend, und die meisten kennen sich untereinander noch gar nicht, und haben auch noch nie zusammengespielt. Die meisten sind tatsächlich vom DSM unterstützte Studenten, aber außergezeichnete Studenten natürlich, die besten Deutschlands. Ich habe schon das Gefühl, die streben überwiegend eher Solo-Stellen an, sei es auch in Orchestern. Sie sind alle sehr motiviert und rein spieltechnisch auf einer sehr hohen Ebene, daher macht es mir große Freude. Die Erfahrung eines Orchestermusikers, zusammen in einer Gemeinschaft zu musizieren, entwickelt sich über Jahre, und daran arbeiten wir u.a. gerade.

Peter-Eötvös-Contemporary-Music-Foundation, Peter Eötvös and Heinz Holliger, Budapest © Bálint Hrotkó

klassik-begeistert: Viele der DSM-StipendiatInnen haben sehr früh angefangen zu musizieren. Ist das unbedingt eine Notwendigkeit für eine erfolgreiche musikalisch Karriere?

Nicolò Umberto Foron: Absolut! Ich habe ja auch sehr früh angefangen und mit 11 das erste Mal ein Orchester dirigiert. Man kann die Entwicklungsstufen nicht überspringen und in der Musik braucht es auch eine gewisse Zeit, bis man das alles versteht. Man merkt’s ja, jetzt, wo DirigentInnen immer früher anfangen, werden sie auch technisch immer besser.

klassik-begeistert: Es gibt ja auch immer wieder zum Beispiel InstrumentalmusikerInnen, die relativ spät ins Dirigieren umsteigen, haben die unbedingt einen Nachteil?

Nicolò Umberto Foron: Naja, Dirigieren ist viel einfacher zu lernen als ein Instrument, die Gesten sind an sich nicht so kompliziert…

klassik-begeistert: Aber die Gesten sind doch eigentlich längst nicht alles?

Nicolò Umberto Foron: Natürlich nicht! Rein technisch gesehen kann man Dirigieren in ein, zwei Jahren lernen, aber für alles andere braucht es viel mehr Zeit und Erfahrung. Aber beim Dirigieren muss man die Musik als Führungsperson einfach gut navigieren können, sowas braucht Zeit.

klassik-begeistert: Aber für ein Dirigierstudium muss ja auch sehr, sehr gut Klavier spielen können. Ist das zum Dirigieren an sich wirklich eine Voraussetzung? Dazu gibt es ja auch sehr unterschiedliche Meinungen…

Nicolò Umberto Foron: Ich bin der Meinung, ja. Wie soll man denn sonst eine Partitur lernen? Man muss sie vielleicht nicht unbedingt am Klavier spielen können, man kann auch ein anderes Instrument spielen. Aber man muss die Musik trotzdem irgendwie vorbereiten. Wobei mit Aufnahmen heutzutage ist das natürlich viel einfacher geworden.

Nicolò Foron, Peter-Eötvös-Contemporary-Music-Foundation with Gregory Vajda, Budapest © Bálint Hrotkó

klassik-begeistert: Haben Sie schonmal in der Elbphilharmonie dirigiert?

Nicolò Umberto Foron: Ja, ich habe einmal mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester in der Elbphilarmonie geprobt, Petrushka und Brahms glaube ich.

klassik-begeistert: Ist die Elphi-Akustik wirklich so besonders, wie alle sagen?

Nicolò Umberto Foron: Ja, sehr. Ich finde die Akustik allerdings fast neutral, sie ist halt technisch so perfekt, dass man immer alles hört. Dadurch ist es besonders wichtig, was man daraus macht. Man kann sich einfach nicht verstecken und es entsteht eine gewisse musikalische Einsamkeit, die es dem Zuhörern ermöglicht, alles zu hören und besonderen Wert auf die Gestaltung jedes Künstlers setzt. Es ermöglicht daher eine Spielerische Interaktion mit dem Publikum, was mich sehr reizt.

klassik-begeistert: Ist der Hype um diesen Konzertsaal gerechtfertigt?

Nicolò Umberto Foron: Ja, absolut! Ich bin immer dankbar, wenn eine Stadt und Ihrer Förderer in Kultur investiert. Jeder Saal ist immer eine Abwägung zwischen verschiedenen Qualitäten, jeder Saal hat seine Vor- und Nachteile. Trotzdem, wenn ich die Wahl hätte, für 200 Millionen Euro einen neuen Konzertsaal zu bauen oder mit dem Geld Education-Konzerte in älteren Konzertsälen zu fördern, würde ich natürlich letzteres vorziehen. Aber so ein Konzertsaal lässt sich als Prestigeprojekt gut verkaufen, da rückt die Politik viel eher größere Geldsummen raus als für Education-Konzerte. Mir ist es aber immer am wichtigsten, dass das Publikum sich in jedem Konzert mit der Musik verbunden fühlt! Daher bedanke ich mich immer sehr beim Publikum für die Unterstützung und freue mich auf das Konzert von heute Abend.

klassik-begeistert: Herr Foron, vielen Dank für das Gespräch!

Johannes Fischer, 16. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikfest Bremen: Anastasia Kobekina Violoncello, Nicolò Foron Dirigent, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin Konzerthaus Die Glocke, 30. August 2024

Benefizkonzert der Deutschen Stiftung Musikleben Elbphilharmonie, Hamburg, 14. Oktober 2024

 

 

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