Schleswig-Holstein Musik Festival: NDR Chor begeistert mit magischem Gesang in Lüneburg

NDR Chor, Philipp Ahmann, Christoph Eß, Katharina Martini, Schleswig-Holstein Musik Festivals,  St. Michaelis, Lüneburg

Foto: ndr.de (c)
St. Michaelis, Lüneburg,
20. Juli 2018
Chornacht im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals
Katharina Martini, Flöte
Christoph Eß, Horn
NDR Chor
Philipp Ahmann, Dirigent

von Leonie Bünsch

Es ist 21 Uhr. Die Sonne ist noch nicht ganz untergegangen, und während es in der Altstadt von Lüneburg langsam dämmrig wird, gehen in der St.-Michaelis-Kirche bereits die Sterne auf. „Sterne, in des Himmels Ferne!“ lauten die ersten Worte des Liedes „An die Sterne“ von Robert Schumann, das die diesjährige Chornacht des Schleswig-Holstein Musik Festivals einläutet.

„…was dem Herzen kaum bewusst – Hommage an Robert Schumann“ heißt das Motto der Chornacht, die vom NDR Chor unter der Leitung von Philipp Ahmann gestaltet wird. Schumann steht dieses Jahr Pate für das Schleswig-Holstein Musik Festival, da dürfen seine Lieder und Balladen natürlich keineswegs fehlen.

1849 schreibt Schumann an seinen Verleger, er habe mit „wahrer Passion“ begonnen, diese zu schreiben. In den Liedern konnte der von innerer Zerrissenheit geplagte Komponist seinen Emotionen freien Lauf lassen und bringt sie dem Hörer spürbar nahe.

Diese Emotionalität vermag auch der NDR Chor spürbar zu machen. Bereits beim ersten der vier doppelchörigen Gesänge bekommt man Gänsehaut. Die Stimmen der Sängerinnen und Sänger harmonieren so wunderbar zusammen, sie bilden eine Einheit – warm, weich und klar. Die Schumann’schen Modulationen singen sie blitzsauber, der Text ist deutlich zu verstehen. Auch der vierte Gesang „Talismane“ rührt an. Hier wird erstmals in der dynamischen Bandbreite fortissimo erreicht und die Akustik der St.-Michaelis-Kirche ausgeschöpft. Die glasklaren Klänge erfüllen den gesamten Raum. Nach dem schlichten, aber harmonisch spannungsgeladenen Abgesang raunt es im Publikum: „Schöööön!“

Nach diesem gelungenen Auftakt betritt die 19 Jahre alte Katharina Martini mit ihrer Querflöte die Bühne. Sie spielt „Pièce für Flöte solo“ von Jacques Ibert, und auch sie nutzt – wenn auch alleine – den ganzen Kirchenraum mit ihren weichen, luftigen Klängen aus.

Das Stück bietet ein passendes Intermezzo zwischen den Gesängen von Robert Schumann und den drei gemischten Chören von Clara Schumann. Heimlich hatte sie diese mit Mitgliedern des Dresdner Vereins für Chorgesang einstudiert, um sie ihrem Mann zu seinem Geburtstag 1848 vorzutragen. Veröffentlicht wurden diese jedoch erst 1989! Emotional steht Clara ihrem Robert in nichts nach. Der erste Chor „Abendfeier Venedig“ wirkt wie eine innige Andacht. Der Chor vermag es, mit gefühlvollem Ausdruck die Seelen des Publikums zu berühren. Und auch beim zweiten Chor „Vorwärts“, der lebhaft und freudig ist, ist den Sängerinnen und Sängern anzusehen, dass sie Spaß haben.

Mit Claude Debussys „Syrinx“ für Flöte solo erzählt Katharina Martini ihre eigene Geschichte. Dem Komponisten ging es um eine „geheimnisvolle Korrespondenz zwischen der Natur und der Vorstellungskraft“. Die Flöte als stark naturverbundenes Instrument eignet sich dafür hervorragend, und Martini schafft es mit ihrer Ausgestaltung, die Vorstellungskraft anzuregen. Nur schade, dass es gerade jetzt im Publikum und draußen auf der Straße so unruhig ist.

Wilhelm Killmayer erhielt 1990 im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals den Hindemith-Preis. Für Männerchor komponierte er mit „…wie in Welschland lau und blau…“ acht Chorlieder auf Gedichte von Joseph von Eichendorff. Auch wenn die Intonation hier und da minimal wackelt, stellen sich die Männer der Herausforderung dieser anspruchsvollen Lieder meisterhaft. Die Lieder haben auf den ersten Höreindruck Volksliedcharakter. Durch kühne harmonische Wendungen und abrupte Kontraste durch Einschübe, die mal an Gregorianik, mal an Musiktheater erinnern, werden diese immer wieder ad absurdum geführt. Das Publikum bleibt etwas verwirrt, aber beeindruckt zurück.

Christoph Eß zeigt mit „Hoch willkommen das Horn“ von Siegfried Matthus sein Talent am Instrument der Romantik schlechthin in voller Pracht. Der weiche Klang des Horns fügt sich ebenso nahtlos in den Chor-Abend ein, wie jener der Flöte. Eß kostet die Akustik der Kirche voll aus. Er wartet ab, bis der Klang den ganzen Kirchenraum erfüllt und scheint den Hall mit den Augen nachzuverfolgen. Dann bietet er alle Klangfarben an, die sein Instrument zu bieten hat: ganz weich, ganz rau, mit Dämpfer, ohne Dämpfer, gestopft, offen… Er tritt mit seinem Solo-Instrument in einen Dialog mit sich selbst und zieht die Zuhörer in seinen Bann. Fantastisch!

Den Abend beschließen sechs Romanzen und Balladen von Robert Schumann, darunter die bekannten Lieder „Der König von Thule“ und „Heidenröslein“. Bei „Im Walde“ kostet Philipp Ahmann noch einmal den Klangraum der Kirche aus, indem er die Solisten im Seitenschiff verteilt und damit einen schönen Echo-Effekt erzielt. Beim letzten Lied „Das Schifflein“ kommen noch einmal alle Beteiligten zusammen, und hier zeigt sich erneut, wie Horn und Flöte ganz hervorragend mit der menschlichen Stimme harmonieren.

Ein kurzweiliger Abend geht zu Ende. Viele magische und anrührende Momente waren zu hören. Toll, wie der NDR Chor unter der Leitung des bescheidenen Philipp Ahmann fast einen ganzen Abend a-capella bestreitet und eine Beziehung zum Publikum aufbaut, die über den ganzen Abend nicht abreißt. Das Publikum ist begeistert und geht erfüllt in die Nacht hinaus. Nun sind auch in Lüneburg die Sterne aufgegangen.

Leonie Bünsch, 21. Juli 2018, für
klassik-begeistert.de

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