St. Joseph © Frank Heublein
Eher selten erlebe ich eine Aufführung so unmittelbar als Teil des Orchesters, so nahe sitze ich in der ersten Kirchenbank an Hörnern und Geigen. Die Solisten höre ich so jederzeit gut getrennt vom mächtigen Chor – selbst wenn dieser mit aller Wucht Amen schmettert. Keine zehn Minuten von meinem Zuhause entfernt erlebe ich das gewaltige und zugleich spielerische kirchliche Werk Stabat Mater von Rossini.
Gioachino Rossini (1792 – 1868)
Stabat Mater
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847)
Hör mein Bitten
Joseph Chor München
Vokalensemble St. Joseph
Freies Landesorchester Bayern
Thomas Scherbel, Leitung
Kirche St. Joseph, München, 6. April 2025
von Frank Heublein
An diesem Sonntagabend erklingt in der Kirche St. Joseph im Münchner Viertel Maxvorstadt „Hör mein Bitten“ von Felix Mendelssohn Bartholdy und das Stabat Mater von Gioachino Rossini.
Ich sitze für mich ungewohnt in der ersten Reihe, blicke unmittelbar auf die Hörner und Geigen, die keinen Meter entfernt vor mir sitzen. In Mendelssohns Hör mein Bitten steigt der Sopran Dorothee Koch kraftvoll ein. Eine klare Stimme höre ich. An der Stelle „Knechtschaft und Schmach“ zeigt der Chor besondere emotionale Dichtheit. Leise verhallend endet dieses Stück. Ich verstehe dieses Ende als nagenden Zweifel.
Dunkel beginnt Rossinis Stabat Mater mit dem Stabat Mater dolorosa mit Fagott und den tiefen Streichern. Ich bin ob meiner Sitzposition beeinflusst, die Hörner sind spielfreudig und haben viel zu blasen. Sie setzen mit dem Chor geradezu stürmisch ein. Tenor Eric Price muss anfangs in der Höhe arbeiten. Sopran Dorothee Koch hat den Mendelssohn souverän bewältigt, sie singt kräftig und selbstbewusst.
Nummer zwei des Stabat Maters, Cujus animam gementem, ist ein Tenor Solo mit Orchester. Wer Rossinis Opern kennt, hört Vertrautes. Kompositorisch wird dem Tenor die Bühne musikalisch vom Orchester aufgeschlossen. Nach opulenter Eröffnung lässt Rossini die Geigen geradezu vorsingen. Eric Price hat Standfestigkeit und Verve. Er meistert die hohe schwere Stelle am Ende mit Bravour.
In Quis est homo beweisen Sopran Dorothee Koch und Alt Luise Heiss Teamfähigkeit. Sie sind einander ebenbürtige und auf Harmonie achtende Sängerinnen. Bass Johannes Janson meistert Nummer vier Pro peccatis suae gentis kräftig und souverän. Nummer fünf Eja mater, fons amoris ist für Bass und Chor ohne Orchester. Johannes Janson schöpft stimmlich aus dem Vollen. An Kraftreserven mangelt es ihm nicht.
Nummer sechs Sancta Mater, istud agas ist ein Quartetto soli. Tenor Eric Price geht voll aus sich heraus, Sopran Dorothee Koch „antwortet“ locker leicht. Alt Luise Heiss ergänzt sich schön mit Bass Johannes Janson. Je zwei Stimmen harmonieren miteinander. Ebenso das sich anschließende vierstimmige Quartett.

In Nummer sieben Fac ut portem Christi mortem höre ich die Fagotte aus der Ferne, der Sitzposition geschuldet. Alt Luise Heiss zeigt warme Strahlkraft. Nummer acht Inflammatus et accensus ist ein düsteres Forte. Sopran Dorothee Koch stemmt sich furchtlos strahlend gegen den dunklen mächtigen Chorgesang. In den beiden letzten Nummern neun Quando corpus morietur und zehn Amen kommt das gesamte Ensemble zum Einsatz. Im Amen erinnern die Fagotte musikalisch an den Beginn des Stabat Maters, fassen das Stück damit ein. Rossini entfacht im Amen einen gewaltigen musikalischen Sturm.

Die Solisten stehen keine zwei Meter entfernt von mir. Ich höre sie, auch wenn der Chor ins Fortissimo geht. So wie ich sitze bin ich am Ohr Teil des Orchesters. Eine unerwartete interessante Hörerfahrung, gleichwohl mir ein ganzheitlicher Eindruck an einigen Stellen verwehrt bleibt. Die Hörner jedenfalls sind 1a.
Dirigent und St. Joseph Kirchenmusiker Thomas Scherbel leitet das Freie Landesorchester Bayern und den Chor sicher, strukturiert und klar. Ein musikalisch beglückender Abend.
Frank Heublein, 7. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung
Dorothee Koch, Sopran
Luise Heiss, Alt
Eric Price, Tenor
Johannes Janson, Bass
Ensemble Phoenix Munich Bayerisches Nationalmuseum, München, 30. März 2025
Leoš Janáček, Káťa Kabanová Nationaltheater, München, 17. März 2025 PREMIERE
MKO, Pēteris Vasks Pinakothek der Moderne, München, 15. März 2025