Vorn: Elisabeth Dopheide © Nasser Hashemi
Am Osterwochenende kann man am Theater in Chemnitz, der diesjährigen Europäischen Kulturhauptstadt, zwei selten gespielte Musikwerke erleben. Neben Paul Abrahams Operette “Viktoria und ihr Husar” steht die Oper “Louise” von Gustave Charpentier auf dem Programm. Dieses in der heutigen Zeit auch in Frankreich sehr selten gespielte Werk gehört dem französischen Naturalismus an, einer französischen Antwort zum italienischen “Verismo”. Die Partitur der Oper kann diesen Einfluss ebenso wenig leugnen wie denjenigen von Gounod und Massenet, dem Lehrer von Gustave Charpentier.
Gustave Charpentier (1860-1956)
LOUISE
Roman musical in vier Akten und fünf Bildern (Libretto vom Komponisten)
Musikalische Leitung: Maximilian Otto
Inszenierung: Rahel Thiel
Bühnenbild: Volker Thiele
Kostüme: Rebekka Dornhege Reyes
Robert-Schumann-Philharmonie
Theater Chemnitz, 21. April 2025
von Jean-Nico Schambourg
Paris um 1900. Louise lebt mit ihren strengen Eltern, einem Arbeiterpaar, zusammen. Das Leben und Überleben ist nicht leicht. Ein Lichtblick tritt in ihr Leben, als sie Julien, einem Künstler begegnet und sich in diesen verliebt. Der Vater, mit dem Louise eine sehr enge Beziehung hat, steht anfangs der Liebesbeziehung nicht total negativ entgegen, spricht sich aber auf Drängen der Mutter dagegen aus.
Gegen den Willen ihrer Eltern flieht Louise mit Julien nach Paris. Einige Zeit später taucht die Mutter bei den Liebenden auf, um ihnen mitzuteilen, dass Louises Vater schwer krank wäre. Nur die Rückkehr von Louise für kurze Zeit könnte ihn retten. Nach ihrer Rückkehr ins Elternhaus spürt sich Louise betrogen und immer mehr eingeengt. Schlussendlich reißt sie sich von den Eltern definitiv los und flieht zu Julien nach Paris.
Rahel Thiel, die Regisseurin der Aufführung in Chemnitz, verlegt die Geschichte in die zweite Hälfe des 20. Jahrhunderts, worauf Bühnenbild (Volker Thiele) und Kostüme (Rebekka Dornhege Reyes) deuten. Die soziale Umgebung ist nicht mehr das Arbeitermilieu, sondern das kleine Beamtentum. Louise fühlt sich von ihren Eltern total eingeengt. Um diesem Käfig zu entfliehen, erfindet sie sich die Liebesgeschichte mit Julien, die sie auf der Schreibmaschine verfasst. Ihre imaginäre Flucht ins Liebes- und Künstlerleben nach Paris lässt sie dabei immer mehr verzweifeln und deutet eher auf fortschreitenden Wahnsinn hin als auf Lust nach Freiheit und Emanzipation von ihren Eltern. Der einzig logische Schluss in dieser Deutung ist dann auch der Selbstmord, den Louise am Ende dieser Inszenierung begeht.

Die Musik von Charpentier ist auch eine Liebeserklärung an die Stadt Paris der Entstehungszeit. Heute ist die Romantik des Lebensstils “Bohème” auch aus Paris gänzlich verschwunden. Somit tut sich trotz guter szenischer Idee ein Graben auf zwischen aktualisiertem Geschehen auf der Bühne und der Musik, die ein nicht mehr existierendes Paris beschreibt.
Uraufgeführt 1900 an der Opéra Comique in Paris, gehört das Werk der Stilrichtung des französischen Naturalismus an, der durch die literarischen Werke von Émile Zola ausgelöst wurde. Die fast symphonisch erklingende Partitur beeindruckt durch ihre vielen verschiedenen Musikelemente, die Charpentier in dieser Oper zusammengestellt hat und die in Dynamik und Tempi ein abwechslungsreiches Werk ergeben.
Allgemein sind die Gesangspassagen eher in einem deklamatorischen Stil verfasst, allerdings finden sich dazwischen auch viele lyrische und melodiöse Elemente, die die jeweiligen Personen der Oper klar definieren. Das bekannteste Gesangstück der Oper ist die Arie von Louise “Dépuis le jour”. Viele orchestrale Zwischenspiele unterschiedlichster Natur und Form sind über die Partitur hinweg verteilt und fesseln den Zuhörer stets aufs Neue.
So ist es auch ein großes Verdienst des Chemnitzer Dirigenten Maximilian Otto, der die Robert-Schumann-Philharmonie zu einer großen Leistung beflügelt. Er lässt das Orchester in großen Emotionen schwelgen, wobei hier vor allem das Blech auftrumpfen kann. Er schenkt aber auch den lyrischen Momenten genug Aufmerksamkeit, um den melodiösen Klangzeichnungen von Charpentier gerecht zu werden. Das Orchester folgt seinen klaren Anweisungen, sodass aus dem Graben nur Positives zu berichten ist.

Auch die Leistungen der Sänger auf der Bühne sind als gut zu bewerten. Elisabeth Dopheide geht mit viel Engagement die Interpretation der Louise an, deren dramatischen Aspekt sie stimmlich gut auszudrücken vermag. Die Arie der Louise hätte ich mir lyrischer gewünscht.
Daniel Pataky singt einen stürmischen Julien. Er bewältigt die stimmlichen Herausforderungen seiner Rolle mit viel Elan und jubelndem Ton. Leider lässt seine französische Aussprache sehr viele Wünsche offen.
Da sollte er sich ein Beispiel an den Sängern des Elternpaares nehmen, Paula Meisinger als Mutter und Thomas Essl als Vater, deren Aussprache vorbildlich ist. Erstere gestaltet auch stimmlich trotz warmer Mezzostimme eine kaltherzige Mutter, während Letzterer einen sensiblen Vater gibt, der erst zum Schluss aufbrausend gegenüber seiner Tochter agiert.
Auch alle anderen Figuren haben gute Vertreter, wobei hauptsächlich noch Thomas Kiechle als Nachtschwärmer/Narrenkönig und Felix Rohleder als Lumpensammler hervor zu heben sind.
Chor und Kinderchor (Einstudierung: Konrad Schöbel) zeigen sich in ihren Szenen sehr gut vorbereitet und tragen ihren Teil zum Gelingen des Abends bei.
Zu vermerken sei zum Schluss, dass es sowohl am Ostersonntag (Abraham) als auch am Montag (Charpentier) viele freie Plätze gab, was weder den Bemühungen der Theaterverantwortlichen für eine hochwertige Programmation noch den Leistungen der Künstler gerecht wird!
Jean-Nico Schambourg, 22. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Vincenzo Bellini, Norma Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 16. April 2025
Richard Wagner, Tannhäuser Deutsche Oper Berlin, 13. April 2025