Schostakowitsch VIII: Daniil Trifonov und Nikolai Szeps-Znaider begeistern mit Kammermusik

Schostakowitsch-Festival VIII  Gewandhaus zu Leipzig, 18. Mai 2025

Nikolai Szeps-Znaider © Lars Gundersen

Im Rezital beim Leipziger Schostakowitsch-Festival erklingen drei Sonaten und ein Fragment

Dmitri Schostakowitsch (1906-1975)Klaviersonaten Nr. 1 D-Dur op. 12 und Nr. 2 h-Moll op. 61; Sonate für Violine und Klavier op. 134 und Unvollendete Sonate für Violine und Klavier

Daniil Trifonov, Klavier
Nikolai Szeps-Znaider, Violine

Gewandhaus zu Leipzig, 18. Mai 2025 

von Brian Cooper

In der Reihe vor mir beginnt vor dem abendlichen Rezital ein interessantes Gespräch zwischen zwei Ehepaaren, eines aus Zürich, das andere aus Oberösterreich. Dieses Schostakowitsch-Festival zieht viele Menschen an, die auch aus größerer Entfernung anreisen. „Wir machen morgen einen Tag Pause.“ – „Wir halten durch, jeden Tag.“ Im Foyer höre ich weitere Satzfetzen, es geht sehr oft um Musik, der Name Kurt Masur ist zu vernehmen, „Currentzis war grandios“, dies und das bei den Salzburger Festspielen, und so fort. Die Leute kommen einfach wegen der Musik nach Leipzig – und nicht, um gesehen zu werden und Smalltalk zu betreiben. Das ist wirklich bemerkenswert.

Das Konzert im großen Saal des Gewandhauses zu Leipzig ist erstaunlich schlecht besucht. Klar, es ist das dritte an diesem Sonntag, und es ist Kammermusik, traditionell zieht die weniger Menschen an als Sinfonik, aber die Namen sind groß, allen voran Daniil Trifonov, der hier mit den beiden Klaviersonaten einen halben Klavierabend geben wird. Nach der Pause wird er mit Nikolai Szeps-Znaider die David Oistrach gewidmete Violinsonate spielen, mit einem Fragment vorweg.

© Eric Kemnitz

„Trivial“, höre ich die Stimme eines Herrn hinter mir, beim Hinausgehen in die Pause. „Banal“, pflichtet ihm sein Begleiter bei. Es geht um die 1. Klaviersonate, die ich noch nie live gehört habe und mir im Gegensatz zu den beiden öfters live wünschte. Die Herren mögen widersprechen, aber gerade unter den Händen von Daniil Trifonov ist es das unbekümmert-ungestüme Werk eines 20jährigen Komponisten, der mit seiner 1. Sinfonie gerade einen bemerkenswerten Erfolg gefeiert hatte.

Es ist recht nah an Prokofjew orientiert, perkussiv, stellenweise lyrisch, definitiv sofort als russische Klaviermusik erkennbar, auch wenn man beim ersten Hören nicht unbedingt sofort auf Schostakowitsch käme. (In dieser Hinsicht ähnelt die Sonate dem ebenfalls selten gespielten ersten Klaviertrio.) Trifonov erweist sich als fabelhafter Anwalt dieser (guten!) Musik. Seine überschäumende Virtuosität beeindruckt.

Die 2. Klaviersonate, von der es übrigens eine herausragende Gilels-Einspielung gibt (das Werk auf der CD dabei sehr reizvoll kombiniert mit der 15. Sinfonie, die am Morgen dieses Tages erklungen war; Eugene Ormandy dirigiert das Philadelphia Orchestra), ist natürlich das reifere Werk, das bei Trifonov zum Ereignis wird: glasklare Linien im Kopfsatz, alles hat ein Ziel; der langsame Satz mutet an wie eine ferne Reminiszenz, nachdenklich, als solle eine schöne Erinnerung festgehalten werden; ab und zu schimmert Ravel durch, es klingt bisweilen gar wie improvisiert.

Daniil Trifonov © Dario Acosta

Der Variationssatz schließlich blüht unter Trifonovs Händen auf. Manchmal klingt es wie eine französische Ouvertüre von Bach. In jedem Fall hinterlässt der Satz nicht nur mächtig Eindruck, sondern meine Sitznachbarin und ich sind uns gar über das Ohrwurm-Potential einig. Da gelingt Schostakowitsch etwas, von dem Schönberg träumte: Manche DSCH-Melodie lässt sich durchaus „auf der Straße pfeifen“.

„Erst zerlegt er den Flügel, dann baut er ihn liebevoll wieder zusammen“, fasst mein Musikfreund Albert, aus Köln angereist, das Klavierspiel Trifonovs in der ersten Konzerthälfte trocken zusammen.

Es ist ein Verdienst des Leipziger Festivals, dass auch Werke erklingen, die man sonst so gut wie nie hört. Vor der großen Violinsonate spielten Nikolai Szeps-Znaider und Daniil Trifonov ein unvollendet gebliebenes Fragment, vermutlich als erster Satz einer Violinsonate gedacht, deren Komposition abrupt abgebrochen wurde. Und so bricht es auch abrupt ab – das ist eine Aufführungspraxis, die man manchmal Bachs Kunst der Fuge angedeihen lässt.

Nikolai Szeps-Znaiders warmer, großer Geigenton füllt mühelos den großen Saal; jedes Pizzicato trägt bis in die letzten Reihen. Überhaupt ist er beim Spielen dem Widmungsträger ähnlich: stoisch, ruhig, keine unnötigen Bewegungen: Ganz wie bei Oistrach kommt der große Ton lediglich aus Bewegungen des rechten Arms. Ich habe das Werk vor vielen Jahren mit Martha Argerich und Gidon Kremer live gehört und den anschließenden Radiomitschnitt auf eine Kompaktkassette (!) gebannt. Hier klingt die Sonate anders, aber ebenfalls beeindruckend.

Das fulminante Allegretto wiederholen die beiden als Zugabe: „Selber schuld“, frotzelt der Geiger. Es ist der Schlusspunkt eines großen Abends zweier großer Musiker.

Dr. Brian Cooper, 20. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schostakowitsch Festival I Gewandhaus zu Leipzig, 15. Mai 2025

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Schostakowitsch-Festival III Gewandhaus zu Leipzig, 16. Mai 2025

Schostakowitsch-Festival IV Gewandhaus zu Leipzig, 17. Mai 2025

 

Schostakowitsch-Festival V Gewandhaus zu Leipzig, 17. Mai 2025

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