Salome: „Kann sein, ich habe dich zu lieb gehabt"

Richard Strauss, Salome  CineStar – METROPOLIS-Kino Frankfurt, 17. Mai 2025

Salome Met © Evan Zimmerman

Ein „Ungeheuer“ nennt König Herodes seine Stieftochter am Ende von Richard Strauss’ „Salome“, bevor er den Befehl gibt, sie zu töten. Damit schien das Bild der männermordenden, blutgierigen femme fatale für lange Zeit besiegelt, aber gerade in den vergangenen Jahrzehnten hat sich durch Umdeutungen ein neues Salome-Bild etabliert. Zu Beginn der Übertragung aus der New Yorker „Metropolitan Opera“ reißt Salome als etwa vierjähriges Mädchen seiner Puppe die Arme aus. Das Biest ist also schon von Beginn an böse, oder?

Richard Strauss’ „Salome“ an der New Yorker „Met“ steigt in die Tiefe der Seele

Besuchte Übertragung im CineStar – METROPOLIS-Kino Frankfurt, 17. Mai 2025

Yannick Nézet-Séguin, Dirigent

Elza van den Heever, Sopran
Peter Mattei, Bariton
Gerhard Siegel, Tenor
Michelle De Young, Mezzosopran

Claus Guth, Inszenierung

Orchester der Metropolitan Opera New York

von Dr. Andreas Ströbl

Hinab in die Tiefen der geschundenen Kinderseele

Regisseur Claus Guth hat sich für die Neuinszenierung der einstigen Skandaloper von den Kubrick-Filmen „Eyes wide shut“ und „The Shining“ inspirieren lassen, weiß Mezzosopranistin Aigul Akhmetshina in ihrer Einführung zu erläutern. Man muss die Filme nicht einmal kennen, so gut geht sein psychoanalytisches und bildstarkes Konzept auf.

Die Zeichnung der Prinzessin Salome als Missbrauchsopfer prägte schon zahlreiche Produktionen, beispielsweise in Hamburg, Lübeck oder Mainz, da macht Guth nichts grundsätzlich Neues. Aber seine Umsetzung, kongenial unterstützt durch das Bühnenbild auf, bei Bedarf, zwei Ebenen von Étienne Pluss sowie die Kostüme von Ursula Kudrna, und nicht zuletzt durch das überzeugende Spiel der Protagonisten, macht den Blick in eine durch frühen sexuellen Missbrauch kaputtgemachte kindliche Psyche auf beängstigende Weise plastisch.

Die Düsternis des Palastes tut sich auf in einer neobarocken Gründerzeitvilla mit einer dominanten Mischwesen-Statue – der Menschenleib mit Widderkopf erweist sich als steinernes Abbild des übergriffigen, von viehischen Trieben gelenkten Tetrarchen.

Auch die Gäste tragen Tierköpfe, ähnlich wie in Kubricks „Traumnovellen“-Adaption. In den Träumen mancher Pubertierender erscheinen bedrohliche Tiere oder Mischwesen als Symbol der eigenen Triebkräfte oder der sexuellen Energien anderer. Verständlicher im Freud’schen Sinne kann man es also nicht umsetzen. Die Grady-Töchter aus „The Shining“ haben offenbar Patinnen für die sieben Mädchen aus unterschiedlichen Altersstufen der Salome gestanden, denn sie sind alle gleich gewandet, mit schwarzen Mädchenkleidchen und weißen Spitzenkrägen. Aber Guth macht mit diesen Figuren klar, dass zu jedem Lebensalter der Stiefvater sich an dem Mädchen vergriffen und damit das Trauma tiefer in das Kind gesenkt hat, wie ein Messer, das immer in dieselbe Wunde schneidet. So muss die Puppe als Projektionsgegenstand herhalten, weil der geile König schon rein physisch zu stark ist.

Am großartigsten ist die Darstellung des Kerkers als Salomes Psyche, in die sie, wie bei einer Analyse, hinabsteigt und all die Missbrauchsstationen ihr wieder begegnen. Dort lebt auch das unbekannte, andere Männliche, nach dem sie sich sehnt, aber zu dem sie niemals wird eine gesunde Beziehung aufbauen können. Dieses Männliche ist in seiner Asexualität unbrauchbar für ein gesundes Miteinander, es wird ihr immer fremd bleiben. Der Jochanaan in Guths Sichtweise ist allein Salomes Projektion. In seiner wie weiß gekalkten Haut sieht er aus wie ein indischer Sadhu, ein lebender Heiliger, der freiwillig abseits der menschlichen Gesellschaft steht.

Salome Met © Evan Zimmerman
Traumbesetzung für den Alptraum

Elza van den Heever ist in ihrer starken Weiblichkeit keine typische Salome-Darstellerin, aber sie spielt gerade das Kind auch als Spätpubertäre ergreifend authentisch. Die Mimik ist die eines verhaltensauffälligen Mädchens, das lieber Kind geblieben wäre, und zwar eines mit einem gesunden Umfeld. Mit ihrem ausdrucksstarken Sopran gestaltet sie dynamisch ausgefeilt die Entwicklung der Rolle und bei aller leichten Führung gibt sie ihren Emotionen beklemmenden Ausdruck.

Der Jochanaan von Peter Mattei schwankt zwischen keuscher Ablehnung und der Öffnung hin zum Weiblichen, dessen Sündhaftigkeit er durch Bekehrung bannen will, aber es gibt da eben noch eine Kraft, der auch er sich zumindest in labilen Momenten nur schwer entziehen kann. Sein viriler Bariton zeugt von tiefstem, festem Glauben, aber er hat auch seine sanften Facetten, die er bei allem Naturalismus geradezu Belcanto-artig ausmalt. Durch die Kette, an der Salome ihn herumzerrt, ist er mit ihr auf eine kranke Art verbunden.

Der arme Narraboth rennt in einer der Kerkerszenen in eine Stange, die er aus dem Treppengeländer gerissen hat und die später Salome ihm entgegenstreckt – ist das noch ein Suizid oder hat sie ihn getötet, weil er ihr im Weg auf der Suche nach dem Wunsch-Männlichen war? Piotr Buszewski gestaltet die Rolle schwärmerisch und angreifbar, neigt aber etwas zum posierenden Singen.

Die Herodias von Michelle DeYoung erinnert mit rotem Kleid und Haaren an das Bildnis der Anita Berber von Otto Dix und wirkt dadurch etwas plakativ. Darstellerisch ist sie allerdings großartig und verkörpert prall und unangenehm die laszive Lebedame, die sich durch Hände aus der Wand entweder angrabbeln oder mit Alkohol versorgen lässt. Ihr gurrender, rotsatter Mezzosopran füllt die überquellende Schale ihrer peinlichen Sinnlichkeit bis zum Überlaufen. Ihrer Tochter steht sie nicht zur Seite, wenn es darauf ankommt, die taugt ihr nur zur Instrumentalisierung ihrer eigenen Pläne.

Ihren Gatten kann man gar nicht besser verkörpern, als dies Gerhard Siegel mit einer unguten Mischung aus Gier, Schwäche und Schein-Autorität tut. In seine tenorale Nicht-Männlichkeit mengen sich kleine keifende Interjektionen, der Muttersprachler spielt noch mehr als die anderen Protagonisten mit den Feinheiten des Librettos. „Zu lieb“ habe er sie vielleicht gehabt, ist seine euphemistische Bezeichnung für kinderschänderische Übergriffigkeit.

Albern hingegen wirkt das Judenquintett, dessen Mitwirkende allesamt an schrullige Lehrer aus der „Feuerzangenbowle“ erinnern, die man als Schüler nie ernstgenommen hat – ebenso, wie Herodes das mit seinen Untertanen tut.

Grandiose Seelen-Bilder

Nicht zuletzt lebt die Produktion von ungeheuren Bildern, etwa, wenn Salome die Statue des Trieb-Königs umwirft und diese krachend in Trümmer zerbricht. Damit wehrt sie sich therapeutisch gegen das Symbol. Der Verursacher das Traumas wird im Tanz der sieben Schleier mit den eigenen Taten konfrontiert, den Widderkopf auf den Schultern. Jedes Mädchen und jeder Schleier steht für eine Art der Misshandlung. So hat man den Tanz tatsächlich noch nie gesehen.

Wirklich harte Kost ist das Bild des auf einen Stuhl gefesselten Leibes von Jochanaan, in dessen Halsstumpf Salome ihr Gesicht presst, bevor sie dann mit dem Kopf ihr eigenes Spiel treibt und ihn schließlich auf des Täufers Schoß absetzt. Ihr Nachthemd ist ebenso weiß wie die Haut Jochanaans; fast wirken sie wie eine Einheit, zumal, wenn sie sein Haupt neben das ihre hält. Matteis Gesicht ist meisterhaft von der Requisitenwerkstatt gefertigt; das alles wirkt erschreckend lebens- oder eben todesecht.

Getötet wird Salome hier tatsächlich nicht. Herodes bekommt einen Herzinfarkt und stürzt zu Boden. Befreit verlässt Salome die Szenerie. Sie hat ihr Leben endlich selbst in die Hand genommen – Therapieziel erreicht.

Dass dieser Weg nicht einfach war, bezeugen die Tränen von Elza van den Heever beim rasch aufbrandenden Schlussapplaus, die ihre Rolle nicht allein gespielt, sondern durchlebt hat. Eine beeindruckende Hauptdarstellerin und ein grandioser Opernabend!

Dr. Andreas Ströbl, 20. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

P.S.: Ein herzlicher Dank an das Frankfurter CineStar – METROPOLIS-Kino mit einer sehr freundlichen Presseabteilung und den bequemsten Kinosesseln der Republik!

Richard Strauss, Salome Wiener Staatsoper, 5. April 2025

Richard Strauss, Salome Opéra Bastille, Paris, 28. Mai 2024

Salome, Oper von Richard Strauss Staatsoper Hamburg, 15. November 2023

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