Bieitos Osloer Tosca schlägt in den Magen

Giacomo Puccini, Tosca  Opernhaus Oslo, 23. August 2025

Den Norske Opera og Ballett / Tosca © Erik Berg

Während in den meisten Opernhäusern noch Sommerpause herrscht, hat in Oslo die neue Spielzeit bereits begonnen. Mit der Wiederaufnahme von Calixto Bieitos Tosca-Produktion von 2017 erlebt man einen Abend, der einem die musikalische Intensität fühlen lässt, als säße man in einem 600 PS starken Supersportwagen, doch sich mit seiner ganzen Bildbrutalität an einer entscheidenden Stelle verzettelt.

Giacomo Puccini
Tosca

Paolo Arrivabeni, Dirigent
Orchester der Norwegischen Nationaloper

Calixto Bieito, Regie
Susanne Gschwender, Bühnenbild

Opernhaus Oslo, 23. August 2025

von Willi Patzelt

Fast fühlen sich die „Scarpia-Akkorde“ zu Beginn von Puccinis Opern-Thriller im Magen so an, wie wenn man auf 600 PS sitzend beim Anfahren in den Sportsitz eines Supersportwagens gedrückt wird. Nicht unbedingt schnell, aber unglaublich kraftvoll schmettert der durchaus kühne Beginn dieser wohl spannungsmäßig aufreibendsten Puccini-Oper aus dem Orchestergraben des architektonisch schwer beeindruckenden Osloer Opernhauses.
Aber ein Buch solle man nicht nur von seinem Einband her bewerten, wie der Volksmund sagt. Und so verhält es sich auch mit Opernhäusern: Die Akustik dieses Saales, in seinen Maßen der Dresdner Semperoper nachempfunden, erlaubt es in ihrer Durchsichtigkeit, die nie an Fundament vermissen lässt, die ganze Gefühlsbreite jener Partitur auszuschöpfen.

Maximale Emotionsbreite

Und Paolo Arrivabeni, ehemaliger Chef an der Oper in Lüttich, scheut am Pult auch nicht davor zurück, genau das zu tun. Flott, aber nie überdreht, geht er die Tosca recht symphonisch, teilweise im Klangverhältnis von Sängern und Orchester fast schon wagnerianisch anmutend, an und baut dabei große musikalische Bögen, die den ohne Pause gespielten Abend zu überspannen wissen. Auch in den leisen Passagen erlebt man eine  Intensität, die weit über das hinausgeht, was man aus durchschnittlichen Aufführungen gewohnt ist.

Es ist jene Gefühlsbreite, ja die Gefühlsbreite des wahren Lebens, um das es im Verismo geht, die vor allem Marita Sølberg zu einer wirklich vorzüglichen Floria Tosca macht. Die Höhen sind riesig und doch nie überdreht; aber auch an Zartheit lässt sie, nicht nur in Vissi d’arte, keine Wünsche offen. Rodrigo Garull ist in der Höhe an sängerischer Potenz kaum zu überbieten und erkämpft – im profund-stolzesten Wortsinne – jede hohe Note mit einer Kraft, die schon schwer beeindruckend ist. Womöglich würde dem Mexikaner manchmal etwas mehr Linie guttun; doch es kommt dieser Zugriff auf die Partie dem zerrissenen Idealisten Mario Cavaradossi doch darstellerisch sehr zupass. Yngve Søberg ist als Scarpia stimmlich nicht unbedingt der schwärzeste seiner Art,  doch stimmlich recht profund. Und mit Jens-Erik Aasbø und Johannes Nikolai Aas sind auch Angelotti und der Küster sehr ansprechend besetzt.

Brutalste Bildsprache

Es ist gerade dieser oft etwas unscheinbare, betfleißige Küster, den Calixto Bieito in seiner Produktion von 2017 durchaus hervorhebt. Er ist ein obdachloser, gutmütiger Flaschensammler, der von Scarpias Schergen im ersten Akt ordentlich gedemütigt wird. Nach dem großen Te Deum und dem Ende des Aktes fällt dann kein Vorhang; vielmehr sieht man den Küster bitterlich, schon fast schreiend weinen, während Spoletta und Konsorten ihm das gesammelte Flaschenpfand – das es in Norwegen für Glasflaschen übrigens schon seit 1902 gibt – wegnehmen und auf der Bühne verteilen. Es ist der bildlich stärkste Moment des Abends, und es möchte einen zerreißen.

Für diese Bildsprache von extremer Gewalt, sicherlich ein Markenzeichen von Calixto Bieito, ist die Tosca natürlich prädestiniert. Gezeigt wird die Geschichte vom Künstler Cavaradossi, der vom Regime um Scarpia – hier ein Trump-Verschnitt mit gesteigertem Mobster-Potential – am Ende gar nicht erschossen, sondern als Künstler zum Clown verkleidet und zum Gespött des Systems gemacht wird. Bieito findet hier gewissermaßen ein fast noch brutaleres Ende als die Librettisten Giuseppe Giacosa und Luigi Illica. Das Problem ist nur, dass es sich – vor allem aus dem ersten Akt heraus – nicht erklärt.

Bieito verzettelt sich mit Naturalisierung der Abstraktion

Da sieht man nämlich, wie Plastikbänder von links nach rechts in einer Atmosphäre von „ehrlichem Sichtbeton“ über die Bühne gespannt werden, und wie eine völlig nackte Frau, ganz in silberner Farbe – augenscheinlich als Ersatz für die Attavanti-Magdalena und/oder die Madonna – wortlos auf der Bühne sitzt. Zwischendrin spielt Tosca noch den Oktavian aus dem zweiten Akt des Rosenkavaliers nach und trägt eine Silberrose über die Bühne. Es ist ein Wirrwarr an Abstraktionen, welches durchaus starke Bilder, viel Verwirrung und noch mehr Plastikmüll in Form jener Plastikbänder verursacht, die von Scarpias Leuten dann abgerissen und auf schätzungsweise einen Kubikmeter zusammengestaucht werden.

Umso erstaunlicher ist es, gleichwohl aus dem Programmheft zu erfahren, dass hier eigentlich gar keine Abstraktion stattfinden sollte, zumindest wohl keine der Opernhandlung, sondern ein modernes Installations-Happening durch den jungen Avantgardisten Cavaradossi vor Augen geführt wurde. Dass Bieito Abstraktion hier gleichsam naturalistisch zum Gegenstand machen will, vermittelt sich aber eben nur im Programmheft. Die Inszenierung hingegen verliert hier schon ihren handlungsmäßigen Drive, den aufzunehmen auch im Rest des Abends nicht mehr gelingen wird. In seiner Bildsprache gelingen dem Spanier freilich Bilder, die dem Magenbeben im Sportsitz auch noch ein extrem flaues Gefühl hinzufügen. Und so gelingt die Naturalisierung des Abstrakten gewissermaßen doch: Nach Eleos und Phobos – jenem Begriffspaar von Mitleid und Furcht, dessen Durchleben nach Aristoteles zur Läuterung des Zusehers führt – findet die Katharsis dann erst wieder im ganz normalen Leben statt und nicht mehr im Dunstkreis des Opernhauses. Denn nicht wenige werden es sehr verstört verlassen haben…

Willi Patzelt, 26. August 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Giuseppe Verdi, Il Trovatore Hamburgische Staatsoper, 27. März 2025

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