John Osborn, Nino Machaidze, Erwin Schrott © J. Berger / ORW-Liège
Musikalisch gelingt der Oper in Lüttich mit dieser Saisonpremiere ein großer Wurf. Unter der Leitung vom Chefdirigenten der Opéra Royale bietet das Trio John Osborn – Nino Machaidze – Erwin Schrott erstklassigen Gesang. Die Inszenierung von Thaddeus Strassberger hinterlässt eher einen zwiespältigen Eindruck: Neben berauschenden Szenen, verfällt die Regie leider öfter in rein provokatives Regietheater.
Charles Gounod (1818-1893) FAUST
Oper in fünf Akten (Libretto: Jules Barbier & Michel Carré)
Musikalische Leitung: Giampaolo Bisanti
Inszenierung & Bühnenbild: Thaddeus Strassberger Kostüme: Giuseppe Palella
Opéra Royal de Wallonie Liège, 12. September 2025
von Jean-Nico Schambourg
Gemäß Programmheft verfolgt der Regisseur Thaddeus Strassberger in seiner Lütticher Inszenierung des “Faust” von Gounod die Idee der Darstellung der Dualität: Der Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Jugend und Alter, zwischen Leben und Tod.
Dabei hilft ihm das von ihm selbst entworfene Bühnenbild, das von Elementen des Barocks und der Antike bestimmt wird. Visuell hat diese Produktion viele sehr beeindruckende Momente, die auch in der szenischen Umsetzung großen Effekt zeigen.
So findet eine öfters wiederkehrende Projektion des Bildes von Adam und Eva von Cranach in der Gartenszene ihr szenisches Konterfei im Hinzufügen von zwei Schauspielern, die das erotische Begehren zwischen Margarethe und Faust verkörpern. Ebenso ergibt die Darstellung der Walpurgisnacht mit den antiken Kurtisanen und Königinnen, auch Dank der farbenfrohen Kostüme von Giuseppe Palella, einen der szenischen Höhepunkte des Abends.

Dazwischen verfällt die Inszenierung allerdings immer wieder in eigensinniges Regietheater. Mephisto tritt nicht als Inkarnation des Bösen auf, sondern als verstoßener Erzengel Gabriel. Mit abgerissenen Engelsflügel wird er in Fausts Zimmer gegen seinen Willen hineingeworfen, als wäre dies seine erste Hausaufgabe als Vertreter des Bösen.
Dementsprechend bewegt sich Erwin Schrott in den ersten Szenen über die Bühne wie eine billige Imitation von Captain John Sparrow: ironisch stolziert er zwischen seinen Mitspielern hin und her als würde ihn das alles nichts angehen. Erst gegen Ende der Oper zeigt Mephisto teuflische Züge.
Abscheulich und meiner Meinung nach irrsinnig die Szene in der Kirche, wo Margarethe in ihrem Bett liegend (?) von drei Nonnen durch Schläge auf ihren Mutterleib ihr Kind verliert. Diese Nonnen hatten schon in der vorhergehenden Szene des dritten Aktes andere werdende Mütter vergiftet.
Gott sei Dank ist die musikalische Darstellung sehr überzeugend, wenn auch mit kleinen Einschränkungen. Im ersten Teil des Abends übernimmt Erwin Schrott leider auch musikalisch die übertrieben ironische Darstellung seiner Rolle und füllt diese mit stimmlichen Mätzchen auf, die allerdings öfters eine homogene Gesangslinie stören. In den letzten Akten wird er zunehmend dramatischer und bedrohlicher. Hier kann der Bass dann endlich seine stimmlichen Qualitäten voll ausspielen und seine volle Tiefe, sowie seine exzellente Höhe zeigen.

Ähnlich ist der stimmliche Weg an diesem Abend von Nino Machaidze in der Rolle der Margarethe. In ihren ersten Auftritten überwiegt die Koketterie in ihrer Stimme. Ihre große Arie ist gut gesungen, aber es fehlt ihr an Überzeugungskraft. Dann im zweiten Teil, komplette Wandlung. Mit der Dramatik der Handlung erfasst diese auch ihre Stimme. Jetzt versteht es die Sopranistin mitzureißen, den Zuhörer mit faszinierendem Gesang in ihren Bann zu ziehen. Ein wenig störend bleibt aber, ebenso wie bei Erwin Schrott, ihre manchmal undeutliche französische Aussprache.
Probleme stimmlicher Art gibt es bei John Osborn als Faust nicht. Mit perfekter Diktion klingt seine Stimme vom ersten Ton an präsent, auch wenn er den Prolog teilweise von weiter hinten auf der Bühnen singen muss, während ein Schauspieler den “alten” Faust vorne mimt. Erst nach dem Trinken eines Zaubertranks tritt der Sänger in die erste Reihe. Und stimmlich bleibt er dann dort den ganzen Abend lang. Klingt sein “Je t’aime” bei der ersten Begegnung mit Margarethe noch ein wenig eng, so blüht seine Stimme in der großen Arien “Salut, demeure chaste et pure” auf und er krönt sie mit einem perfekten Anschwellen des Tons auf dem Höhepunkt der Arie. Während der ganzen Vorstellung klingt seine Stimme immer voll präsent, ob in dramatischen oder zärtlichen Passagen.
Markus Werba singt die große Arie des Valentin (“Avant de quitter ces lieux”) mit fahler Stimme. Dagegen klingt Elmina Hasan in der Rolle des Siebel jugendlich frisch. Es erfreut den Zuhörer, dass in dieser Produktion auch die später gestrichene erste Szene des 3. Akts hinzugefügt wurde. Somit hat man das Glück die kurze Romanze des Siebel “Versez vos chagrins dans mon âme” zu hören, die von Hasan mit viel Einfühlungsvermögen vorgetragen wird.
Sowohl Ivan Thirion als Wagner als auch Julie Bailly als Marthe Schwertlein wissen in ihren kurzen Einsätzen zu gefallen.
Unter der Leitung von Giampaolo Bisanti, der an diesem Abend seinen ersten “Gounod-Faust” dirigiert, klingt das Orchester der Opéra Royale mal sensibel romantisch, mal kräftig explosiv, so wie es die Partitur verlangt und der Dirigent es ihm vorgibt. Der Chor, vorbereitet von Denis Segond, bewältigt seine unterschiedlichen Interventionen mit Brio.
Das Publikum feiert am Schluss vor allem das Orchester und die drei Hauptsolisten, wobei Erwin Schrott den größten Zuschauerzuspruch hat. Für des Regieteam gibt es nur zahmen Applaus, allerdings ohne Ablehnungsbekundungen.
Jean-Nico Schambourg, 15. September 2025,
für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Gioachino Rossini, Guillaume Tell Opéra Royal Liège, 12. März 2025
Jules Massenet, Werther Opéra Royal de Wallonie-Liège, 19. April 2025
Richard Wagner, Tristan und Isolde Opéra Royal de Wallonie-Liège, 28. Januar 2025