Svetlanov lässt die Musik lodern

CD-Besprechung: Yevgeny  Svetlanov  klassik-begeistertde, 18. September 2025

CD-Besprechung:

Diese CD ist keine historische Kuriosität, sondern ein klingendes Dokument einer Epoche und eines Künstlers, der längst Legende ist. Svetlanov starb 2002 in Moskau, doch in solchen Aufnahmen lebt er fort – unverwechselbar, kompromisslos, mit einem Feuer, das ansteckt. Wer ihn verehrt, findet hier einen weiteren Beweis seiner Größe. Wer ihn erst noch kennenlernen will, könnte sich kaum einen besseren Einstieg wünschen.

London Symphony Orchestra
USSR State Orchestra

Yevgeny  Svetlanov, Dirigent

Michail Glinka und Nikolay Rimsky-Korsakov

ICA5186

von Dirk Schauß

Das Label ICA hat wieder einmal seine Schubladen voller BBC-Schätze geöffnet und bringt eine jener CDs heraus, die man nicht mehr aus dem Player nehmen möchte. Sie zeigt Yevgeny Svetlanov in seinem ureigenen Metier: russisches Kernrepertoire, eingefangen in lebendigen Stereo-Liveaufnahmen mit gleich zwei Spitzenorchestern – dem London Symphony Orchestra und dem Staatlichen Sinfonieorchester der UdSSR.

Es ist Musik voller Glut und Atmosphäre, Musik, die man nicht einfach hört, sondern die einen mit Haut und Haaren ergreift.

Den Auftakt bildet die Ouvertüre zu Rimsky-Korsakovs Oper „Die Jungfrau von Pskow“. Das London Symphony Orchestra stürzt sich mit funkelnder Verve in die Partitur. Svetlanov lässt die Musik nicht glatt durchlaufen, sondern kostet jede Wendung aus: die herbe Strenge, das Pathos, die heroische Wucht. Es ist, als wollte er schon in diesen knapp sieben Minuten den ganzen Kosmos russischer Geschichte und Seele entfalten.

Der zentrale Brocken der CD ist aber zweifellos „Scheherazade“. Svetlanov war nie einer der Dirigenten, die auf Effekt um jeden Preis setzten. Doch gerade hier, wo Märchenwelt, Exotik und sinfonische Opulenz ineinanderfließen, blüht sein Temperament auf. Der Erzählton der Solovioline – zart, fast scheu, aber unendlich suggestiv – zieht sich wie ein roter Faden durch die vier Sätze. Und doch ist es das Orchester, das die Geschichten ausschmückt, manchmal mit seidigem Schimmer, manchmal mit gleißender Bravour.

Besonders im vierten Satz entfesselt Svetlanov eine Schlagzeugpalette, die ihresgleichen sucht: die Pauken rollen wie fernes Donnergrollen, Becken und Triangel setzen gleißende Lichter, die große Trommel bringt den Boden zum Vibrieren. Anders als bei manch anderen Dirigenten, die diese Effekte bloß dekorativ einsetzen, macht Svetlanov daraus ein dramatisches Element, das den narrativen Bogen trägt. Man hört, wie das Märchen in ein Finale voller Dramatik mündet – doch nie verliert er den Überblick. Jede Farbnuance, jede rhythmische Attacke hat ihren Platz im Gesamtbild.

Dann Glinka: die „Symphonie über zwei russische Themen“ – hier mit „seinem“ Staatlichen Sinfonieorchester der UdSSR. Sofort ist ein anderer Klang da: dunkler, erdiger, ein Ton, der weniger an Konzertsaalglätte als an die raue Landschaft Russlands erinnert. Die Musiker spielen, als ob sie diese Melodien seit Kindertagen im Blut hätten. Svetlanov formt daraus eine Sinfonie von überraschender Frische – volkstümlich, ja, aber zugleich mit einem Sinn für Symmetrie und Eleganz, die über den bloßen Folkloreton hinausgeht.

Und natürlich schwingt in dieser CD auch die Lebensgeschichte eines Mannes mit, der die russische Musik wie kaum ein anderer verkörperte.

Yevgeny Svetlanov, 1928 in Moskau geboren, Schüler von Alexander Gauk, debütierte am Bolschoi, wo er schon früh die Verbindung von Theater und Sinfonik lernte. Ab 1965 prägte er als Chefdirigent das Staatliche Sinfonieorchester der UdSSR fast drei Jahrzehnte lang und machte es zu einem Ensemble von weltweitem Rang. Parallel dazu wirkte er im Westen: beim London Symphony Orchestra als Principal Guest Conductor, in Den Haag, Stockholm, später in Paris und Tokio. Sein Repertoire war gewaltig – von Tschaikowsky über Miaskowsky bis hin zu Elgar und Debussy. Aber wenn er russische Musik dirigierte, spürte man: Hier spricht einer zutiefst in seiner Muttersprache.

Die Klangqualität dieser Liveaufnahmen ist übrigens erstaunlich gut. Manchmal hört man ein Räuspern, ein Saalgeräusch, doch das macht den Reiz aus. Es ist keine sterile Studioaufnahme, sondern gelebte Musik, voller Atem, voller Atmosphäre. Gerade in „Scheherazade“ vermittelt die Stereobreite eine filmische Weite – man sitzt mittendrin, hört das Schlagzeug prasseln, das Blech schmettern, während die Streicher eine Brücke über beide Flanken schlagen.

Diese CD ist keine historische Kuriosität, sondern ein klingendes Dokument einer Epoche und eines Künstlers, der längst Legende ist. Svetlanov starb 2002 in Moskau, doch in solchen Aufnahmen lebt er fort – unverwechselbar, kompromisslos, mit einem Feuer, das ansteckt. Wer ihn verehrt, findet hier einen weiteren Beweis seiner Größe. Wer ihn erst noch kennenlernen will, könnte sich kaum einen besseren Einstieg wünschen.

Dirk Schauß, 17. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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