Schumann entfachen: eine Kammermusikreise mit den Fouchenneret-Brüdern

Robert Schumann, Werke für Streicher, Holzbläser und Klavier (CD)  klassik-begeistert.de, 21. September 2025

Schumann entfachen: eine Kammermusikreise mit den Fouchenneret-Brüdern

Robert Schumann
Werke für Streicher, Holzbläser und Klavier (CD)

b-records, LBM080

von Dirk Schauß

Es gibt Aufnahmen, die man anhört und wieder vergisst. Und dann gibt es jene seltenen Momente, in denen eine CD nicht nur Musik liefert, sondern einen mitnimmt. Die neue Schumann-Einspielung bei b-records gehört eindeutig zur zweiten Kategorie. Von den ersten Takten der Fantasiestücke bis zum rauschenden Finale des frühen Klavierquartetts in c-Moll entfaltet sich ein farbiger Kosmos, der Schumanns rastloses Genie lebendig werden lässt – wechselhaft, poetisch, mitunter widersprüchlich und doch von einer unwiderstehlichen Sogkraft getragen.

Dass dieses Projekt gelingt, liegt vor allem an der klugen Besetzung. Im Zentrum stehen die Brüder Pierre und Théo Fouchenneret – ersterer ein Geiger mit markantem Ton, letzterer ein Pianist, der mit feinem Ohr für Zwischentöne agiert. Sie haben sich mit François Salque (Cello), Lise Berthaud (Viola), Florent Pujuila (Klarinette) sowie den Geschwistern Anna und Caroline Sypniewski zusammengeschlossen. Ein Ensemble also, das sich nicht als zufällige Studio-Bekanntschaft versteht, sondern hörbar auf gemeinsamem Musizieren basiert. Diese Vertrautheit ist in jeder Phrase spürbar.

Gleich zu Beginn, in den Fantasiestücken op. 73 für Cello und Klavier, zeigt sich das: Salque singt mit einer kantablen Wärme auf ihrem Instrumen, die an einen lyrischen Bariton erinnert, während Théo Fouchenneret am Klavier das Gegenüber nie zudeckt, sondern inspiriert. Das Dialogische, dieses Hin und Her zwischen Melancholie und Aufbruch, wird hier zur kleinen Szene – man könnte meinen, zwei Figuren auf einer Bühne sprechen zu hören.

Nahtlos schließen sich die Romanzen op. 94 an. Pujuila auf der Klarinette phrasiert mit einer Schlichtheit, die dem Wort „Romanze“ besondere Bedeutung verleiht. Hier gibt es keinen Zuckerguss, keine künstliche Emphase. Vielmehr klingt es, als würde jemand eine intime Erinnerung erzählen, leise und ohne Pathos. Franz Schubert lässt grüßen, dessen Geist in diesen kurzen Stücken leise durchscheint.

Dann treten die Märchenbilder op. 113 ins Licht, und die Bratsche darf einmal die Hauptrolle übernehmen. Lise Berthaud beweist, dass dieses Instrument weit mehr ist als das Bindeglied zwischen Violine und Cello. Mit erzählerischer Kraft und zugleich feinster Nuancierung bringt sie die vier Miniaturen zum Leuchten. Mal wirkt es, als blättere man in einem illustrierten Märchenbuch, dann wieder als sei man Zeuge einer leidenschaftlichen Szene. Théo Fouchennerets Klavier bleibt stets Partner, niemals Statist – er kommentiert, widerspricht, führt weiter.

Noch dichter wird das Geflecht in den Märchenerzählungen op. 132, wo Klarinette, Viola und Klavier zusammentreffen. Diese ungewöhnliche Kombination schafft ein Klangbild, das an ein Kammerspiel erinnert: Jeder hört den anderen, niemand drängt sich auf. Manchmal scheint es, als würden die drei Stimmen improvisieren, einander imitieren, sich gegenseitig die Stichworte geben. Gerade diese Wachheit, dieses „Aufeinander-Hören“, macht die Interpretation so überzeugend.

Die Fantasiestücke op. 88 für Klaviertrio weiten den Horizont. Hier ist das Klangbild nicht mehr miniaturhaft, sondern großräumig, eher sinfonisch gedacht. Die Melodien entfalten sich, als würden sie im Moment der Aufführung erfunden. Es entsteht eine Atmosphäre des Unvorhersehbaren – es ist spürbar, wie sehr Schumann im Geist des Improvisators komponiert hat.

Und dann der Bruch: Die Stücke im Volkston op. 102 sind von ganz anderer Machart. Salque und Fouchenneret greifen beherzt zu, mit rauer Direktheit, beinahe rustikal. Nach all der Eleganz zuvor wirkt das wie ein kräftiger Schluck Rotwein nach feinem Dessert. Hier hat Schumann den Volkston nicht verklärt, sondern handfest eingefangen – und genau so wird er hier präsentiert.

Am Ende aber wartet der Gipfel: das Klavierquartett in c-Moll WoO 32. Ein Jugendwerk, ja, doch mit erstaunlicher Größe. Der Beginn klingt so wuchtig, dass man glauben könnte, ein kleines Orchester stehe im Raum. Pierre Fouchenneret, die Schwestern Sypniewski und Théo Fouchenneret stürzen sich mit spürbarer Freude in die groß angelegte Form. Und tatsächlich: über die vier Sätze hinweg spannt sich ein weiter Bogen, der im Presto-Finale seine Entladung findet. Es ist ein prachtvolles Ende, das die ganze Einspielung wie eine große Erzählung abrundet.

Nicht unerwähnt bleiben darf die Aufnahmetechnik. Sie ist direkt, ungeschönt und intim. Man sitzt gefühlt mitten unter den Musikern, hört nicht nur die Töne, sondern das Atmen, die Reaktionen, das Aufeinandereingehen. Kein künstlicher Studiohall, keine sterile Perfektion – vielmehr ein Klangbild, das die Authentizität der Kammermusik bewahrt.

So bleibt am Ende der Eindruck einer Aufnahme, die Schumann in seiner Vielgestaltigkeit erfahrbar macht: als Lyriker, Erzähler, Klangforscher, als jemanden, der zwischen Fantasie und Wirklichkeit pendelt. Und das Schönste daran: Diese musikalische Reise vergeht wie im Flug. Wer sich einmal auf sie eingelassen hat, wird die beiden CDs nicht so schnell ins Regal zurückstellen, sondern sie immer wieder auflegen – weil sie zeigt, dass Schumanns Musik weit davon entfernt ist, museal zu sein. Sie lebt, sie atmet, sie erzählt.

Dirk Schauß, 21. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Robert Schumann, Das Paradies und die Peri Musikverein, Wien, 30. Mai 2025

Werke von Robert Schumann Theater an der Wien und Musikverein Wien, 14./15. November 2024

CD-Rezension: Clara & Robert Schumann, Piano Concertos, Beatrice Rana Klavier klassik-begeistert.de, 1. Februar 2023

Robert Schumann: Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 und Sinfonie Nr. 2 C-Dur op. 61, Staatskapelle Berlin, Daniel Barenboim, Elbphilharmonie, 15. Januar 2022

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